| # taz.de -- Serie „About Sasha“ wird unterschätzt: Wut, Melancholie und ei… | |
| > Teenagerin Sasha ist inter*. Nach einem Umzug beginnt sie, öffentlich als | |
| > Mädchen zu leben. „About Sasha“ ist das Serien-Ereignis des Jahres. | |
| Bild: Angèle Metzger brilliert in ihrer Rolle als Sasha | |
| Still und leise hat sich Anfang Juni eine Serie ins Programm von | |
| [1][Disney+] geschlichen, die zu den sehenswertesten und erstaunlichsten | |
| der vergangenen (mindestens) anderthalb Jahre gehört, ohne dass jemand | |
| hierzulande davon wirklich Notiz genommen hätte. Oder auch nur der | |
| Streaminganbieter selbst darauf hingewiesen hätte: nicht einmal in der | |
| hauseigenen, als Newsletter verschickten Monatsvorschau tauchte „About | |
| Sasha“ auf. Weswegen es an dieser Stelle hier umso nachdrücklicher betont | |
| werden soll, dass diese französische Produktion, die im Original deutlich | |
| weniger generisch „Chair tendre“ (also: zartes Fleisch) heißt, etwas sehr | |
| Besonderes ist. | |
| Zunächst scheint „About Sasha“ eine Jugendserie wie viele andere zu sein. | |
| Sasha (Angèle Metzger) ist mit ihren Eltern (Daphné Bürki & Grégoire Colin) | |
| und der jüngeren Schwester Pauline (Saul Benchetrit) aus Paris in die | |
| Provinz gezogen. Zu Hause ist die Stimmung nicht spannungsfrei, aber noch | |
| schwieriger gestaltet sich natürlich der Neuanfang in der Schule. | |
| Neue Freundschaften knüpfen, einen eigenen Platz in längst bestehenden | |
| Gruppendynamiken finden, dazu die übliche Mischung aus Neugier, Begehren, | |
| Eifersucht und Scham, die jedem Teenager zu schaffen macht. Doch für die | |
| androgyn wirkende Siebzehnjährige hat das Navigieren der Postpubertät noch | |
| eine ganz andere Dimension als für ihre Mitschüler*innen. | |
| Sasha nämlich ist [2][intersexuell], wie sie es selbst nennt. Bei der | |
| Geburt ließen sich die körperlichen Geschlechtsorgane nicht eindeutig als | |
| weiblich oder männlich einordnen, was – wie häufig in solchen Situationen �… | |
| eine Verunsicherung der Eltern und vor allem eine Pathologisierung durch | |
| wahlweise unerfahrene oder vorurteilsbehaftete Ärzt*innen nach sich zog. | |
| Begleitet von jahrelangen Operationen, unbeantworteten Fragen und Bullying | |
| in der Schule wurde Sasha als Junge großgezogen, erst spät erfährt sie | |
| selbst von der Diagnose Intersexualität und entschließt sich mit dem Umzug, | |
| als Mädchen zu leben. Doch auch wenn das in gewisser Hinsicht eine | |
| befreiende Erleichterung bedeutet, heißt das natürlich noch lange nicht, | |
| dass diese noch neue Situation für irgendwen leicht ist. | |
| Was sich liest wie der tragische Stoff für eine Depri- oder | |
| Aufklärungsserie, ist in Wirklichkeit eine bemerkenswert leichtfüßige und | |
| an bewährten Coming-of-Age-Mustern entlang erzählte Annäherung an ein | |
| filmisch noch wenig erschlossenes Thema. | |
| ## Wissen und zarte Verletzlichkeit | |
| Regisseurin und Drehbuchautorin Yaël Langmann, die sich von einer eigenen | |
| Schulfreundschaft zu dieser Geschichte inspirieren ließ, gelingt es, eine | |
| recht universelle (und nicht selten sehr amüsante) Jugenderfahrung zwischen | |
| Überschwang und Einsamkeit einzufangen, und dabei trotzdem eindrücklich von | |
| der spezifischen Lebensrealität von inter Menschen zu erzählen. Für | |
| Letzteres dienen ihr dabei nicht zuletzt Sashas Telefonate mit Mentor Loé | |
| (verkörpert von Lysandre Nury vom Collectif intersexe activiste). Diese | |
| Gespräche vermitteln – stimmig in die Story eingefügt – Wissen, ohne | |
| lehrbuchartig zu wirken. | |
| Überhaupt: Zwischen atmosphärischen Bildern (Kamera: Yoann Suberviolle) und | |
| reizvollem Elektro-Score (Musik: Adrien Durand) balanciert Langmann all | |
| ihre Bestandteile über zehn knapp halbstündige Episoden verteilt erfreulich | |
| geschickt aus. Sashas neue, bei weitem nicht bloß heteronormative Clique | |
| besteht nicht nur aus Stereotypen, und vor allem die einzelnen | |
| Familienmitglieder bekommen genug Raum, damit man auch ihr jeweiliges | |
| Ringen mit der Situation nachvollziehen kann. Letztlich aber dreht sich | |
| natürlich alles um Sasha – und Hauptdarstellerin Angèle Metzger ist in der | |
| Rolle eine Offenbarung. | |
| Wie sie und Langmann gemeinsam in dieser Serie Sashas zarte | |
| Verletzlichkeit, aber auch lange angestaute Wut und sich aus Überforderung | |
| speisende Melancholie in jeder einzelnen Szene spürbar machen, ist ungemein | |
| eindrucksvoll. Wie überhaupt die jugendliche Selbstfindung zwischen | |
| traumatischen Erinnerungen und hoffnungsvollem Neuanfang hier enorm | |
| wahrhaftig, menschlich und thematisch auf der Höhe der Zeit festgehalten | |
| wird. Mag sein, dass „About Sasha“ – auch angesichts der zurückgenommenen | |
| Farbgebung – auf den ersten Blick ein wenig unscheinbar daherkommt. Doch | |
| spätestens auf den zweiten ist die Serie rundum ein ziemlich | |
| außergewöhnliches Ereignis, das man nicht verpassen sollte. | |
| 27 Jun 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patrick Heidmann | |
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