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# taz.de -- Analoges in der Kunst: Transzendenz der Beauty-Akademie
> Trotz Digitalversessenheit kommt man in Kunst und Kultur immer wieder
> aufs Analoge zurück. Verändert die Materie denn ein Bild?
Bild: Eine Art Relief: Daniel Spoerri, „Restaurant Spoerri“ von 1968 (Aussc…
In den 1990er Jahren dachte man eine Weile, dass jeglicher Vorzug von
Materie rückwärtsgewandter Unsinn sei. Mit dem Siegeszug des MP3-Formats
wurde selbst in einschlägigen Musikmagazinen verkündet, die digitale
Komprimierung könne das Hörerlebnis nicht verändern. Jedenfalls nicht
hörbar. Wer etwas anderes behaupte, sich [1][gar auf Schallplatte] oder
Tonband zurückbesinne, sei mindestens esoterisch.
Ähnlich gingen auch die Überlegungen zu den visuellen Medien los. Sie
halten bis heute an. Doch sie haben in den Bildkünsten oft zu interessanten
(Zwischen-)Resultaten geführt.
Verändert die Materie das Bild? Die schwarz-weißen Handabzüge der
kanadischen Fotografin Lynne Cohen (1944–2014) würde ich sofort als Antwort
heranziehen. Das Schwarz so tief, dass der Bildraum ins Unendliche sich
ausweitet, wenngleich er gut sichtbar schon an einer Wandplatte endet.
Natürlich ist es nicht das analoge Bild allein, auf dem Lynne Cohen
Apartmentlobbys, Beauty-Akademien, Ämter und andere Kulissen des Alltags
derart transzendieren lässt. Aber die nichtdigitale Ablichtung trägt
womöglich dazu bei, dass der Bildraum eine so zwingende Wirkung im realen
Raum entfaltet, ohne den Unterschied zwischen beiden aufzuheben.
## Schichtungen der Räumlichkeit
Cohens Fotografien gaben den Architekturen, die dem Menschen im Alltag eine
Bühne bereiten sollten, ihrerseits eine solche. Manchmal stellt sich das
fantastische Arrangement bloß als kunstvoll dekorierter Blumenkübel heraus,
der ins Bild rückt. Aber man meint, es könnte immer so weitergehen mit den
Schichtungen der Räumlichkeit – und langweilig sind diese Raumfotografien
nie. Anschauen kann man Lynne Cohens handabgezogene Analogfotografien jetzt
in der Galerie von Jacky Strenz, kurz zuvor war davon eine kleine Auswahl
auf der Art Basel zu sehen.
Auf der Kunstmesse in Basel fielen auch die sogenannten Tappeti-Natures
auf, die Piero Gilardi (1942–2023) in den 1960er Jahren anfertigte: Reliefs
aus bemaltem Polyethuranschaum, mit dem der Künstler Maiskolben, Fallobst
und Gemüsebeete imitierte. In seiner ersten Arbeit, so Gilardi, sei „eine
Nostalgie für eine bestimmte Art von Natur“ zugegen: „die
Renaissance-Natur, die vom Industrialismus besiegt worden ist, und doch
scheint mir, dass hier auch ein metaphorischer Embryo der heutigen
Verbindung zwischen natürlich und artifiziell vorhanden war“.
Kein Wunder eigentlich, dass sie in den digitalversessenen, aber noch voll
im Analogen verhafteten 1990er Jahren auf der 45. Biennale von Venedig
wiederentdeckt wurden. Und auch Gilardis Naturidylle aus den Mitteln des
industriellen Zeitalters gibt es jetzt in Frankfurt zu sehen, nämlich in
der großen Gruppen- und Materialschau „Plastic World“ in der Schirn.
Ein paar Hundert Meter weiter spielen in einer Ausstellung des Städel
Museums der Bildraum und seine Materialien eine Hauptrolle: „Herausragend!“
präsentiert eine Vielfalt an Reliefs, die zwischen zwei- und
dreidimensionalem Raum changieren, zu ihrem Publikum heraustreten. Und
zugleich ziehen sie ins Bild herein. Nicht nur in figurative Szenarien,
sondern auch in die tiefblaue Schwammlandschaft eines Yves Klein oder heran
an das wunderbar chaotische [2][Essgelage eines Daniel Spoerri] – oder was
davon übrig blieb.
27 Jun 2023
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## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
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