# taz.de -- Ausstellung zur alten BRD: Früher war mehr Auslegware | |
> In Frankfurt schöpft der Wiener Künstler Julian Turner das Beste aus | |
> einer Vergangenheit. Diese alte Bundesrepublik hat es so wohl nie | |
> gegeben. | |
Bild: Julian Turner, „Am Ende des Ganges“, Installationsansicht | |
Es stimmt schon: Früher war mehr Auslegeware. Tageslichtschluckend nicht | |
nur die Bauten, sondern auch die Farben – tiefes Braun in allen | |
Schattierungen schmeichelte dem Höhlenmenschen der modernen Welt, der | |
allerdings auch sattes Orange zu schätzen wusste. Und gab es nicht damals | |
diese eine versteckte Tür in dem Schuhgeschäft, eingekleidet in die | |
Teppichwand, wie ein Geheimnis, auf das man ruhig stoßen sollte beim | |
zweiten Hinschauen? | |
Entsprechende Erinnerungen, wahre oder solche der Kategorie [1][False | |
Memory], ruft Julian Turners Schau „Am Ende des Ganges“ in der Galerie | |
Filiale wach. Allerdings inszeniert der Wiener Künstler kein Reenactment. | |
Eher scheinen die unbenannten Jahrzehnte einer westdeutschen Vergangenheit | |
als allgemeines atmosphärisches Kolorit zu dienen. | |
Vorbild für die Rundum-Wanderverkleidung fand der Künstler so in einer | |
Filiale der Kreissparkasse Villingen-Schwenningen, deren | |
Steinverbundplatten er malerisch von Hand reproduzierte und das | |
abfotografierte Resultat abermals als Wandverkleidung anbrachte. Ein gutes | |
Beispiel, wie wacklig das Terrain ist, auf dem man in dieser Landschaft der | |
Attrappen und Pastiches watet. | |
Ein [2][Uncanny Valley] mit analogen Mitteln, bei allem Anarchohumor | |
feinsinnig umgesetzt – oder eher mit groben Mitteln fein gemacht. Was | |
dreidimensional war, verflacht der Künstler in die zweite Dimension, um | |
dann aber einzelne Elemente aus seinen Arbeiten reliefartig herauszuholen. | |
So steckt man vielleicht just im Zwischenraum irgendeines doppelten Bodens | |
fest und übersieht glatt den Manet, der sich da – als eigentlich noch viel | |
größerer Künstlerwitz – in Form der Arbeit „Deux Bars“ vor einem auftu… | |
Oder einen Vermeer – den Elefantenpopo als motivische Rahmung hat Turner | |
dem Szenario freilich selbst angedichtet. | |
## Herzzerreißend verzagt dreinschauende Protagonistinnen | |
Wie seine malerische und skulpturale Arbeit sich überhaupt aus allen | |
möglichen Versatzstücken zusammensetzen kann – die holländischen | |
Essautomaten, die gleichsam betitelte „Magische Schütttechnik“ aus der | |
Ferrero-Werbung, Archivbilder eines Reisebüros. Denen entstammen auch | |
einige der herzzerreißend verzagt dreinschauenden Protagonistinnen, die | |
Turner in seine eh schon reichlich seltsamen Szenerien setzt. | |
„Am Ende des Ganges“ erscheint als präzise Formulierung von etwas völlig | |
Vagem. Vielleicht das Inszenierte einer vergangenen Ära, die in | |
historischem Rückblick so verführerisch komprimiert und widerspruchsfrei | |
erscheint, mit all ihren uneingelösten Verheißungen und Widersprüchen | |
re-inszeniert. | |
Ein mindestens optischer Gegenentwurf zum gestalterischen „What You See Is | |
What You Get“, mit dem maximale Transparenz, Hyperanpassungsfähigkeit und | |
Hierarchielosigkeit zum Dogma erhoben wird (modulare Büromöbel für modulare | |
Menschen). Stattdessen Rekurs auf eine Ära, in der das Einkaufen noch | |
geholfen hat (und das Rauchen auch). In der die Kreissparkasse einen | |
unwiderstehlichen Optimismus verströmte. Und wenn doch bloß alles Sperrholz | |
und Tand war, dann wurde immerhin noch eine hübsche Fassade geboten. | |
25 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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