# taz.de -- Rassismus im Netz: Hass gegen Schwarzes Empowerment | |
> Nach einem reißerischen Spiegel-Teaser für ein Interview wird die | |
> Berliner Organisation Empoca mit rassistischem Hass und Drohungen | |
> überzogen. | |
Bild: Ferien von Rassismus: in Safer Spaces wie bei Empoca können Schwarze Kin… | |
BERLIN taz | Wie Cancel Culture und Hatespeech um sich greifen und | |
existenzbedrohend werden können, muss gerade die Berliner Organisation | |
Empoca erfahren. Seit 2018 veranstaltet die gemeinnützige | |
Unternehmensgesellschaft (gUG) Outdoorprogramme für Schwarze Kinder und | |
Jugendliche. Dass die Freizeiten sich an den Bedürfnissen von jungen | |
Schwarzen Menschen orientieren und die Teamer*innen ausschließlich | |
Schwarze sind, war der Redaktion des Spiegel kürzlich ein langes Interview | |
mit dem Gründer und Programmleiter Anthony Owosekun wert. Beworben wurde es | |
bei Twitter mit der reißerischen Unterzeile „Weiße sollen möglichst | |
fernbleiben“. | |
Die Reaktionen waren entsprechend – und wohl auch so kalkuliert. Gleich | |
zwei Mal am selben Tag twitterte die Spiegel-Redaktion die provokante | |
Zeile, wurde dafür mit Hunderttausenden Klicks „belohnt“. Viele | |
Kommentator*innen verbreiteten den Link weiter und erregten sich über | |
die angebliche „Rassentrennung“, „Apartheid“, „Segregation“. Befeue… | |
die Empörungswelle mit einem Tweet von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt | |
(„Ferienlager nach Hautfarbe, und die Medien schreiben darüber, als wäre | |
das vollkommen normal“), rechtspopulistischen Webseiten wie Reichelts | |
Pleiteticker schlugen in dieselbe Kerbe, ebenso ein Ex-Bild-Reporter, der | |
in einem Insta-Video über die angebliche „Rassismus-Rückwärtsrolle“ | |
schwadronierte. | |
Seitdem werden Empoca und er mit Hetz- und Hassnachrichten überschüttet, | |
berichtet Owosekun der taz. „Wir bekamen klare Drohungen per Mail und durch | |
das Kontaktformular auf der Empoca-Website.“ Ihm sei Gewalt angedroht | |
worden sowie Strafanzeigen, die Gemeinnützigkeit seiner Organisation sei | |
infrage gestellt worden. Immerhin hätten sie auch viel Zuspruch, | |
Ermunterung und Solidaritätsbekundungen bekommen, berichtet er, „und dazu | |
viele Hilfsangebote und Spendenanfragen, die uns die Energie geben | |
weiterzumachen“. Unter anderen macht sich der bekannte [1][Musiker Roger | |
Rekless bei Instagram] für Empoca stark: Die Camps „bieten Ferien vom | |
Rassismus“, erklärt er. | |
Doch wie bei Hetzkampagnen fast schon üblich, geht es den Hatern gar nicht | |
um die Sache selbst, also die Arbeit von Empoca und dem Ansatz, Schwarze | |
Kinder durch Naturerfahrungen für Umweltschutz zu sensibilisieren und | |
gleichzeitig ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Zwar wird das in dem | |
Interview durchaus thematisiert, etwa mit der Frage, warum Schwarze | |
Menschen sich allein im Wald unsicher fühlen – aber „beworben“ wurde das | |
Ganze vom Spiegel reißerisch mit dem Segregationsaspekt. „Die | |
Hasskommentare zielen entsprechend alle darauf ab, das Schutzkonzept des | |
Empowerments als Apartheid 2.0 oder Ähnliches zu diskreditieren“, fasst | |
Owosekun zusammen. | |
## Immer dieselbe alte Leier | |
Tatsächlich wird der Vorwurf des Ausschlusses beziehungsweise der Umkehr | |
von Unrechtsverhältnissen regelmäßig gegen Gruppen oder Organisationen | |
erhoben, die mit Safer Spaces arbeiten. Auch Frauengruppen mussten sich | |
früher von Männern anhören, dass sie sich durch ihren Ausschluss „ungleich… | |
behandelt fühlten und dies das Gegenteil der geforderten Gleichberechtigung | |
sei. Allerdings ist das Konzept von „geschützten Räumen“, wo Angehörige … | |
Minderheiten unter sich sind und sich darum ohne Angst vor Diskriminierung | |
frei bewegen und äußern können, zumindest in Antirassismus- und | |
Diversity-Kontexten längst anerkannt. | |
Auch die Eltern, die ihre Kinder zu Empoca schicken, wissen es zu schätzen. | |
Sie halte das Konzept eines geschützten Raums „für alle marginalisierten | |
Gruppen essentiell“, erklärt eine Berliner Mutter, die selbst weiß ist und | |
zwei Schwarze Söhne hat. Wegen des Shitstorms gegen Empoca möchte sie aus | |
Angst um ihre Kinder nicht namentlich zitiert werden. Ihren 12-Jährigen | |
ließ sie im vorigen Empoca-Sommercamp mitfahren. „Er ist jeden Tag seines | |
Lebens Rassismus ausgesetzt, in jedem Kontext spielt das eine Rolle.“ Ihm | |
zumindest für wenige Tage eine „Auszeit“ zu ermöglichen, in der er frei | |
davon sein könne, sei eine immens wichtige Erfahrung gewesen. „Er weiß, | |
dass er dort respektiert wird und, auch wenn es Konflikte gibt, Rassismus | |
keine Rolle spielt.“ | |
Auch Antonia Schmidt, eine Mutter aus Hamburg, berichtet, für ihren | |
10-jährigen Sohn sei die Erfahrung eines Empoca-Camps befreiend gewesen, da | |
er im Alltag ständig mit Rassismus und Mikroaggressionen konfrontiert sei. | |
„Es ist wichtig für ihn zu erleben, dass er mal nicht anders ist, sondern | |
wie alle andern. Dass er sicher sein kann, dass alle anderen ihn verstehen | |
und er keine dummen Sprüche wegen seiner Haare oder Ähnlichem hören muss.“ | |
Aber wie findet man überhaupt einen geschützten Ort für eine Schwarze | |
Kinder- und Jugendgruppe? Besteht nicht gerade im ländlichen Raum die | |
Gefahr, dass man auf rechts gesinnte Menschen trifft – wie kürzlich in | |
Brandenburg, wo Berliner Kinder am Badesee angegriffen worden waren? „Wir | |
mieten immer ganze Ferienanlagen oder Zeltplätze und haben ein gutes | |
Sicherheitskonzept“, erklärt der Empoca-Chef. Seit fünf Jahren hätten sie | |
nie Probleme gehabt, weil sie ihre Orte sorgfältig aussuchten, übrigens | |
auch in Brandenburg. | |
## Neues Sicherheitskonzept notwendig | |
Durch die negative Publicity aufgrund des Artikels müssten sie nun aber ihr | |
Sicherheitskonzept überarbeiten, so Owosekun, sowohl was die Auswahl des | |
Orts als auch den Anmeldeprozess betreffe. „Durch den Shitstorm wird für | |
uns alles komplizierter, teurer und wir brauchen noch mehr Ressourcen.“ | |
Dass es dieses Jahr kein Empoca-Sommercamp geben wird, hat mit der | |
Spiegel-Geschichte allerdings nichts zu tun. Man müsse die Finanzierung | |
umstellen, erklärt der Empoca-Gründer. Bislang hätten sie einige | |
Projektförderungen durch die deutsche Kinder- und Jugendstiftung bekommen, | |
doch solche – immer nur einmalige und kurzfristige – Mittel geben keine | |
Planungssicherheit für Mitarbeitende und Eltern. „Wir suchen jetzt nach | |
Stiftungen und Outdoor-Unternehmen, die Empowerment-Angebote wie uns | |
unterstützen wollen.“ | |
Doch nun muss man sich erst mal mit den Folgen des Shitstorms beschäftigen | |
– wozu auch der medienrechtliche Kampf gehört, der ebenfalls Kraft, Zeit | |
und Geld kostet. Laut Owosekun hat sein Anwalt von der Spiegel-Redaktion | |
die Löschung der beiden Tweets mit der reißerischen Zeile und eine | |
Richtigstellung verlangt. Bislang ohne Erfolg. | |
Zwar hat die Redaktion die Unterzeile im Interview selbst geändert und dies | |
am Ende des Textes so erklärt: „Diese Formulierung hat dazu geführt, dass | |
der Gründer von Empoca in den sozialen Netzwerken diffamiert wurde.“ Da | |
dies aber nur hinter der Bezahlschranke von Spiegel-Plus passierte, wird | |
die erregte Social-Media-Gemeinde davon kaum etwas mitbekommen. Der Schaden | |
für Empoca ist angerichtet, der Hass im Netz geht weiter. | |
4 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/reel/CsmLzuAogtz/?utm_source=ig_web_button_share_… | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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