# taz.de -- Offener Brief an die neue Koalition: Angst vor Rückschritt | |
> Von Schwarz-Rot erwartet die Zivilgesellschaft im Bereich Diversity | |
> nichts Gutes – die Messlatte hängt seit der Koalition von R2G ziemlich | |
> hoch. | |
Bild: Black Lives Matter: Demonstration in Berlin 2016 | |
Berlin taz | Zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen warnen | |
in einem „Offenen Brief an die verhandelnden Parteien“ vor einen | |
gesellschaftspolitischen [1][Rückschritt] durch Schwarz-Rot. R2G habe | |
„viele Bausteine gelegt“, um die Bereiche Antidiskriminierung, Empowerment | |
und Diversität „strukturell zu stärken“, heißt es in dem Brief, der der … | |
vorliegt. Wahlkampf und Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD ließen | |
befürchten, dass sich der Wind nun drehe. | |
„Wir machen uns große Sorgen um die Zukunft unserer pluralen Berliner | |
Stadtgesellschaft und die vielen Errungenschaften, die in den letzten | |
Jahren erarbeitet wurden und strukturell zu spürbaren Verbesserungen | |
beigetragen haben“, sagt Daniel Gyamerah von Eoto. Der Verein setzt sich | |
für Schwarzes Empowerment ein und hat den Brief mit unterzeichnet. | |
Bislang stehen 17 Gruppen hinter den Forderungen, darunter der | |
Migrationsrat Berlin, die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, | |
neue deutsche organisationen und RomaTrial. | |
Eine wirksame Antidiskriminierungspolitik, so betonen sie alle, liege im | |
Interesse nicht nur einzelner Interessenvertreter*innen, sondern diene der | |
gesamten Gesellschaft. „Sie betrifft die unterschiedlichen Geschlechter | |
genauso wie die Queere Community, Menschen von Jung bis Alt, mit | |
Behinderung oder Einwanderungsgeschichte“, schreiben sie. | |
## Keine hohen Erwartungen an die Sondierungspapiere | |
Daher werde man genau verfolgen, was CDU und SPD zum Thema zu sagen haben. | |
Als Messlatte nehme man die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von R2G, die | |
in den letzten eineinhalb Jahren noch nicht umgesetzt wurden. | |
Dazu zählt etwa die Einführung eines Wahlrechts für Menschen ohne deutsche | |
Staatsbürgerschaft auf kommunaler und Landesebene, die Umsetzung des | |
Partizipationsgesetzes oder der Einsatz auf Bundesebene für eine Novelle | |
des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes. | |
Dass von Schwarz-Rot nicht viel Gutes zu erwarten ist, befürchtet Edwin | |
Greve vom Migrationsrat, spätestens seit er das Sondierungspapier beider | |
Parteien gelesen hat. „Darin gibt es zwar einen Abschnitt zu Berlin als | |
Stadt der Vielfalt, aber das einzig Konkrete ist, dass das | |
Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) erhalten bleiben soll“, fasst er | |
zusammen. | |
Immerhin ein Fortschritt, könnte man zynisch anmerken, schließlich hatte | |
die CDU im Wahlkampf noch die Abschaffung des bundesweit einzigartigen | |
Gesetzes gefordert. „Aber sonst steht da gar nichts“, stellt Greve fest. | |
## Wichtige Vorhaben werden nicht kommen | |
So befürchten die Organisationen, dass wichtige Vorhaben nun nicht mehr | |
kommen – wie etwa das Landesdemokratiefördergesetz, mit dessen Entwicklung | |
unter R2G begonnen wurde. | |
Dieses Gesetz soll die finanzielle Förderung von Organisationen und | |
Vereinen, die insbesondere in den Feldern Antidiskriminierung, | |
Demokratieförderung, Opferberatung und Empowerment arbeiten, strukturell | |
und langfristig sichern, damit sie nicht mehr alle zwei Jahre um ihre | |
Berücksichtigung im neuen Doppelhaushalt bangen müssen. | |
Auch Gyamerah befürchtet Rückschritte bei der Finanzierung. „Unter R2G gab | |
es immer mehr Aufwuchs“, sagt er, „auch für Community-Organisationen“ – | |
also solche, die sich um gruppenspezifische Interessen kümmern. | |
Sie vermehrt zu unterstützen ist eine neuere Entwicklung – geboren aus der | |
Erkenntnis, dass etwa Antischwarzer Rassismus, antmuslimischer Rassimus | |
oder Antiziganistismus je spezifisch und vor allem durch Stärkung der | |
jeweiligen Community bekämpft werden sollten. | |
## Antikolonialistische und rassismuskritische Bildung | |
Der bisherige Senat wollte daher auch ein Schwarzes Community-[2][Zentrum] | |
fördern und im Rahmen der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft | |
eine Strategie gegen Antischwarzen Rassismus entwickeln. | |
Beides – Haus und Strategie – sei für die Schwarze Community Berlins | |
„immens wichtig“, sagt Gyamerah von Eoto. „Und natürlich haben wir jetzt | |
Angst vor einem Rückschritt.“ Vereinen, die andere Communitys vertreten, | |
gehe es derzeit genauso. | |
Als wichtigste Punkte aus dem alten Koalitionsvertrag, deren Umsetzung man | |
auch von Schwarz-Rot erwartet, nennt Greve neben dem Demokratiefördergesetz | |
die Weiterentwicklung des LADG. „Wir müssen die Klagemöglichkeiten | |
verbessern und die Ombudsstelle ausbauen, die kann die vielen Anfragen gar | |
nicht zeitnah bearbeiten“, sagt er. | |
Auch das Vorhaben der alten Koalition, die Berliner Schulen | |
diskriminierungsfreier zu gestalten, findet Greve zentral. Fortbildungen | |
müssten ausgebaut, Lehrpläne im Sinne antikolonialistischer und | |
rassismuskritischer Bildung erneuert werden, Lehrkräfte dafür aus- und | |
weitergebildet werden. „Bislang ist der deutsche Kolonialismus noch kein | |
fester Bestandteil des Lehrplans“, erklärt er. | |
## Das Grundrecht, nicht diskriminiert zu werden | |
Besonders positiv heben die Organisationen in ihrem Offenen Brief die | |
Arbeit der von Lena Kreck (Linke) geführten Senatsverwaltung für Justiz, | |
Vielfalt und Antidiskriminierung hervor. Sie sei „insbesondere im letzten | |
Jahr einen vielversprechenden Weg gegangen, der weitergeführt werden muss, | |
da er einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, der Antidiskriminierungsrecht | |
als Recht aller begreift“. | |
Indem R2G die Antidiskriminierungspolitik an das Justiz-Ressort angedockt | |
habe, sei das Thema „viel höher gehängt und zur Querschnittsperspektive | |
erklärt worden“. Auch hier, befürchtet er, könnte die neue Koalition viel | |
kaputt machen – allein indem sie den Ressort-Zuschnitt ändert und so für | |
Stillstand sorgt. | |
20 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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