| # taz.de -- Schwarz-rot in Berlin: Das linke Berlin – ein Luftschloss | |
| > Berlin, konservativ. Wie kann das sein, fragen sich viele. Dabei war | |
| > Berlin nie so links und grün wie sein Ruf. | |
| Bild: Unspektakuläres Ende des umstrittenen Grünen-Pilotprojekts „Autofreie… | |
| Der größte Verlierer der Berlin-Wahl ist Markus Söder. Die abdankende | |
| Bürgermeisterin Franziska Giffey hat mit ihrem Move zur CDU nicht die | |
| Linken und die Grünen im Stich gelassen, die auch keinen Bock auf R2G mehr | |
| hatten, sondern den armen bayerischen Poltergeist. Was soll der jetzt nur | |
| tun? Wenn [1][Schwarz-Rot] zustande kommt, ist es vorbei mit Söders | |
| geliebtem Berlin-Bashing. | |
| Nie mehr Spotten über die rot-grün-roten Spinner, die sich „mehr ums | |
| Gendern als um Gauner“ kümmern. Das schöne Feindbild, weg. Stattdessen nun | |
| [2][ein CDU-Mann], von dem bisher nur die Vornamen bekannt sind, die er von | |
| Silvesterrandalierern wissen wollte, um sie des Migrantentums zu | |
| überführen. So einem Unionsfreund mit niederen Instinkten kann Söder nichts | |
| vorwerfen. Berlin – plötzlich Partnerstadt der CSU. Eine Katastrophe, nicht | |
| nur für Söder, weil jetzt Stillstand bis Rückschritt droht. | |
| Wie konnte das passieren? Das fragen sich augenreibend und seit drei Wochen | |
| händeringend auch viele Innenstadtberliner, die immer davon ausgingen, dass | |
| die Mehrheit tickt wie sie. Also links und öko, wie sie sich selber fühlen, | |
| ohne unbedingt auch so zu leben. Im Gegensatz zu [3][Söder], der seine | |
| albernen Klischees absichtlich pflegt, um den rechten Kulturkrampf | |
| anzuheizen, glaubten viele Linke wirklich an das alternative Berlin, das so | |
| ganz anders sei als die Provinz. CDU? Wahlsieger? Kann doch nicht sein! | |
| Selbst bei zehn Prozent Vorsprung eher ein Rechenfehler als ein | |
| Regierungsauftrag. | |
| Doch das linke Berlin ist ein Luftschloss. Die SPD ist nicht wirklich | |
| links, auch unter Grünen-Wählern gibt es längst mehr Hausbesitzer als | |
| -besetzer und die einzig dezidiert Linke ist von Wahl zu Wahl geschrumpft. | |
| Zwei Drittel von Berlin waren immer strukturkonservativ, die CDU mit | |
| Diepgen hatte 40 Prozent. Und diese Leute sind ja nicht alle tot, sie | |
| fühlten sich aber zuletzt oft so behandelt. Vor allem von den Grünen. Das | |
| Problem war dabei nicht eine angeblich radikale grüne Politik, die es nie | |
| gab, sondern die abgehobene Attitüde. | |
| Eine autofreie Friedrichstraße ohne Plan für die Gestaltung schien den | |
| Grünen wichtiger als der öffentliche Nahverkehr, Moralpredigten bequemer | |
| als Taten für Wohnungen, Schulen oder gar Verwaltung. Auch Giffey arbeitete | |
| sich lieber rhetorisch an ihren eigenen Partnern ab, ohne damit neue Wähler | |
| zu erreichen. Klaus Wowereit war der Letzte, der die ganze Stadt ansprach. | |
| Für die Grünen ist die Opposition jetzt eine Chance, so eine Sprache selbst | |
| zu finden. Wenn sie endlich ein realistisches Berlin-Bild und ein | |
| mehrheitsfähiges Konzept entwickeln, das über symbolische Selbstbeglückung | |
| hinausgeht. Erst dann wird ein modernes Berlin möglich, über das auch ein | |
| Söder nicht mehr lästern kann. | |
| 3 Mar 2023 | |
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| Lukas Wallraff | |
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