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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Infrastruktur von vorgestern
> Straßenbauprojekte wie die TVO zeigen, dass der Senat die Klimakrise
> immer noch nicht verstanden hat. Es braucht noch viel mehr Proteste
> dagegen.
Bild: Nach vier Tagen geräumt: Das Protestcamp in der Wuhlheide
Wenn es um die Klimakrise geht, ist es eine beliebte Taktik von
Politiker:innen, das Problem einfach in die Zukunft zu verlagern.
Dementsprechend bereitwillig sind Entscheidungsträger:innen darin,
immer wieder ambitionierte Ziele in weiter Entfernung zu setzen, in etwa
das Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll oder global die
Erderwärmung auf 2 Grad zu beschränken.
Solche Klimaziele dienten bislang vor allem dazu, [1][klimapolitisches
Handeln zu simulieren, während man in der Gegenwart ungebremst
Treibhausgase produziert.] Ein einfacher Trick um zu testen, wie ernst es
Staaten mit ihren Klimaschutz Ambitionen meinen, ist auf
Infrastrukturprojekte zu schauen.
Allein die Planung von Straßen, Kraftwerken, U-Bahnen und Stromleitungen
kann mehr als 10 Jahre dauern. Dazu kommt noch die oftmals enormen Kosten,
die sich nur rentieren, wenn diese Infrastruktur auch viele Jahrzehnte
genutzt wird. Das heißt, dass heute auf keinen Fall weitere klimaschädliche
Infrastruktur mehr geschaffen werden darf.
Wenig überraschend ist das natürlich nicht der Fall. Anstatt auf
nachhaltige Mobilität zu setzten treibt der Straßenprojekte voran als wäre
es 1960. So plant der Senat mit der [2][Tangentialen Verbindung Ost], eine
vierspurige Autobahn mitten durch die Wuhlheide zu bauen. Über 15 Hektar
Wald, darunter wertvolle Eichen müssten dafür gefällt und Lebensraum für
zahlreiche Tiere zerschnitten werden. Ein ökologisches Desaster für ein
paar Minuten weniger Fahrzeit.
## Die richtige Infrastruktur ausbauen
Das klimaschädliche Infrastrukturprojekte verstärkt in den Fokus der
Klimagerechtigkeitsbewegung geraten ist deshalb nur konsequent. Vergangen
Samstag besetzten mehrere dutzend Aktivist:innen ein Waldstück in der
Wuhlheide mit Baumhäusern und Tripods. Die Besetzung hielt mehrere Tage bis
die Polizei das Camp am Mittwoch morgen mit einem Großaufgebot räumte.
Wünschenswert wäre es, wenn der Senat mit dem selben Eifer, mit dem er
linke Projekte räumt, auch einmal den Bau von Fahrrad- und ÖPNV
Infrastruktur vorantreiben würde. Der kommt nämlich – ebenfalls wenig
überraschend – nur sehr schleppend voran.
Unter Schwarz-Rot droht die Mobilitätswende noch weiter ausgebremst zu
werden. Zuletzt [3][verhinderte Verkehrssenatorin Manja Schreiner die
Verabschiedung des letzten Teil des Mobilitätsgesetzes] und stellte den
darin verankerten Vorrang von Fuß- und Radverkehr gegenüber dem Autoverkehr
infrage.
Dabei stirbt fast jedes Jahr eine zweistellige Anzahl an
Radfahrer:innen auf Berlins Straßen. Fast immer bei Unfällen, die mit
einer Fahrradfreundlichen Infrastruktur hätten verhindert werden können.
Den Ausbau zu verzögern kostet also Menschenleben. Aus diesem Grund
veranstaltet der Fahrradclub ADFC jedes Jahr den [4][“Ride of Silence“] bei
dem getöteten Radfahrer:innen gedacht wird. Die Teilnehmer:innen
der Demo fahren weiß gekleidet und schweigend zu den Orten, wo
Radfaher:innen ums Leben gekommen sind (Mittwoch, 17. Mai, 19 Uhr,
Rotes Rathaus).
## Mobilität für alle
Beim öffentlichen Nahverkehr sieht es nicht viel besser aus. Der ist zwar
sehr sicher, aber wurde über die Jahre kaputtgespart während gleichzeitig
die Preise so weit erhöht worden, dass sich arme Menschen ein U-Bahn-Ticket
oder gar ein Abo nicht mehr leisten können. Mobilität in einer
Solidargemeinschaft sieht anders aus.
Fährt man dann notgedrungen ohne Fahrschein, weil man pleite ist, und zahlt
dann die Strafe nicht, weil man pleite ist, kommt man in Deutschland
derzeit direkt in den Knast. Dieser institutionalisierte Hass auf arme
Menschen nennt sich Ersatzfreiheitsstrafe.
Der Freiheitsfonds hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen, die wegen
Freifahrens einsitzen freizukaufen. Dafür braucht es allerdings Geld, das
zum Beispiel bei [5][einer Soli-Veranstaltung im Cafe Plume] in Neukölln
gesammelt wird. Bei Musik, Redebeiträgen und Getränken lässt sich der ein
oder andere Taler für den Freiheitsfonds locker machen (Donnerstag, 18.
Mai, 18 Uhr, Warthestraße 60).
Einen praktischen Beitrag, Automobilität noch etwas unattraktiver zu machen
leistet derzeit auch die Letzte Generation. Diese Woche setzt sie ihre
Blockaden fort, am Dienstag blockierten sie die A100 über mehrere Stunden.
Neben den Blockadeaktionen veranstaltet die Gruppe auch Protestmärsche, bei
denen jede*r mitmachen kann (Mittwoch, 17. Mai; Freitag, 19. Mai und
Samstag, 20. Mai, jeweils 16 Uhr am Marx-Engels-Forum).
Für alle, die sich fragen, ob es überhaupt zielführend ist, hart arbeitende
Menschen auf ihrem Weg von A nach B zu blockieren oder für ein paar Tage in
einem Baumhaus im Wald zu schlafen, für die gibt es am nächsten Dienstag
den Workshop [6][“Räume des Austausches: Klimagerechtigkeit und Protest –
wie weit kann, darf, soll Klimaaktivismus gehen?“] des Kippunkt Kollektivs.
Gemeinsam sollen aktuelle Aktionsformen der Klimabewegung diskutiert und
bewertet werden (Dienstag, 23. Mai, 16 Uhr, Mittelpunktbibliothek
Schöneberg, Hauptstraße 40, 10827 Berlin).
17 May 2023
## LINKS
[1] /Verfehlte-Klimaziele/!5915715
[2] /Protest-gegen-Strasse-durch-die-Wuhlheide/!5931801
[3] /Verkehrspolitik-in-Berlin/!5930448
[4] https://berlin.adfc.de/artikel/ride-of-silence-2023
[5] https://www.facebook.com/cafePlumeWarthestrasse/?locale=de_DE
[6] https://kipppunkt-kollektiv.de/event/rdatempelhof-schoeneberg/
## AUTOREN
Jonas Wahmkow
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