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# taz.de -- Rodungen für Umgehungsstraße: Schluss mit Waldfrieden
> Der Senat treibt das Planfeststellungsverfahren für die Tangentiale
> Verbindung Ost voran. Die Befürchtungen von Umweltschützer*innen
> sind groß.
Bild: Im Mai wurde eine Teil der Wuhlheide kurzzeitig besetzt
Berlin taz | Ein Waldspaziergang der anderen Art: Man verlässt die laute
Straße und versinkt in der Geräuschlosigkeit der Berliner Wuhlheide. Die
wild gewachsenen Eichen sind gut 80 Jahre alt, unter dem grünen Blätterdach
wachsen jüngere Bäume, Ahorn, Buchen und Linden, dazu Sträucher, Kräuter
und Pilze. Das herumliegende Totholz ist [1][Lebensraum für Insekten, Vögel
und Säugetiere].
Das alles erfährt man am Sonntagnachmittag bei einem Spaziergang, den der
Naturschutzbund Nabu Berlin organisiert hat. Kay-Uwe Reschke trägt eine
knallgelbe Weste und einen breitkrempigen Outdoor-Hut. Der ehemalige
Forstarbeiter ist Mitglied der Nabu-Bezirksgruppe Treptow-Köpenick und
führt gut 25 Erwachsene und Kinder durch das Teilstück der Wuhlheide im
Südosten von Berlin, in dem hauptsächlich Eichen und Kiefern stehen.
Hier ist fast niemand, nur ab und zu hechelt ein Jogger vorbei. „Dieser 80
Jahre alte Wald fängt gerade an, wertvoll zu werden, und kann nicht einfach
ersetzt werden“, sagt Reschke. Doch wenn es nach dem Willen des Senats
geht, soll dieser Wald abgeholzt werden, um Platz für eine vierspurige
Schnellstraße zu machen: [2][die Tangentiale Verbindung Ost], kurz TVO.
## Vierspurige Autobahn durch den Wald
Dabei handelt es sich um eine seit 1969 projektierte Trasse zwischen dem
Nordosten und Südosten Berlins. Wobei das Mittelstück zwischen Schöneweide
und Biesdorf nie gebaut wurde. Das soll nun nach nachgeholt werden. Geplant
ist eine mindestens 6,4 Kilometer lange vierspurige Trasse, um
Hauptverkehrsstraßen wie die Treskowallee in Karlshorst zu entlasten, wo
Anwohner*innen besonders unter dem Durchgangsverkehr leiden.
Die Verkehrssituation im Berliner Osten ist problematisch, daher sind fast
alle Parteien für die Schnellstraße. Auch der alte rot-grün-rote Senat
hatte sich für den Bau der TVO mit einem parallel verlaufenden
Radschnellweg und einer „Schienen-TVO“ genannten Regionalbahn- und
S-Bahn-Trasse ausgesprochen. Letztere fehlt in der aktuellen
Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD.
Kritiker*innen befürchten daher, dass nun sowohl die Bahntrasse als
auch der Radweg dem motorisierten Individualverkehr geopfert werden. Und
das ist nicht das einzige Problem. Das Projekt könnte frühestens in den
2030er Jahren fertiggestellt werden und ob die Schneise durch den Wald dann
wirklich für eine Entlastung sorgt, ist mehr als fraglich.
Auf der neuen Trasse sollen nach Schätzungen des Senats täglich bis zu
33.000 Fahrzeuge in beiden Richtungen fahren. Ausgebaute Straßen führen
aber laut einer Studie kurzfristig zu 10, langfristig zu 20 Prozent mehr
Verkehr. Die Entlastung der Umgehungsstraßen ist meist geringer als
prognostiziert. Dafür wird ein Anstieg des Transitverkehrs aus dem Umland
auf der Schnellstraße befürchtet. Mehr Straßen bedeuten zudem eine
zusätzliche Belastung durch Lärm und Feinstaub. Allein [3][die Verwendung
von Beton und Stahl in der jahrelangen Bauzeit würden für einen hohen
CO2-Ausstoß sorgen.]
## Wertvoller Wald
Dazu kommen nicht nur die immensen Kosten für die Schnellstraße, die
inzwischen wohl bei 400 Millionen Euro liegen. Darüber hinaus müssten auch
14,6 Hektar Wald gefällt werden, nach neueren Angaben sogar 15,6 Hektar.
Die Wuhlheide würde weiter zerschnitten, selbst das Naturschutzgebiet
Biesenhorster Sand könnte betroffen sein. Und die wertvollen Eichen wären
weg.
An einer kleinen Wegkreuzung machen die vom Nabu betreuten
Spaziergänger*innen halt. Hier sehen fast alle Teilnehmenden die
geplante Trasse kritisch. Einer immerhin spricht sich dafür aus.
Biesdorf-Süd solle vom „extremen Durchgangsverkehr“ entlastet werden,
fordert er. „Jetzt eine Straße zu bauen, ohne ein Konzept erarbeitet zu
haben, halte ich für Unsinn“, erwidert ihm eine Teilnehmerin. Dem Bedarf
werde „hinterhergebaut“, die Staus würden sich nur verlagern.
Kay-Uwe Reschke selbst ist zurückhaltend. Er sagt: „Wald an sich ist
wertvoll.“ Jeder gefällte Quadratmeter sei ein Verlust. Eine Fragmentierung
sei zudem eine Barriere für Tiere und würde auch das Mikroklima verändern.
Kurzum: Das ganze Schnellstraßenprojekt sei „ein großer Schaden für die
Natur“. Dennoch glaubt er, dass die TVO „in irgendeiner Form“ kommt.
Während sich gegen die A100 breiter Widerstand regt, sah das bei der TVO
lange anders aus. Viele Berliner*innen erfuhren erst im Mai von der
geplanten Straße durch den Wald, nachdem Aktivist*innen der Gruppe
„Wuhlheide bleibt“ in einer spektakulären Aktion ein Stückchen des Waldes
kurzzeitig besetzten. „Berlin braucht weder die TVO noch den Ausbau der
A100“, schreibt die Gruppe. Stattdessen fordert sie „ein gesellschaftliches
Umdenken, die Eindämmung des motorisierten Individualverkehrs und eine
stabile und verlässliche Nahverkehrsinfrastruktur“.
## Schiene statt Straße
„Das Straßenbauprojekt zerschneidet nicht nur wertvolle Naturräume, sondern
symbolisiert das Festhalten an klimaschädlicher Verkehrspolitik“,
kritisiert der Nabu Berlin. „In einer Zeit, in der die unwiderruflichen
Kipppunkte der Klimakatastrophe immer näher rücken, ist der Bau neuer
Infrastruktur für den motorisierten Individualverkehr äußerst
kontraproduktiv“, sekundiert der Umwelt- und Naturschutzbund BUND und
fordert, die Planungen für die TVO „sofort“ einzustellen und stattdessen
eine Schienen-TVO zu errichten.
Der Senat plant, in diesem Herbst die Unterlagen für das
Planfeststellungsverfahren einzureichen. Dieses Verfahren soll nach dem
Willen des Senats bis 2026 abgeschlossen sein. Nach dem Abschluss des
Verfahrens soll der Bau der Trasse dann weitere sechs bis sieben Jahre
dauern. Allerdings ist damit zu rechnen, dass gegen den Bau der TVO geklagt
wird, wodurch sich eine Fertigstellung weiter verzögert.
Inzwischen hat sich die Bürgerinitiative Wuhlheide gegründet. Sie lehnt die
Umsetzung der Straßen-TVO ab und demonstriert an diesem Mittwochvormittag
vor dem Abgeordnetenhaus „für eine neue Evaluation des Projekts“. Sie
befürchtet, „dass der CDU/SPD-geführte Senat das Straßenprojekt nun ohne
Berücksichtigung der Schienenplanung durchwinken könnte“.
Am Dienstag in einer Woche ist der nächste Waldspaziergang mit Kay-Uwe
Reschke angesetzt. Sein Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen,
damit diese sich ihre eigene Meinung bilden. Er möchte „niedrigschwellig
und neutral sensibilisieren“, sagt er zum Abschluss: „Meine Botschaft ist,
dass der Wald wahrgenommen wird.“
28 Aug 2023
## LINKS
[1] /Waldsterben-in-Deutschland/!5953836
[2] /Besetzung-der-Wuhlheide-in-Berlin/!5935340
[3] /Die-Oekologie-des-Bauens/!5758484
## AUTOREN
Darius Ossami
## TAGS
Infrastruktur
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Schwerpunkt Klimawandel
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Schwerpunkt Klimaproteste
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