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# taz.de -- Planungen für die TVO: Zurück zum Beton
> taz-Serie „Was macht eigentlich …“: Die Tangentiale Verbindung Ost soll
> nun endlich kommen. Die Kritik an der Schnellstraße ebbt gleichwohl nicht
> ab.
Bild: Aus Protest gegen die TVO-Planungen hatten Klimaaktivist*innen im Mai sch…
Berlin taz | Das Projekt ist mausalt, sein Nutzen inzwischen umstritten –
trotzdem setzt der schwarz-rote Senat alles daran, dass die Tangentiale
Verbindung Ost gebaut wird. Mitte November verkündete Verkehrssenatorin
Manja Schreiner (CDU), dass das Planfeststellungsverfahren für die TVO
abgekürzte Schnellstraße im Osten Berlins begonnen hat.
„Wir bündeln Verkehr, entlasten Wohngebiete von Verkehr und Lärm“, sagte
Schreiner. Und dass der Osten und Südosten Berlins hätten schon „viel zu
lange auf diesen Lückenschluss warten“ müssen. Tatsächlich gehen die
Planungen für [1][die gesamte TVO zwischen dem Berliner Ring] im Norden und
der A113 im Süden auf das Jahr 1969 zurück.
Das nördliche Teilstück zwischen Ahrensfelde und Biesdorf entstand in den
1970er Jahren, das südliche Teilstück von der Straße An der Wuhlheide bis
zum Adlergestell wurde 2007 fertiggestellt. Nun soll also das fehlende 7,2
Kilometer lange Mittelstück gebaut werden.
„Die Effekte sind die gleichen wie bei der A100“, so Verkehrssenatorin
Schreiner. Tatsächlich wird die anvisierte Betonschneise ebenso wie der
geplante 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn über Treptow hinaus Richtung
Prenzlauer Berg vornehmlich damit begründet, dass der Wirtschaftsverkehr
flotter fließen könnte und eben die anderen Straßen in dem Bereich
entlastet würden.
„Wir ertrinken im Verkehr“, sagt etwa Peter Ohm, Vizepräsident des Verbands
Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN). Der Verband ist Mitglied im
Planungsbeirat. Verbände wie der VDGN und die Industrie- und Handelskammer
sowie fast alle Parteien sprechen sich daher auch seit Jahren für die TVO
aus.
Auch der rot-grün-rote Vorgängersenat war für den Bau der TVO, wollte diese
aber mit einem parallelen Radschnellweg und einer Bahntrasse koppeln. In
der aktuellen Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD ist freilich nur noch
von der Schnellstraße die Rede. Noch bis 2026 soll der Bau beginnen.
Gerechnet wird mit täglich bis zu 33.000 Fahrzeugen in beiden Richtungen.
## BUND geht von weitaus teureren Kosten aus
[2][Die TVO wäre dabei nach der A100 die zweitteuerste Straße Berlins.] Die
geschätzten Baukosten lagen 2018 noch bei 155 Millionen Euro, inzwischen
wird offiziell von 351 Millionen Euro gesprochen. Der Bund für Umwelt und
Naturschutz (BUND) ist sich sicher, dass die TVO weitaus teurer wird.
„Verwaltungsintern wird derzeit unserer Kenntnis nach von Kosten von
mindestens einer halben Milliarde Euro ausgegangen“, heißt es vom BUND
Berlin auf taz-Anfrage.
Davon, so der BUND weiter, müssten über die Hälfte aus dem Berliner
Landeshaushalt kommen. Ein Wahnsinn, findet der Verband. Dies umso mehr,
als es Berlin mit den vorhandenen Geldern „nicht einmal schafft, die
bereits bestehende Infrastruktur instandzuhalten“.
Nicht nur für die Verkehrsverwaltung ist die TVO indes alternativlos. „Wir
brauchen Verlässlichkeit im Nahverkehr“, argumentiert auch Peter Ohm vom
VDGN. „Bahnstreiks, Klimakleber und Preisentwicklung“ hätten für eine
Abkehr der Leute vom ÖPNV gesorgt. Zudem sei der Nahverkehr im Berliner
Osten nicht so ausgebaut wie in der Innenstadt. Da, so Ohm weiter, auch
Busse im Stau feststeckten, würde der ÖPNV sogar davon profitieren, „wenn
die Straßen freier wären“.
Bei der Bürger*innen-Initiative Wuhlheide sorgen solche Sätze für
Kopfschütteln. Die Initiative will Anwohner*innen über die möglichen
Folgen der TVO informieren. Katja vom Presseteam der Initiative ist
überzeugt: „Es wird noch mehr Verkehr von außen zum BER folgen und es kommt
zu Staus auf der TVO.“ Ortskundige Autofahrende würden weiterhin auf die
bekannten Routen ausweichen. Dazu käme der Schwerlastverkehr.
## Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten
Aus der Verkehrsverwaltung heißt es zwar, es sei „nicht zu erwarten, dass
die TVO für den Transitverkehr genutzt wird“. Genau das befürchtet
allerdings der BUND, da die Route über die TVO 20 Kilometer kürzer wäre als
der Weg über den Berliner Ring und als Stadtstraße nicht mit einer Maut
belegt werden könne.
Auch verkehrswissenschaftlich sei eines belegt, so der BUND: „Neue
Straßenkapazität und neue attraktive Verbindungen erzeugen immer
zusätzlichen Straßenverkehr.“ Die TVO sei daher nur eine Scheinlösung, weil
das eigentliche Problem nicht angegangen werde: die Notwendigkeit, den
Straßenverkehr massiv zu reduzieren.
Katja von der Bürger*innen-Initiative sieht das genauso: „So werden die
Verkehrsprobleme in Biesdorf nicht gelöst, sondern einfach nach Karlshorst
und Schöneweide verlagert, nach dem Motto: Hauptsache, nicht vor meiner
Haustür.“ Den betroffenen Menschen wäre eher geholfen, wenn es attraktive
ÖPNV-Verbindungen und sichere Radwege als Alternative gebe.
## Planung für Nahverkehrstangente nicht prioritär
Konkret schlägt die Initiative zudem eine dichtere Taktung der S-Bahnlinien
S3 und S5 und der U-Bahnlinie U5 vor sowie unter anderem einen Ausbau des
Tram- und Busverkehrs zwischen Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick.
Auch der BUND pocht mit Blick auf die Tram auf einen Lückenschluss zwischen
Mahlsdorf und Hellersdorf. Mit nur etwas über zwei Kilometern Strecke ließe
sich so eine neue und vor allem attraktive Tangente schaffen.
[3][Eine Alternative könnte auch eine zweigleisige Schienen-TVO sein], im
Amtsdeutsch als Nahverkehrstangente (NVT) bezeichnet. Damit könnte der
äußere Bahnring geschlossen werden, der eine Lücke im östlichen Teil hat.
Bis Ende des Jahres soll für die NVT „ein sogenannter Systementscheid
vorbereitet werden, der klärt, ob die Strecke für den
Schienenpersonennahverkehr als S-Bahn oder als Regionalverkehrslösung
ausgeführt wird“, teilt die Verkehrsverwaltung mit. Und: „Die Planung für
die Nahverkehrstangente befindet sich aktuell in der Phase der
Grundlagenermittlung.“ Mit anderen Worten: Das kann dauern.
Und dann ist da noch der Wald. Gerade erst wurde im Waldzustandsbericht
festgestellt, dass es den Berliner Bäumen erheblich schlechter geht als
denen in Brandenburg. Was auch an der „starken Zerschneidung der Berliner
Wälder durch Verkehrstrassen und Wohnungsbau“ liege. Für den mindestens
vierspurigen Verkehrstraum aus Beton müssten 15 bis 16 Hektar Wald in der
Wuhlheide gefällt werden, darunter vier bis fünf Hektar mit 80 Jahre alten
Eichen.
## Initiative bereitet Petition vor
Bestimmte Flächen sollten „einer Gestaltung und Aufwertung zugeführt
werden“, heißt es hierzu wolkig aus der Verkehrsverwaltung. Auch seien „auf
den trassenfernen Maßnahmenflächen“ Aufforstungen und Artenschutzmaßnahmen
vorgesehen. Zudem soll die Rudolf-Rühl-Allee zurückgebaut werden. „Eine
Entsiegelung der Rudolf-Rühl-Allee ist sicher nicht falsch“, findet der
BUND. „Aber letztlich wird eine alte Schneise durch eine breitere neue
ersetzt. Bäume erreichen jedoch erst nach Jahrzehnten ihren vollen Wert im
Biotop.“
Und an einer massiven Reduzierung des Straßenverkehrs führe allein schon
wegen der Klimakrise kein Weg vorbei. Klar sei: Die TVO weise in die
komplett andere Richtung. Auch deshalb bereitet die Bürger*innen-Initiative
Wuhlheide aktuell eine Petition vor, mit der der Senat aufgefordert wird,
den Antrag für den Beginn des Planfeststellungsverfahrens wieder
zurückzuziehen. Im Januar sollen die Unterschriften an den
Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses übergeben werden.
Die Erfolgschancen der Petition sind bescheiden. Das gilt aber auch für den
vom Senat anvisierten Baubeginn in dieser Legislaturperiode. Peter Ohm vom
VDGN glaubt, dass eine Fertigstellung bis Ende der 2020er Jahre
„realistisch“ sei. Utopisches Wunschdenken, entgegnet der BUND: „Wir
rechnen mit zahlreichen Widersprüchen und behalten uns auch eine Klage
vor.“ Neben der Biotopzerstörung gehe es auch um den Einfluss des
Straßenbaus auf das Wasserschutzgebiet des Wasserwerks Wuhlheide. „Was
bedeutet das für die Grundwasserneubildung in einer immer trockener
werdenden Region?“
„Selbst wenn der Planfeststellungsbeschluss für die TVO in hohem Tempo
vorangetrieben wird, glauben wir nicht daran, dass eine zügige Realisierung
der TVO überhaupt möglich ist“, heißt es auch von Antje Kapek, der
verkehrspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.
Neben der Bedrohung von Flora, Fauna und Klima stünden den Planungen
zusätzlich explodierende Kosten und drohende langjährige Klageverfahren
entgegen. „Eine Inbetriebnahme ist selbst bei dem optimistischsten Verlauf
nicht vor 2035 realistisch. Rechnen wir Kostensteigerungen und die üblichen
Berliner Bauverzögerungen hinzu, sind wir locker 10 Jahre weiter“, so
Kapek. Dann wäre die TVO erst 2045 fertig. Bis dahin wollte Berlin
eigentlich klimaneutral sein.
20 Dec 2023
## LINKS
[1] /Rodungen-fuer-Umgehungsstrasse/!5953091
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## AUTOREN
Darius Ossami
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