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# taz.de -- Widerstand gegen LNG auf Rügen: Das ungeliebte Terminal
> Hambacher Forst, Lützerath und jetzt Rügen? Der Widerstand gegen das dort
> geplante LNG-Terminal breitet sich aus.
Bild: Hai gegen LNG: Klimaaktivist*innen demonstrieren auf Rügen gegen den Bau…
Hamburg taz | Sie laden ihn immer wieder ein, schreiben Sammelbriefe und
Mails, tippen Einwendungen. Monatelang antwortet er den Menschen auf Rügen
nicht. Aufgeben will hier niemand. Sie sammeln 90.000 Unterschriften,
fahren damit in den Bundestag, streiten im Petitionsausschuss mit
Abgeordneten. Und dann kommt er. Olaf Scholz. Hubschrauber, Polizeischutz,
schwarzer Mercedes. An einem Donnerstagnachmittag Ende April rollt die
Kanzlerlimousine in Binz ein. Hunderte Menschen haben sich vor dem Haus des
Gastes versammelt. Unter Pfiffen steigt Scholz aus.
Seitdem ist noch viel passiert im Streit zwischen der Insel und der
Hauptstadtpolitik. Es dürfte wenig Orte in Deutschland geben, wo
Bundespolitiker aktuell unbeliebter sind. Es begann mit diesem Besuch des
Kanzlers, der ein Moment der Hoffnung war für die Gegner des Projekts, auf
den sie lange hingearbeitet haben.
Er war hier mal im Urlaub, weiß, wie schön die Insel sei, sagt Scholz im
April den knapp 60 Anwesenden im Haus des Gastes. Ausgerechnet hier,
zwischen Sandstränden und Kreidefelsen, will der Bund ein LNG-Terminal
bauen. Drei Anlandestellen hat man in der Republik im Eiltempo und ohne
großes Aufsehen in Betrieb genommen. Auf Rügen ist das anders. Seit
Ankündigung des Bauvorhabens im Februar 2023 formiert sich der Widerstand
in allen erdenklichen Formen: Konzerte, Klanginstallationen, Petitionen,
rotes „Kein LNG“-Merchandising, Demos, Performancekunst, Podien,
Menschenketten und Blockaden von Pipelineröhren.
Scholz kommt nicht, um die Wogen zu glätten. Er verteidigt Deutschlands
Energiepolitik. Die Akzeptanz in der Region hat er längst verloren, der
Protest könnte sich auf den Rest der Republik ausbreiten.
## Die Menschen auf Rügen fürchten leere Betten
Das geplante Terminal ist zwar im Zuge der Proteste verkleinert und von
Sellins Ostseebadküste in den Industriehafen Mukran verschoben worden. Und
es sollen statt bis zu vier Schiffe [1][nur zwei sogenannte schwimmende
LNG-Terminals stationiert werden]. Die Jahreskapazität reduziere sich damit
von 18 Milliarden auf rund 10 Milliarden Kubikmeter Gas, heißt es aus
Ministeriumskreisen. Doch den Menschen auf Rügen ist das egal. Sie wollen
kein Terminal; fürchten leere Betten in der Saison, schwere Folgen für
Umwelt und Klima durch Schiffsverkehr und Pipelinebau.
Scholz kommt nicht, um zu fragen. Und er kommt mit dem grünen
Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sozialdemokratischen
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, Gaslobbyvertretern und eigenen
Experten. Das Gespräch findet hinter verschlossenen Türen statt. Karsten
Schneider, Bürgermeister von Binz, sieht sich vor vollendete Tatsachen
gestellt: „Das Gespräch war nicht auf Augenhöhe“, sagt er später am
Telefon. Seine Bedenken wurden abmoderiert, Scholz sei ausgewichen, habe
auf Fragen nicht geantwortet.
Diese Erfahrung macht Schneider nicht zum ersten Mal: Schon im
Petitionsausschuss des Bundestags zeigten sich die Entscheider
„ergebnisoffen“, hatten aber schon kurz vorher die Landesregierung
Mecklenburg-Vorpommern [2][über die Gesetzesänderung und den neuen Standort
Mukran informiert]. Undemokratisch nennt Schneider das.
Habeck sucht Mitte Mai erneut den Dialog auf Rügen, während er in Berlin
weiter Fakten schafft. Der Standort Mukran wurde ins
LNG-Beschleunigungsgesetz aufgenommen, die Röhren für die Pipeline in das
am Festland gelegene Lubmin bereits gekauft. Ohne die bestehenden drei
LNG-Terminals wäre Deutschland letzten Winter in eine Gasmangellage
geraten, erklärte Habeck zuletzt in einem Schreiben an die
Koalitionsfraktionen. Man brauche einen Puffer: lieber haben als brauchen.
Die Menschen auf Rügen sehen das anders und verweisen auf eine ganze Reihe
von Studien und Prognosen. Selbst bei einem ersatzlosen Ausfall aller
Terminals wären die Gasreserven im letzten Winter am niedrigsten
Speicherstand von 64 Prozent lediglich auf 54 Prozent gesunken, rechnete
kürzlich der Online-Newsletter Berlin.Table aus.
Einen Beweis, dass es Bedarf für das Flüssiggas gibt, bleibt der Bund auch
nach monatelanger Planung schuldig. Das sieht inzwischen auch
Bundesumweltministerin Steffi Lemke so. „Ich gehe davon aus, dass bei der
Festlegung von Standorten für LNG-Terminals ein sorgfältiger
Bedarfsnachweis erfolgt, der Überkapazitäten vermeidet“, sagt Lemke nach
Informationen der Süddeutschen Zeitung vergangene Woche in einer
Kabinettssitzung zu ihrem Parteikollegen Habeck. Auch die Grüne Jugend
wendet sich von den Plänen des Wirtschaftsministers ab.
Der Konflikt bekommt eine neue Dynamik, die schon bekannt erscheint. Unter
Federführung eines grünen Ministers soll Energieinfrastruktur geschaffen
werden, die Deutschlands Klimaziele bedroht, während die Opposition teils
aus den eigenen Reihen kommt. Auch die Proteste haben sich verändert. Am
Anfang waren es ein paar Hundert wütende Insulaner, inzwischen haben sich
Aktivist:innen von Ende Gelände und Fridays for Future dem Widerstand
angeschlossen. Am Samstag gab es einen Aktionstag auf der Insel mit
Demonstrationen, Zeltcamp, Erzählabend am Lagerfeuer, ein veganes
Pizzakollektiv versorgt den Widerstand.
Auch Luisa Neubauer war vor Ort
Der ursprünglich vom Bund beauftragte Energiekonzern RWE ist derweil
ausgestiegen. Man will offenbar ein zweites Lützerath vermeiden. Auch die
Aktivistin Luisa Neubauer war bereits vor Ort und bewertet den Ausstieg von
RWE als Erfolg. Die Deutsche ReGas übernimmt.
Am Wochenende legte Mecklenburg-Vorpommerns sozialdemokratischer
Umweltminister Till Backhaus dem Bund einen Wunschzettel in Höhe von 1
Milliarde Euro vor. Ein Investitionspaket solle helfen, „Akzeptanz in der
Region zu schaffen“. Dabei war es seine Ministerpräsidentin Manuela
Schwesig, die beim Kanzler vergangenen Sommer um das Terminal geworben hat.
Und was sagt die Region dazu? „Mit uns hat bis heute niemand gesprochen“,
erklärt Bürgermeister Schneider. Es handle sich um
Industrialisierungsmaßnahmen, die für den Bau des Terminals ohnehin
getroffen werden müssten. Für Schneider ist es ein „Versuch des Erkaufens�…
den die Region geschlossen ablehne, denn „Natur kann man nicht kaufen“.
Der Konflikt steuert auf eine baldige Entscheidung zu. Der Zeitplan für das
Terminal ist knapp, weiß auch Habeck: „Wenn wir das noch in diesem Jahr
schaffen wollen, müsste man im Sommer anfangen zu bauen“.
Im Hintergrund bereiten die Region Binz und die Deutsche Umwelthilfe Klagen
gegen einen möglichen Baubeginn vor. Die Menschen auf Rügen wollen das
Vorhaben nun verzögern. Sie hoffen darauf, dass die Gasspeicher auch ohne
ihre Mithilfe im Winter gefüllt bleiben.
31 May 2023
## LINKS
[1] /Protest-gegen-Gasterminal-vor-Ruegen/!5930285
[2] /Kritik-an-LNG-Terminal-auf-Ruegen/!5935441
## AUTOREN
Thore Rausch
## TAGS
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