| # taz.de -- Filmfestspiele Cannes 2023: Lichtnahrung und Wässerchen | |
| > Cannes Cannes 6: Aki Kaurismäki lässt viel trinken, in Jessica Hausners | |
| > „Club Zero“ wird gefastet: Verhärtete Schüler stehen ratlosen Eltern | |
| > gegenüber. | |
| Bild: Langsame Annäherung: Supermarktangestellte Ansa (Alma Pöysti), Tagelöh… | |
| An der Croisette ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch | |
| dieses Jahr gegenwärtig, obwohl weniger manifest als im vergangenen Jahr. | |
| So hat der finnische Regisseur [1][Aki Kaurismäki in seinem | |
| Wettbewerbsbeitrag „Fallen Leaves“, seinem ersten Film seit „Die andere | |
| Seite der Hoffnung“ von 2017], den Krieg in die Handlung eingebaut. | |
| Zumindest als Nachrichten aus dem Radio dringt dessen Realität durch. | |
| Ansonsten könnte der Film des großen Lakonikers des Kinos ebenso gut vor | |
| dieser „Zeitenwende“ spielen, auf das Leben seiner Protagonisten hat er | |
| keine merkliche Auswirkung. Die Supermarktangestellte Ansa (Alma Pöysti) | |
| wird eines Tages gefeuert, weil sie abgelaufene Lebensmittel aus dem | |
| Kühlregal mit nach Hause nehmen wollte. Der Tagelöhner Holappa (Jussi | |
| Vatanen) kann seine Tage nicht ohne regelmäßige Wodkazufuhr durchstehen, | |
| bis er bei einem Arbeitsunfall auffliegt. | |
| ## Müder Cineastenwitz | |
| Die beiden Arbeitslosen begegnen sich zufällig, eine Annäherung, wie bei | |
| Kaurismäki üblich, bahnt sich sehr allmählich und mit sehr wenigen Worten | |
| an. Auf dem Weg zueinander gibt es das eine oder andere Hindernis, etwa | |
| dass Holappa die Telefonnummer von Ansa in dem Moment, in dem sie ihm den | |
| Zettel gibt, gleich wieder verliert, weil der Wind sie beim Einstecken in | |
| die Hosentasche unbemerkt davonweht. | |
| Vieles in diesem Film ist vertraut, was an sich kein Schaden ist. Doch zu | |
| vieles wirkt nach abgespulter Routine, so als habe Kaurismäki eine | |
| Fingerübung gemacht, um zu schauen, ob er mit seiner Mischung aus Komik und | |
| Melancholie noch 80 Minuten Spieldauer zu füllen vermag. Selbst der Krieg | |
| läuft unverbunden wie ein bloßer Fremdkörper neben dem Rest des Geschehens | |
| her. Wenn Ansa und Holappa im Kino Jim Jarmuschs Zombiekomödie „The Dead | |
| Don’t Die“ gucken und zwei andere Kinobesucher den eher albernen Film | |
| hinterher mit Godard und Bresson vergleichen, ist das ein allenfalls müder | |
| Cineastenwitz. | |
| ## Atemübungen vor jedem Bissen | |
| Als Komödie angelegt ist vermutlich auch Jessica Hausners im Wettbewerb | |
| gezeigter Film „Club Zero“. Die [2][österreichische Regisseurin, die 2019 | |
| mit „Little Joe“] in Cannes ebenfalls für die Goldene Palme angetreten war, | |
| hat sich für ihre aktuelle Arbeit ein britisches Internat als Ort der | |
| Handlung ausgesucht. Privilegierte Kinder reicher Eltern sollen dort unter | |
| dem Leitspruch „There is more in you“ bestmöglich ausgebildet und geförde… | |
| werden. | |
| Die junge Lehrerin Miss Novak (Mia Wasikowska) ist neu im Kollegium, um den | |
| Schülern „bewusstes Essen“ beizubringen. Ihre kleine Gruppe ist hoch | |
| motiviert, sie wollen sich gesünder ernähren, den Konsum einschränken und | |
| mit ihrem Verhalten zu einer umweltgerechten Produktion von Nahrung | |
| beitragen. Zunächst beginnen sie, ihre Portionen zu reduzieren und | |
| langsamer zu essen, Atemübungen vor jedem Bissen gehören zu dieser Praxis | |
| dazu. | |
| ## Guru für die richtige Lebensweise | |
| Hausner inszeniert diesen Zirkel, bei dem die Gruppe dicht an dicht im | |
| Kreis sitzt, als Sekte, mit Miss Novak als Guru für die richtige | |
| Lebensweise. Mit weniger essen allein ist es bald nicht mehr getan, der | |
| Film heißt nicht umsonst „Club Zero“. Von Lichtnahrung ist die Rede, ein an | |
| Diabetes leidender Schüler landet kurz darauf im Krankenhaus, weil er | |
| neben der Nahrung sogar auf sein Insulin verzichtete. | |
| Die Sorgen der „Letzten Generation“ werden von Hausner so sarkastisch auf | |
| die Spitze getrieben. Bei ihr stehen ideologisch verhärtete Schüler ihren | |
| ratlosen Eltern gegenüber, die in ihrem Lebensstil weitgehend so abgehoben | |
| sind, dass sie ihren Nachwuchs nicht einmal im Ansatz verstehen. Als | |
| Figuren verharren sie auf dem Niveau von Abziehbildchen. Auch die | |
| Auseinandersetzung mit dem Thema ist plump gehalten und gibt sich am Ende | |
| mit wenigen Ideen zufrieden. Zu wenigen, um wirklich zu befriedigen. | |
| 23 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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