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# taz.de -- Wissenschaft und Politik: Die neue Macht der Forschung
> Wenn es um globale Katastrophen wie die Klimakrise oder die
> Coronapandemie geht, müssen Wissenschaftler:innen ihre Rolle neu
> definieren.
Bild: Gregor Hagedorn, Forscher im Museum für Naturkunde, bei einer Fridays fo…
Berlin taz | Die Welt wird von multiplen Krisen erschüttert, die kein Ende
zu nehmen scheinen: Viren, Klima, Kriege, Inflation. Die Wissenschaft ist
sofort zur Stelle, um das Ausmaß der Schäden zu vermessen und
Ursachenanalyse zu betreiben. Aber kann sie kann auch dabei helfen, mit
ihrem Wissensfundus natürliche und gesellschaftliche Desaster zu vermeiden?
Welche Lehren hat die Forschung aus den jüngsten Krisen gezogen?
Insbesondere in [1][Krisenzeiten] beeinflusst Wissenschaft die Politik. Das
zeigt sich am Beispiel des Berliner Virologen Christian Drosten, der im
ersten Pandemiejahr zum Corona-Erklärer der Nation wurde, oder auch bei den
Warnungen des Weltklimarates IPCC, die Erderwärmung nicht um 1,5 Grad
Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau ansteigen zu lassen. Wenn
es um die Klimakrise, um Pandemien und globale Katastrophen geht, scheint
es fast, als ob aus Wissenschaftler:innen politische
Entscheidungsträger:innen werden.
Auf Seiten der Wissenschaft kann Gregor Hagedorn eine solche Selbsterhöhung
nicht erkennen. Er ist Mitbegründer der Initiative Scientists4Future, die
sich aus der Forschung heraus aktiv und faktenbasiert in die
gesellschaftliche Klimadebatte einmischen wollen. „Ich kenne einige
Nicht-Wissenschaftler:innen, die zwar hoffen, dass
Wissenschaftler:innen die besseren Politiker:innen seien“, sagt
Hagedorn. „Aber ich kenne keine ernstzunehmende Wissenschaftler:in, die das
von sich oder ihren Kolleg:innen glaubt“.
## Mehr Verantwortung
Tatsächlich gewinnt in Krisenzeiten der Faktor Verantwortung an Gewicht.
„Als Wissenschaftler:innen haben wir gesellschaftliche Pflichten wie
andere Bürger:innen auch“, bemerkt der Forscher, der am Berliner Museum
für Naturkunde tätig ist.
Wenn sich jemand beispielsweise mit Brandschutz auskenne und erkenne, dass
in einem Gebäude ein potentiell tödliches Brandrisiko vorhanden ist, dürfe
er sich nicht in sein Fachsilo zurückziehen und sagen, hier mische ich mich
nicht ein. Deshalb sagt Hagedorn – und beschreibt damit das
Selbstverständnis seiner Klimainitiative: „Wir sollten daran arbeiten, eine
neue Mischung von Arbeitsteilung und Verantwortungsübernahme zu erproben“.
Ein großer Hemmschuh bei der frühzeitigen Vorbereitung auf
Krisensituationen ist die Schubladisierung von Wissen – seine Archivierung,
statt es via Transfer in die Anwendung zu bringen. Als die Coronapandemie
im März 2020 in Deutschland ausbrach, erinnerten sich einige Fachleute
daran, dass genau dieses Szenario in einer Studie des Robert-Koch-Instituts
bereits im Jahr 2012 durchgespielt worden war. Doch als der Ernstfall da
war, fehlte es an vielem: Schutzmasken, Testsets, später Impfstoffe, die
digitale Vernetzung der Gesundheitsämter, koordinierte klinische Forschung.
## Ein Drittel des Personals in den Ruhestand
„Wir haben in Deutschland gesehen, dass wir nicht die
infektionsepidemiologischen Forschungsinfrastrukturen hatten, die wir
gebraucht hätten“, sagt im Rückblick Berit Lange, die als Epidemiologin am
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig tätig ist.
„Aus meiner Sicht muss einer der zentralen Lerneffekte sein, dass man die
Infrastrukturen, die deshalb jetzt aus der Wissenschaft heraus aufgebaut
werden, langfristig mit Ressourcen ausstattet.“
Eine schnellere [2][Digitalisierung der Gesundheitsbranche] ist für den
Chef der Berliner Charité-Universitätsklinik, Heyo Kroemer, eine weitere
Konsequenz aus der Coronakrise in Deutschland. Und dies nicht nur zur
Vorbereitung auf die nächste Virusattacke, sondern auch zur Abwendung eines
schleichenden Gesundheitsnotstandes.
In den medizinischen Einrichtungen würde in den kommenden zehn Jahren ein
Drittel der heute Beschäftigten in den Ruhestand gehen, berichtete Kroemer
jüngst auf dem Forschungsgipfel in Berlin. „Ohne Digitalisierung werden wir
das derzeitige Versorgungsniveau nicht halten können“, warnte der
Klinikchef. Tatsächlich aber rangiere Deutschland bei der
Gesundheitsdigitalisierung auf einem der letzten Plätze in Europa.
## Die neue Rolle der Forschung
Ein großes Hemmnis zur besseren Nutzung von Patientendaten für die
medizinische Forschung sei der Datenschutz, wie sich am immer noch
ausstehenden Gesundheitsdatennutzungsgesetz zeige. Weil ein starker Trend
aber auch zunehmend in digitale Gesundheitsangebote für Verbraucher gehe,
würden diese Angebote verstärkt aus USA und China kommen. Deutschland drohe
darum, so Kroemers Worte, „eine Teslarisierung des Gesundheitswesens“. Mit
technologisch besseren Produkten würden ausländische Anbieter der deutschen
Medizintechnikbranche das Wasser abgraben.
Die Debatte über die neue Rolle der Forschung wird auch auf dem
[3][G7-Gipfel der Staats- und Regierungschef] vom 19. bis 21. Mai 2023 im
japanischen Hiroshima geführt werden. Dazu haben die Wissenschaftsakademien
der sieben Länder – aus Deutschland die Nationale Akademie der
Wissenschaften Leopoldina – gemeinsame Stellungnahmen zu drei großen
aktuellen Herausforderungen erarbeitet.
Dabei handelt es sich neben den Folgen des menschenverursachten
Klimawandels um die sozioökonomischen und gesundheitlichen Folgen der
Coronapandemie sowie um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
„Diese drei aufeinandertreffenden und einander verstärkenden Krisen
verdeutlichten, dass dringender Handlungsbedarf besteht“, heißt es in der
Stellungnahme. So gebe es beim Klimaschutz „derzeit erhebliche Defizite auf
dem Weg zu den Pariser Klimazielen“. Notwendig sei „ein rasches und
entschlossenes Handeln, um multiple Krisenkonstellationen zu bewältigen und
die Entwicklung resilienter Gesellschaften zu fördern“.
Von Bedeutung für die neue Rolle der Forschung ist auch, dass die
Wissenschaft nicht über die Menschen bestimmt, sondern sie beim notwendigen
Handeln mit einbezieht. Das verlangt andere kommunikative Ansätze, wie auch
der Präsident der Leopoldina, Gerald Haug, einräumt: „Wir Wissenschaftler
machen häufig den Fehler, dass wir Schreckensszenarien als Motivation
zeichnen, statt einen optimistischen Ausblick auf eine nachhaltige Welt zu
geben, der da hieße: Klimaneutralität rechnet sich“.
Die Herausforderungen und ihre Lösungsansätze sollten positiv konnotiert
werden. „Wir können es technisch erreichen“, wäre für Haug die bessere
Botschaft. Worauf wie von selbst der Appell folgt: „Es gibt keinen Grund,
dass wir das jetzt nicht umsetzen“.
10 May 2023
## LINKS
[1] /Multiple-Krisen/!5893456
[2] /Elektronische-Patientenakte/!5918459
[3] /G7-Aussenministerinnen-in-Japan/!5926028
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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