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# taz.de -- Druck in der Forschung: Wenn die falschen Mühlen mahlen
> Hunderttausende Forschungsartikel können gefälscht sein – Ergebnis
> sogenannter Papiermühlen. Wie Fälschungsjäger nach Fake-Artikeln
> suchen.
Bild: Ein mit KI erstelltes Foto der menschlichen DNA
„Publish or Perish“ heißt intern das grimmige Motto der Wissenschaft:
Veröffentliche oder verrecke! Publikationen sind unerlässlich für Titel,
Forschungsgelder und Karriere. Immerhin sind sie das Gütesiegel, das
anzeigt, ob es ein Ergebnis durch die Qualitätskontrolle von Fachblättern
und Kolleg*innen geschafft hat.
Doch mit wachsendem Wettbewerb und steigendem Anspruch an Lebensläufe
erhöht sich auch der Publikationsdruck. Das geschieht manchmal auch über
das Leistbare hinaus. In China beispielsweise sollen Ärzt*innen ihre
Veröffentlichungen oft noch nach den Überstunden erledigen. Die
Veröffentlichungen selbst sind harte Arbeit und zwischen Hypothese,
Testungen und Einreichung vergehen oft vielbeschäftigte Jahre – und dann
manchmal nur Minuten, bis das Fachmagazin dankend ablehnt. Was also, wenn
einem jemand dezent anbietet, sich die ganze Mühe zu sparen?
Wer den Weg zur Veröffentlichung abkürzen will, dem machen die Papiermühlen
online mehrere unmoralische Angebote. Als Unterhändler verbinden sie
Möchtegern-Autor*innen mit Ghostwritern, die sich scheinbar
wissenschaftliche Artikel aus den Fingern saugen, oder mit
(Gast-)Lektor*innen, die solche Artikel durchwinken. Manche Unterhändler
agieren selbst als Fake-Fachmagazine, in denen publiziert wird.
Andere verkaufen Autor*innenenschaften auf Manuskripten, die von
echten Fachmagazinen akzeptiert wurden. Ihre Kontakte finden sich auf
Websites, in den E-Mail-Postfächern von Forschenden, oder geflüstert unter
verzweifelten Doktorand*innen. Am Ende steht das wissenschaftliche
Äquivalent einer Fassadenstadt – eine Reihe von Artikeln, die
ernstzunehmend aussehen, ohne dahinterstehende Erkenntnis oder Leistung.
Die sich einen wissenschaftlichen Anstrich geben, ohne diesen wirklich
auszufüllen.
## Zwei Prozent aller Veröffentlichungen
Bis zu zwei Prozent aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen könnten
solche Fake Paper sein, [1][sagt eine Analyse], die dem Fachblatt Nature
vorliegt. Adam Day, der sie durchgeführt hat, untersuchte dafür mit einem
Machine Learning Tool rund 48 Millionen Titel und Kurzzusammenfassungen
wissenschaftlicher Artikel. Sie sind der einzige Teil einer
wissenschaftlichen Arbeit, der standardmäßig offen verfügbar ist.
Laut Day ist das Problem in den letzten Jahren immer weiter gewachsen und
betrifft besonders die Biomedizin, aber auch Chemie, Computerwissenschaften
und Business. Welche der von der Software markierten Artikel allerdings
tatsächlich bedenklich sind, könne nur eine Einzelfallanalyse zeigen: „Es
braucht menschliche Augen“, sagt Day.
Um Fachartikel in Massen zu produzieren, kopieren Paper Mills oft
vorhandene Forschung, die sie automatisch umformulieren, um der
Plagiatserkennung zu entkommen. Erkennbar ist das etwa an Sätzen, die
unnatürlich verbogen wurden, oder an Synonymen, die nur Computern
einfallen. So wird etwa aus „Big Data“ der Begriff „Colossal Information�…
Andere Artikel folgen den immer gleichen Mustern: Stapelweise Studien
erörtern dieses Protein in jener Erkrankung, aber die Ergebnisse sind bis
auf die Kommastelle die gleichen. Einige besonders geschickte Fälschungen
hat die Krebsforscherin Jennifer Byrne aufgedeckt. Die Artikel wirkten auf
jeder Ebene legitim, bis sie die Reihenfolge der angegebenen DNA Sequenzen
überprüfte.
## Die Alarmsignale
Fälschungsjäger*innen wie sie haben eine ganze Reihe solcher
Alarmsignale zusammengetragen. Die Verlagsinitiative „Integrity Hub“
[2][verfügt inzwischen über 70]. Viele werden im herkömmlichen „Peer
Review“ Verfahren aufgedeckt. Das heißt, die Artikel werden entweder von
den Lektor*innen der Fachmagazine abgelehnt oder von den Forschenden,
die sie im Anschluss begutachten. „Das System funktioniert“, betont Adam
Day. Was seine Software als bedenklich eingestuft hat, wurde auch in der
menschlichen Kontrolle durchgängig öfter zurückgewiesen.
Doch nicht jedes Journal hat die gleichen Qualitätsstandards und alle
ächzen unter der wachsenden Anzahl an Studien. Allein letztes Jahr wurden
fast 50 Prozent mehr neue Artikel verzeichnet als noch 2016. Um 3.000
Artikel nachträglich zu überprüfen, [3][braucht Springer Nature ein Team
von zehn Leuten].
Gleichzeitig haben Verlage einen Anreiz, viel zu publizieren. Die meisten
verdienen ihr Geld mit den horrenden Veröffentlichungsgebühren für
Autor*innen. Dagegen begutachten Forschende die Artikel meist unentgeltlich
und entsprechend schwerfällig. Das erlaubt den Paper Mills, ihre eigenen
bezahlten Gutachter*innen vorzuschieben. Um Schwachstellen zu finden,
schicken sie ihre Texte an viele Fachblätter gleichzeitig. Da, wo es ein
Artikel durch die Maschen schafft, fluten sie anschließend den Posteingang
mit weiteren gefälschten Manuskripten.
## Vertrauensverlust in die Forschung
Was heißt das nun für die Qualität wissenschaftlicher Arbeit? „Die meisten
Forschenden ignorieren diese Artikel“, erklärt Richard van Noorden, der
über die Analyse berichtet hat. „Aber in manchen Forschungsfeldern ist die
Masse inzwischen mühsam auszusortieren.“ Fake-Studien können es in
Meta-Analysen oder KI-Datenbanken schaffen und dort Ergebnisse verfälschen.
Dazu kommt der mögliche Vertrauensverlust in die Fachblätter und in die
Forschung.
Umso fieberhafter läuft die Suche nach automatisierten Werkzeugen, die die
Maschen im Veröffentlichungsprozess schließen. Ein Aspekt, der sich von
Computern gut überprüfen lässt, sind zum Beispiel die Quellenangaben – Fake
Paper zitieren sich gern gegenseitig. Auch Fehler in den DNA-Sequenzen, wie
sie Byrne aufgedeckt hat, lassen sich automatisch überprüfen.
Dagegen soll Days „Paper Mill Alarm Software“ die Sprachmuster gefälschter
Artikel erkennen. Seine Schätzung liegt nah an den Erwartungen der
Expert*innen. Die Fälschungsjägerin Elizabeth Bik nennt sie „schockierend
hoch, aber nicht unrealistisch“. Ihre eigene Analyse biomedizinischer Texte
findet ähnlich viele problematische Ergebnisse. Die Krebsforscherin
Jennifer Byrne findet sie „plausibel“ und Fälschungsjäger David Bilmer
erklärt Textanalysen zu den besten Werkzeugen, die es momentan gibt.
Überprüfen lässt sich Days Ansatz allerdings nicht. Aus Sorge um Nachahmer
und die Anpassungsfähigkeit der Papiermühlen lässt er sich, wie die meisten
Softwareanbieter, ungern in die Karten gucken. Über den Datensatz, mit dem
die Software kalibriert wurde, verrät er nur, dass die Artikelanzahl
vierstellig und die Herkunft international ausgeglichen ist. Die Analyse
beschreibt er als „Black Box mit gewissen Leitplanken“ und den Prozentsatz
an falsch positiven Signalen schätzt er als „sehr niedrig“. Die besonders
betroffenen Verlage will er aus Rücksicht auf deren Existenzgrundlage
lieber nicht offenlegen. Eine Publikation, die die Ergebnisse bestätigt,
sei höchstens für die Zukunft geplant.
## Keine felsenfeste Wissenschaft
Auch van Noorden, der für seine Einschätzung viele Perspektiven eingeholt
hat, meint: „It’s uncheckable“ und „A bit of a judgement call“. Spric…
eine Ermessensentscheidung. Sie zu veröffentlichen war ihm trotzdem
wichtig: „Wir haben hier diesen ungewöhnlichen Fall, dass jemand eine
respektierte Software gebaut hat, die uns eine Hausnummer gibt.“ Noch dazu
eine beeindruckend hohe: „Das allein macht es wertvoll, darüber zu
schreiben.“
Auch Day sieht in der Analyse keine felsenfeste Wissenschaft. „Sie ist weit
entfernt davon, für alle überprüfbar und reproduzierbar zu sein. […] Es ist
eine Schätzung. Aber im Moment glaub ich die beste, die wir haben.“ Die
Angaben der Verlage – zwischen 2 und 46 Prozent – war ihm ein zu großes
Ratespiel. Dagegen soll die Zahl helfen: „Wir nähern uns einem Zustand, in
dem wir das Problem erfassen und angehen können“.
Auch die Fälschungsexpert*innen begrüßen die Aufmerksamkeit für das
Thema. Es brauche öffentlichen Druck, um Falschspieler zu brandmarken und
die Fachmagazine aufzurütteln, fragwürdige Artikel trotz der negativen
Aufmerksamkeit zurückzuziehen. Einig sind sich alle: Statt Symptomen sollte
man die Strukturen und den Publikationsdruck angehen.
Müssen wir bis auf Weiteres also bei aller Forschung ein Fragezeichen
mitdenken? „Darüber würde ich mir keine Sorgen machen“, sagt Day. Paper
Mills gedeihen in unscheinbaren Feldern und meiden das Scheinwerferlicht:
„Das Problem betrifft eher die Forschung als Forschungsinteressierte. Viele
werden in ihrem Leben kein Fake Paper sehen.“ Der Wissenschaftsbetrieb muss
sicherstellen, dass es so bleibt.
20 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/d41586-023-03464-x
[2] https://www.stm-assoc.org/stm-integrity-hub-incorporates-clear-skies-paperm…
[3] https://www.science.org/content/article/fake-scientific-papers-are-alarming…
## AUTOREN
Franca Parianen
## TAGS
Forschung
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Medizin
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Wirtschaft
Verschwörungsmythen und Corona
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