# taz.de -- Übersetzer über Gefängnis-Geschichten: „Das Belarus-Regime sä… | |
> Geschichten aus der Haft: Übersetzer Volker Weichsel über den | |
> belarussischen Anwalt und Aktivisten Maxim Znak und sein Buch | |
> „Zekamerone“. | |
Bild: Sucht jeden Widerstand zu ersticken: der belarussische Diktator Alexander… | |
taz: Herr Weichsel, wer ist Maxim Znak? | |
Volker Weichsel: Ein belarussischer Jurist, der seit fast 1.000 Tagen als | |
politischer Gefangener in Haft sitzt. Er arbeitete 2020 für [1][Viktor | |
Babaryko], der bei den Präsidentschaftswahlen gegen Diktator Alexander | |
Lukaschenko antrat. Babaryko wurde im Wahlkampf verhaftet. Später erklärte | |
sich [2][Lukaschenko] mit einem aus der Luft gegriffenen Ergebnis von 80 | |
Prozent zum Sieger. Es folgten Demonstrationen und Polizeigewalt. | |
Präsidentschaftskandidatin Svetlana Tichanovskaja gründete einen | |
Koordinationsrat der Opposition. Znak beteiligte sich daran und wurde im | |
September 2020 als eines der letzten noch freien Mitglieder verhaftet und | |
ein Jahr später zu zehn Jahren Haft verurteilt. Alle 1.500 politischen | |
Gefangenen in Belarus wurden in Unrechtsprozessen verurteilt, aber das | |
Verfahren gegen Znak war eines der absurdesten. | |
Inwiefern? | |
Er hat sich als Jurist und Anwalt immer strikt an die geltenden Gesetze | |
gehalten – so repressiv sie auch waren. Ganz in der Tradition der | |
osteuropäischen Bürgerrechtsbewegungen setzte er darauf, dass das Regime | |
die eigenen Regeln einhalten würde. Doch in Belarus sind Gesetze die | |
Knetmasse des Diktators. | |
Wie lebt Znak heute? | |
Seit seiner Verurteilung sitzt er in einer Strafkolonie in Witebsk im | |
Nordosten von Belarus. Wir kennen die Stadt als Geburtsort der europäischen | |
Avantgarde, von dort kam der Maler Marc Chagall; auch [3][Kasimir | |
Malewitsch] hat dort anfangs gearbeitet. Heute tut das Regime dort alles, | |
um Maxim Znak das Leben zur Hölle zu machen. Er wird aus nichtigen Gründen | |
ständig in Einzelhaft verlegt, bekommt keine Post und die ohnehin seltenen | |
Besuchszeiten werden gestrichen. Es bleibt nur der Anwalt als Kontakt zur | |
Außenwelt. Doch eine beliebte Methode des Regimes ist es, Anwälten aus | |
erfundenen Gründen die Lizenz zu entziehen. | |
Sie haben „Zekamerone“ mit übersetzt. Was bedeutet der Titel? | |
Er bezieht sich einerseits auf Boccaccios Novellensammlung „Decamerone“, | |
geschrieben 1348 zu Zeiten der Pest in Florenz. Zum anderen bedeutet „Zek“ | |
im Russischen „Gefangener“. Znaks Buch entstand zu Zeiten der politischen | |
Pest in der europäischen Stadt Minsk. Bei Boccaccio erzählen sich Adlige in | |
einem Landhaus 100 Geschichten über Könige, Bauern und Ganoven. | |
Und worüber schreibt Znak? | |
Znak zeichnet ein Panorama der Gefängnisgesellschaft. Er zeigt die zynische | |
Machtausübung der Gefängnisverwaltung und porträtiert die Insassen. | |
[4][Politische Gefangene] treffen auf alteingesessene kriminelle Häftlinge. | |
„Zekamerone“ ist ein anspielungsreiches, literarisch anspruchsvolles Buch, | |
das sich einreiht in die große Lagerliteratur von Solschenizyn bis | |
[5][Schalamov.] Znaks Geschichten kommen leicht, oft humorvoll daher und | |
bergen doch tiefgründige anthropologische Betrachtungen und politische | |
Reflexionen. | |
Klingen die Texte eher resigniert oder hoffnungsvoll? | |
Auf keinen Fall resigniert. Hoffnung ist überlebenswichtig – umso mehr im | |
Gefängnis. Das belarussische Regime tut alles, um Angst und Resignation zu | |
säen und die Menschen zu brechen. Znak versteckt die Verzweiflung nicht und | |
kämpft zugleich gegen sie an. Dieses Dilemma habe ich nirgends so gut | |
aufgelöst gesehen. Jede Zeile sagt: Man kann sich an die Hoffnung klammern, | |
ohne das Gefühl zu haben: Das ist nur noch Fassade. | |
19 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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