# taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Maria, der Kampf geht weiter | |
> Folter, Isolationshaft, inhumane Verhältnisse. Bei einem Pressetermin in | |
> Berlin wird an die Situation politischer Gefangener in Belarus erinnert. | |
Bild: Maria Kalesnikova in Handschellen bei einem Gerichtstermin in Minsk, 6. S… | |
Zahlen bleiben immer ein Stück weit abstrakt; auch die Ziffern 1.496, die | |
die belarussische Menschenrechtsorganisation Viasna derzeit auf ihrer | |
Website aufführt, verraten erst mal nichts über den Schrecken, der sich | |
hinter ihnen verbirgt. Die NGO listet dort die politischen Gefangenen in | |
Belarus auf, deren Zahl stetig steigt. Sehr konkret ist dagegen das, was | |
die Menschen dort in der Haft erleiden. | |
Die Insassen liegen oft auf kargen Holzpritschen, sie frieren im Winter, | |
weil sie sich nicht zudecken können, sehen kein Tageslicht, eine | |
medizinische Versorgung existiert meist nicht. Einige von ihnen, wie die | |
berühmte Oppositionelle Maria Kalesnikava, werden völlig isoliert. Von ihr | |
gibt es seit nun fast fünf Monaten kein Lebenszeichen. Andere, wie der | |
oppositionelle Blogger Mikalai Klimovicz, sterben hinter Gittern. | |
Am Montag hat der belarussische Exilverein Razam in Berlin zu einem | |
Pressetermin geladen („Echoes of Silence: Politische Gefangene in | |
Belarus“). Dort berichtet etwa der Bundestagsabgeordnete Robin Wagener | |
(Grüne) von den grausamen Einzelschicksalen. „Erst mal sind es einzelne | |
Menschen, die ein Leben haben, die Berufe haben, die Familie haben“, sagt | |
Wagener, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. „Das Ziel des | |
belarussischen Regimes ist es, diese Menschen aus der Welt herauszunehmen. | |
Damit ihm das nicht gelingt, müssen wir unsere Stimmen für sie erheben.“ | |
## „#WeStandBYyou“ | |
Im Rahmen der Solidaritätskampagne #WeStandBYyou hat Wagener die | |
Patenschaft für den gefangenen Blogger und Aktivisten Ihar Losik und dessen | |
Frau Darya Losik übernommen. Er erzählt, dass er selbst vom Heranwachsen | |
der Tochter des Paars mehr mitbekommen habe als Vater Ihar, der von der | |
Welt völlig abgeschnitten ist. | |
Auch Tatsiana Khomich, Schwester von Maria Kalesnikava, ist nach Berlin | |
gekommen. Kalesnikava, einst bekanntestes Gesicht der belarussischen | |
Opposition, ist seit dem 7. September 2020 inhaftiert. Sie sollte damals | |
außer Landes [1][in die Ukraine] gebracht werden, widersetzte sich ihrer | |
Abschiebung aber, indem sie ihren Pass zerriss. Kalesnikava litt zuletzt in | |
der Haft unter Magengeschwüren, wurde im November 2022 operiert – nun hat | |
ihre Schwester Tatsiana Khomich seit Mitte Februar nichts von ihr gehört. | |
„Wir wissen nicht, wie es ihr aktuell geht“, sagt sie. „Ehemalige | |
Mitgefangene haben gesagt, sie dürfe nicht mehr arbeiten, Kommunikation mit | |
Mithäftlingen sei ihr untersagt und sie habe nur einmal in der Woche | |
Gelegenheit zu duschen. Niemand erträgt völlige Isolation über einen | |
längeren Zeitraum. Das ist Folter.“ Khomich glaubt, das Prinzip der | |
Isolation, insbesondere der prominenten Inhaftierten, sei [2][eine neue | |
Strategie Lukaschenkos]. Neben ihrer Schwester betreffe dies wohl auch den | |
Anwalt Maxim Znak und den sozialdemokratischen Politiker Mikalaj | |
Statkewitsch. | |
## Wiktar Babarykas Erinnerung rufen | |
Auch über den Zustand von Wiktar Babarykas, Präsidentschaftskandidat 2020 | |
und seit mehr als drei Jahren in Haft, ist nichts bekannt. Ende April soll | |
er mit zahlreichen Verletzungen in ein Krankenhaus verlegt worden sein. | |
Sein Team nimmt an, er sei in Haft misshandelt worden. Wo er danach hinkam, | |
ob er noch lebt, ist unklar. Khomich will, dass all diese Fälle in | |
Erinnerung gerufen werden. „Der Terror gegen politische Gefangene muss | |
aufhören. Als Schwester einer politischen Gefangenen denke ich, dass Europa | |
sich stärker einsetzen sollte für sie.“ | |
Was das bedeutet, wird an diesem Morgen auch diskutiert. Kann es Diplomatie | |
mit einem Terrorregime geben? Khomich sagt, es gehe darum, Belarus nicht zu | |
isolieren, während man Lukaschenko isolieren müsse – politisch eine | |
Quadratur des Kreises. | |
Hoffnung verbreitet dagegen Marco Fieber. Fieber arbeitet für die NGO | |
Libereco, die sich für Menschenrechte in Belarus und der Ukraine einsetzt. | |
Libereco hat ein Patenprogramm in Belarus ins Leben gerufen, 363 | |
Politiker*innen nehmen bereits daran teil. „Schon eine Postkarte aus | |
dem Ausland kann Gefangene ermutigen“, sagt Fieber. | |
## Psychosoziale Betreuung | |
Er berichtet auch von einem Programm für Repressionsopfer, das | |
psychosoziale Betreuung und ärztliche Behandlung beinhalte. Er weist darauf | |
hin, dass [3][der Querschnitt der belarussischen Zivilbevölkerung] – | |
Lehrer, Künstler, Journalisten, Anwälte – in Haft sitze. | |
Zahlen können aber auch aussagekräftig sein: 162 registrierte politische | |
Gefangene kommen im 9,2-Millionen-Land Belarus auf eine Million Einwohner. | |
Diese Zahl verschafft einem einen Eindruck vom Systems des Überwachens und | |
Strafens der Diktatur Lukaschenko. | |
4 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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Swetlana Tichanowskaja | |
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