# taz.de -- Volksabstimmung in Usbekistan: Von wegen „neues Usbekistan“ | |
> Eine Verfassungsreform, über die die Usbek*innen Sonntag abstimmen, | |
> würde die mögliche Amtszeit des Präsidenten verlängern. Er könnte bis | |
> 2040 bleiben. | |
Bild: Sieht die Reform als Teil seiner Strategie für ein „neues Usbekistan�… | |
BERLIN taz | Sie soll der ganz große Wurf werden, die Verfassungsreform in | |
Usbekistan. Am kommenden Sonntag sind die Wähler*innen in einem | |
Referendum – dem ersten seit 21 Jahren – dazu aufgerufen, über eine | |
Rundumerneuerung des Grundgesetzes abzustimmen. 65 Prozent der Vorschriften | |
sind von Änderungen oder Ergänzungen betroffen. Ein Ja gilt als sicher. | |
Die Behörden scheuen keine Mühen bei der Erstellung eines entsprechenden | |
Rahmenprogramms, um die Bevölkerung auf das bevor stehende Ereignis | |
einzustimmen. Eine öffentliche Veranstaltung mit Künstler*innen, | |
Athlet*innen, Geschäftsleuten und Regierungsvertretern jagt die andere. Ein | |
Slogan ist dabei allgegenwärtig: „Die Verfassung: Meine, deine, unsere!“ | |
„Die erneuerte Verfassung ist in jeder Hinsicht eine Verfassung des Volkes. | |
Dieses Dokument ist wichtig, weil es von allen unseren Landsleuten | |
geschaffen wurde. Es widerspiegelt die Wünsche, Ziele und Interessen | |
unserer Menschen“, erklärte der bekannte Schauspieler Erkin Komilow den | |
Besucher*innen eines Konzerts. | |
Die sozialen Netzwerke werden mit Hashtags wie #befarqemasman (deutsch: Das | |
ist mir nicht gleichgültig) regelrecht geflutet. Auf Billboards sind | |
App-Gespräche zwischen Freunden und Verwandten nachzulesen, die sich | |
gegenseitig zur Teilnahme an dem Referendum ermutigen. „Azamat“, heißt es | |
da, „sag deine Reise nach Dubai ab. Wir können nach dem 30. April dorthin | |
fahren.“ | |
## Bekannte Tricksereien | |
Die Reform hatte Präsident Shavkat Mirziyoyew als Teil seiner Strategie zur | |
Schaffung eines „neues Usbekistans“ bereits vor geraumer Zeit angekündigt. | |
Eine Änderung ruft vor allem Kritiker*innen auf den Plan: Bislang wird | |
das Staatsoberhaupt auf fünf Jahre gewählt – mit der Option auf ein | |
weiteres Mandat. Künftig beträgt die Amtszeit sieben Jahre, eine Wiederwahl | |
ist möglich. | |
Derartige Tricksereien haben in dem zentralasiatischen Staat mit rund 35 | |
Millionen Einwohner*innen Methode. Ähnlich agierte auch Mirziyoyews | |
Amtsvorgänger Islam Karimow, der es auf 25 Jahre an der Spitze des Staates | |
brachte. Nach Karimows Tod 2016 wurde Mirziyoyew zum Präsidenten gewählt | |
und [1][fünf Jahre später mit über 80 Prozent der Stimmen im Amt | |
bestätigt]. Gemäß der reformierten Verfassung würden Karimows Amtszeiten | |
„nullifiziert“, das heißt, er könnte theoretisch bis 2040 auf seinem Post… | |
bleiben. | |
Selbst diejenigen, die Mirziyoyew skeptisch gegenüberstehen, müssen | |
einräumen, dass der 65-Jährige einiges auf der Habenseite vorzuweisen hat. | |
So beendete er Zwangsarbeitseinsätze auf Baumwollfeldern, zu denen unter | |
anderem Schulkinder, Student*innen, aber auch Ärzt*innen und | |
Staatsbedienstete verpflichtet wurden. | |
Einige Regimekritiker*innen wurden aus der Haft entlassen. Auf | |
Onlinemedien, wie beispielsweise Telegram-Kanälen, wurde eine kritische | |
Berichterstattung möglich, wenngleich weiterhin sogenannte rote Linien | |
gelten. Auch für eine wirtschaftliche Öffnung des seit Dekaden isolierten | |
Landes, unter anderem im Bereich des Tourismus, sorgte Mirziyoyew – genauso | |
wie für eine bessere Zusammenarbeit mit den anderen Ländern Zentralasiens. | |
## Gewaltsame Zusammenstöße | |
Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch [2][die Kausa Karakalpakstan | |
– eine autonome Republik im Westen Usbekistans], am Aralsee gelegen. Dort | |
brachen im vergangenen Juli Proteste aus. Zuvor war öffentlich geworden, | |
dass mit den geplanten Verfassungsänderungen nicht nur der Autonomiestatus | |
von Karakalpakstan kassiert werden sollte, sondern auch dessen Recht, per | |
Volksentscheid über eine Abspaltung von Usbekistan zu entscheiden. | |
Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Ordnungskräften | |
am 1. Juli in Nukus, der Hauptstadt der Region, starben offiziellen Angaben | |
zufolge 21 Menschen – darunter 17 Demonstranten. | |
Menschenrechtsaktivist*innen gehen von weitaus höheren Zahlen aus. | |
Kurz darauf verschwanden diese Passagen aus dem Änderungsentwurf. | |
Derartige Konzessionen waren noch zu Zeiten Karimows undenkbar, was zu dem | |
Bild des „Reformers“ passt, als der sich Mirziyoyew gerne präsentiert und | |
feiern lässt. Dasselbe gilt auch für zahlreiche Änderungen, die die | |
Grundrechte stärken und auf dem Papier entsprechend positiv aussehen. | |
Doch das alles lassen Kritiker*innen nicht gelten. Die autoritäre Logik | |
der Verfassung werde nicht angetastet, zitiert Radio Freies Europa den | |
usbekischen Politanalysten Alischer Illkhamow, der in Großbritannien lebt. | |
## Unterstützung der Öffentlichkeit | |
„Der einzige Zweck dieser Volksabstimmung besteht darin, der Herrschaft von | |
Präsident Mirziyoyew Legitimität zu verleihen“, zitiert das Webportal | |
eurasianet einen in Taschkent lebenden Politologen, der aus | |
Sicherheitsgründen anonym bleiben will. „Die Regierung möchte die | |
Abstimmung zu einem Zeichen der Unterstützung der Öffentlichkeit für den | |
Präsidenten und seine Reformen machen.“ | |
Und auf der Webseite Intellinews heißt es: „Das Problem mit der Verfassung | |
war stets, ob die Behörden sie überhaupt beachten. Mirziyoyews | |
Reformversprechen werden nun teilweise an seiner Einhaltung der Rechte | |
gemessen, die dieses neue Dokument verankert.“ | |
29 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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