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# taz.de -- BookTok: Große Gefühle, gute Geschäfte
> Buchempfehlungen auf TikTok sind zur Macht im Literaturbusiness geworden.
> Doch es gibt auch Arroganz und Hass – in insbesondere gegen junge Frauen.
Bild: 21.10.2022: Buchmesse Frankfurt mit Tiktok Pavillon
„Dieses Buch hat mich zerstört“, sagt eine junge Frau und hält ein buntes
Cover in die Kamera. Im Hintergrund sind Bücherregale zu sehen, ihr Make-up
sitzt perfekt, der Filter auch. Nächstes Video: Ein aktueller Popsong mit
anderthalbfacher Geschwindigkeit abgespielt, eine Hand hält ein Buch in die
Kamera, zeigt allerdings nur den Buchschnitt. Darüber steht der Schriftzug
„Dieses Buch habe ich nur wegen BookTok gekauft und bin hin und weg.“
Im Takt der Musik scheint das Buch in die Kamera zu fallen, im nächsten
Bild ist das Cover sichtbar. Weiter: Eine Hand blättert durch ein Buch, auf
viele Seiten sind Post-its geklebt. Schnitt. Eine Frau kann einen hohen
Bücherstapel kaum halten. Swipe: Manikürte Fingernägel reißen Kartons von
Hugendubel, Amazon oder Thalia auf. Und so geht es mit jedem Scroll und
jedem Swipe weiter, stundenlang durch BookTok.
BookTok ist eine Art Selbstbezeichnung für die Lesecommunity bei
[1][TikTok]. Diese ist mittlerweile so erfolgreich, dass in Buchhandlungen
wie im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin eigene „BookTok“-Regale und
Auslagen geschaffen werden für Bücher, die in der Community besonders
beliebt sind. International ist das längst Usus: Bei Ketten wie W. H.
Smiths, die von Großbritannien bis Singapur Filialen unterhalten, gibt es
Aufkleber mit der Aufschrift „TikTok made me buy it“.
Eine der in Deutschland erfolgreichsten BookToker*innen ist Mallak
Mdayhle, eine 20-jährige Studentin aus Paderborn. Ihrem Account
„Endlessbookworld“ folgen hunderttausend Nutzer*innen, dort teilt sie
Empfehlungen und Diskussionen.
## Enormer Erfolg
„Man realisiert nie komplett, wie viele Follower man hat“, sagt sie der
taz. Die Bücher, die sie diskutiert, kommen vor allem aus den Genres
Fantasy und Romance. Damit ist sie nicht alleine: „New Adult“-Romane
dominieren BookTok. Und zwar so sehr, dass sie manchen Autor*innen zu
enormem Erfolg verhelfen. Allen voran Colleen Hoover. Die Liebesromane der
US-Amerikanerin sind wegen ihrer Darstellung von Partnerschaftsgewalt zwar
umstritten, aber ständig in den internationalen Bestsellerlisten. In den
USA stellte sie etwa fünf der zehn meistverkauften Bücher im Februar 2023.
Dass Hoovers Romane oder auch „Bunnies“ von Mona Awad bei TikTok so
erfolgreich sind, ist wenig überraschend. Sie beschäftigen sich mit Themen,
die für junge Erwachsene in ihren frühen Zwanzigern relevant sind:
Ausbildung, Zugehörigkeit und natürlich immer wieder die Sehnsucht nach
[2][Partnerschaft, Sex und großen Gefühlen].
Dafür bildet sich auf der Plattform ein ganz eigener Soziolekt: Bücher
werden nach bestimmten „Tropen“, also Themen und Plots, empfohlen. „Das
kann so etwas sein wie ‚From Friends to Lovers‘ oder ‚Found Family‘, bei
dem die Protagonisten Freunde finden, die zur Familie werden“, sagt
Mdayhle. „Zusätzlich werden die Bücher nach ihrem,Spice' bewertet, also wie
sexy sie sind.“
„Momentan ist der Fokus noch sehr auf Gen Z und New Adult“, sagt Magda
Birkmann, Buchhändlerin im Berliner Buchladen Ocelot. „Aber die Userbase
wird auf TikTok auch älter, da wird sich irgendwann in den Büchern
niederschlagen, die auf TikTok trenden.“
## Thalia kooperiert
Auch die deutsche Buchbranche ist auf das Phänomen aufmerksam geworden:
Beim Großhändler Libri etwa steht die Konferenz „Libri Campus“ dieses Jahr
unter dem Motto der sozialen Medien, der Börsenverein des deutschen
Buchhandels bietet regelmäßig Webinare zum Thema an, mittlerweile sind auch
Verlage wie Suhrkamp und Reclam auf der Plattform vertreten. Am
sichtbarsten ist aber Buchhandlungsmarktführer Thalia, der direkt mit der
Plattform TikTok kooperiert.
Für die Buchbranche könnte TikTok eine Chance sein. In den letzten zehn
Jahren hieß es immer wieder, dass der Markt für Publikumsbücher über sechs
Millionen Kund*innen verloren habe.
Gen Z, so glauben Trendforscher, interessiere sich nicht mehr für das Buch.
Doch das Phänomen BookTok beweist das Gegenteil, wie etwa eine Studie der
US-amerikanischen Verlegervereinigung Publisher’s Association aus dem
letzten Jahr zeigt: 59 Prozent junger Leser*innen zwischen 16 und 25
gaben an, dass BookTok ihnen dabei geholfen habe, die Leidenschaft zum
Lesen für sich zu entdecken. Ähnlich sieht es die Unternehmenssprecherin
von Thalia für den deutschen Markt: „Über #BookTok ist es gelungen, Bücher
bei der Generation Z wieder populär zu machen.“ Doch warum funktioniert das
so gut?
Viele Influencer*innen versehen ihre Bücher mit Post-its und
Kommentaren, kleben getrocknete Blumen oder andere Dekoelemente hinein. Die
ästhetischen Aspekte könnte man als eine Krücke bezeichnen, um ein
eigentlich visuell wenig aufregendes Hobby in Szene zu setzen: „Wie jemand
begeistert liest, kann man nicht darstellen – die Begeisterung muss über
Umwege performt werden. Das machen Nutzer*innen durch das emotionale
Moment, mit Klebezetteln, die bestimmte Passagen markieren“, sagt Birkmann.
Doch statt diese Entwicklung zu feiern, wird BookTok im öffentlichen
Diskurs oft noch eher mit Abwertung begegnet. Die Emotionalität der
dortigen Auseinandersetzung mit Literatur wird etwa in Feuilletonbeiträgen
herausgehoben, wie auch die Subjektivität der Buchbesprechungen. In Tweets
machen sich Nutzer*innen über die Ästhetiken der Videos lustig. Und
nicht zuletzt auch auf der Plattform selbst gibt es eine Gegenbewegung zur
BookTok-Welt, bei der vor allem männliche Influencer die Vorzüge des
klassischen, männlich-dominierten Weltliteraturkanons preisen. „BookTok
kriegt Hate, weil [3][vieles, was hauptsächlich junge Frauen und Mädchen
betreiben, immer Hate abkriegt]“, sagt Birkmann.
## Herabblicken von der Hochkultur
Es gebe da einen Dünkel, ein Herabblicken von der Hochkultur, denn Romane,
die problematische Beziehungsmuster thematisieren, seien schon immer
erfolgreich gewesen, man denke etwa an die Erfolgsserie „Twilight“ oder den
Achtziger-Jahre-Hit „Blumen der Nacht“.
Auf die veralteten Geschlechterrollen angesprochen sagt Mdayhle: „Es ist
ein Insiderwitz auf BookTok, dass wir alle eigentlich zur Therapie müssen
bei dem, was wir da lesen.“ Es seien sich alle bewusst, im echten Leben
wären derartige Beziehungsmodelle nichts, was sie anstreben würden.
Tatsächlich warnen viele Buchinfluencer*innen auf TikTok auch ihr
Publikum, empfehlen ein Buch etwa erst ab 18 oder nutzen Trigger- und
Contentwarnungen.
Dadurch, dass man bei [4][TikTok] direkt auf andere Videos mit eigenen
Inhalten antworten kann, ist es eine sehr diskursive Plattform. Zu jedem
Buch und jeder Position finden sich nur einen Klick entfernt
Gegenargumente. Und so gibt es zu jeder Colleen-Hoover-Lobpreisung etwa
auch ein kritisches Video, zu jedem neuen Fantasy-Thriller eine Empfehlung
zu Klassikern wie „Die geheime Geschichte“ von Donna Tartt oder Madeleine
Millers queerfeministische Ilias-Neuerzählung „Das Lied des Achill“ von
2011.
Auch Mdayhle erlebt, welch großen Einfluss BookTok auf jüngere Menschen
hat. „Freunde von mir, die vorher noch nie zu einem Buch gegriffen haben,
fragen mich jetzt nach Empfehlungen, weil sie durch die Explosion von
TikTok auch Lust bekommen haben zu lesen.“ Der seit Jahren dem Tod geweiht
geglaubte Büchermarkt erlebt also ausgerechnet durch TikTok eine
Renaissance. Ein Verbot, wie es in den USA diskutiert wird, könnte diese
Entwicklung abrupt stoppen.
9 May 2023
## LINKS
[1] /Autorin-ueber-digitale-Bildkultur/!5926874
[2] /Die-Wahrheit/!5917528
[3] /Frauenhass-auf-TikTok/!5763547
[4] /Angst-vor-TikTok/!5921307
## AUTOREN
Aida Baghernejad
## TAGS
TikTok
Literaturbetrieb
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