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# taz.de -- Romane mit Spice und Happy End: Die Liebe gewinnt
> Während es auf dem Buchmarkt sonst höchstens mittelgut lief, feierte die
> literarische Romance-Sparte im Jahr 2023 Rekordumsätze. Über Booktok und
> Liebesgeschichten, die süchtig machen.
Bild: Fake Dating und echte Liebe in den Bestsellern der Buchverlage: die Roman…
Tabea Grunerts Obsession mit dem Lesen begann, wie für so viele, in
Hogwarts. Ausgelöst durch die Filmreihe, entwickelte die heute 21-Jährige
während der Pandemie eine [1][„extrem dolle Harry-Potter-Phase“,] in der
sie versuchte, so tief wie möglich in dieses Universum einzutauchen. Doch
statt dafür zu den Originalbüchern zu greifen, ging Grunert ins Internet.
Und fand dort, was ihr J. K. Rowling nicht bieten konnte: feurige
Liebesgeschichten zwischen Draco Malfoy und Hermine Granger.
Von diesen „Dramione“-Fanfictions gibt es unzählige, die Ausgangslage ist
oft die gleiche. Potter ist tot, Voldemort stärker denn je, und in den
Trümmern des Nachkriegsinternats verknallen sich zwei, die sich doch
eigentlich sieben lange Bände nicht ausstehen konnten. Feinde werden zu
Liebenden, trotz aller Widrigkeiten unter der Tyrannei des dunklen Lords.
Auf Tiktok stößt Grunert auf eine Community, die ihre Leidenschaft für die
Fanfictions teilt, wird von der App als Literaturliebhaberin identifiziert
und bekommt von nun an immer wieder Buchbesprechungen vorgeschlagen. „Das
hab ich dann erst mal weggescrollt, weil ich dachte, Leute, ich lese doch
eigentlich gar nicht gern“, sagt sie. „Na ja und jetzt bin ich hier, 500
Bücher später.“
## 200.000 Follower:innen auf Tiktok
„Hier“ – das bedeutet vor ihrem üppigen weißen Billy-Regal, aus dem
Dutzende Buchrücken in pastelligem Rosa bis Dunkellila ragen. „Hier“
bedeutet auch auf ihrem eigenen Kanal mit über 200.000 Follower:innen, es
bedeutet auf der Buchmesse als „Creatorin des Jahres“. [2][Grunert ist
Booktokerin] – also Influencerin für Bücher auf Tiktok –, und [3][ihr
Genre ist „Romance“, genauer gesagt die Unterkategorie „New Adult“].
Junge Erwachsene zwischen 18 und 30, die sich zwischen Selbstfindung und
Einstiegsjobs das erste Mal so richtig prickelnd verlieben. Diese Art von
Roman sei etwas, in dem sie sich endlich habe wiederfinden können, sagt
Grunert. Obwohl sie ihr bisheriges Leben immer der Meinung war: Bücher, die
sind einfach nicht für mich geschrieben. 110 hat sie 2023 gelesen. 100
waren das Ziel.
Wie Tabea Grunert scheint es aktuell einer ganzen Generation an jungen
Leser:innen zu gehen, die dafür sorgen, dass Geschichten mit Spice und
Happy End Rekordumsätze feiern, während es auf dem restlichen Markt
ansonsten eher mittelgut läuft. In den USA ist der Verkauf von Romanzen im
vergangenen Jahr um 52 Prozent gestiegen. Und auch in Deutschland geht es
bei den Liebesroman-Sparten der großen Verlage aktuell bergauf.
Margit Schulze, verantwortlich für „Forever“, dem Romance-Programm von
Ullstein, sagt: „Bis letztes Jahr waren wir nicht wichtig, seit diesem Jahr
sind wir wichtig. Nächstes Jahr werden wir wichtiger.“
## Wenn aus Feinden Liebende werden
Grunert und Schulze sind sich einig, dass Pandemie-Eskapismus für den
Beginn des Hypes eine große Rolle spielte. Und Booktok, das zeitgleich mit
den ersten Lockdowns nach Deutschland überschwappte. Aber Corona ist
vorbei, die Verkaufszahlen steigen weiter. Was macht die Romane also – um
es mit einem Tiktok-Gütesiegel-Begriff auszudrücken – so unglaublich
addictive?
Dafür lohnt beispielsweise ein Blick in „Royal Blue“ von Casey McQuiston,
über Alex, den außergewöhnlich schönen, intelligenten und schlagfertigen
Sohn der US-Präsidentin Ellen Claremont, der eine geheime Beziehung mit dem
britischen Prinzen Henry (gleichsam schön, intelligent und schlagfertig)
beginnt. Wohltuend ist die Lektüre auf mehreren Ebenen: Denn – Achtung,
Spoiler! – Trump hat es darin nie gegeben, 2016 gewann mit Alex’ Mutter
stattdessen eine junge, progressive Demokratin.
Als das Team des republikanischen Herausforderers kurz vor der nächsten
Wahl die intimen E-Mails der beiden jungen Männer leakt, begegnet den
Liebenden eine weltumspannende Welle der Solidarität. Und zum Schluss
gewinnt Präsidentin Claremont auch noch alle wichtigen Swing States: aus
Rot werde Blau, geheilt sind die realen Wunden der vergangenen Jahre.
Dazwischen expliziter Sex, sehr gut aufgeschrieben. Kein Wunder, dass man
aus diesem Fiebertraum niemals erwachen will. Und dringend Nachschub
braucht.
Da sich Alex und Henry am Anfang nicht ausstehen können, hat „Royal Blue“
einen sogenannten „Enemies-to-Lovers-Trope“. Ein Trope ist nichts anderes
als ein Plot oder Thema, das verrät, auf welchem Wege und in welchem Tempo
die Protagonist:innen zueinanderfinden. „Ich bin zum Beispiel überhaupt
kein Fan von Instalove“, sagt Tabea Grunert. „Wenn sich also zwei
kennenlernen und sofort übereinander herfallen.“
## Keine Zeit verschwenden mit dem falschen Trope
Sie lese lieber Slowburn-Geschichte, bei denen vor der
dreihundertachtundfünzigsten Seite jede körperliche Annäherung durch
Unterbrechungen aller Art vereitelt würden. In Verlagsvorschauen und auf
den Klappentexten wird offensiv mit diesen Tropes geworben. Denn die
Leser:innen wollen wissen, was sie erwartet, und keine Zeit verschwenden
in einer Welt, die sich nicht passend anfühlt. Dafür ist das Angebot
einfach zu groß.
Ein besonders beliebtes Trope in der Community ist das Fake Dating, die
„vorgetäuschte Beziehung“. Zu den Standardwerken, da ist man sich einig,
gehört beispielsweise Ali Hazelwoods „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit
von Liebe“. Biologie-Doktorandin Olive muss ihrer besten Freundin aus
Gründen, die hier zu weit führen würden, eine Liebschaft vorgaukeln. Und
küsst dafür den erstbesten Typen, der ihr über den Weg läuft: Adam Carlsen,
den größten Labortyrann von Stanford.
Eine Win-win-Situation, denn Olive hat ihre Freundin zufriedengestellt und
Adam erhält durch die Verbindung ein langersehntes Stipendium. Beide
glauben sie an die Wissenschaft und nicht an so etwas Profanes wie Liebe,
bis die Natur sie übermannt. Eng verwandt mit Fake Dating ist das Trope
Grumpy vs. Sunshine – denn einer der beiden Charaktere – meist der Mann –
hat den Ruf, ein (wunderschöner) Widerling zu sein. Bis die Fassade durch
erzwungene Nähe zu bröckeln beginnt.
Auch Tabea Grunerts Lieblingsbuch „Terms and Conditions“ aus der
„Dreamland-Billionaires-Reihe“ von Lauren Asher hat dieses Trope, geht aber
noch einen Schritt weiter. Hier wird nicht nur fakegedatet, sondern gleich
fakegeheiratet. Denn damit der Erbe eines Freizeitparkimperiums die
Nachfolge in der Geschäftsführung antreten darf, muss er eine eigene
Familie haben. Seine Assistentin Iris, vernarrt in ihren Job und den Erfolg
des Bosses, sagt selbstlos zu.
## Hochintelligent, durchtrainiert, unnahbar
Marriage of Convenience nennt sich das im Romance-Sprech, Zweckehe also.
„Ich liebe dieses Trope“, sagt Tabea Grunert, „denn es ist wie Fake Dating
auf Steroiden.“ Ihre Ausgabe ist versehen mit unzähligen Post-its in den
Farbschattierungen des Covers, markiert hat sie Stellen, „die ich süß fand,
die ich hot fand, wo es spicy war, und wo sie ihm Backlash gegeben hat“,
erzählt Grunert in einem Video auf Tiktok.
„Und hier habe ich markiert, dass er gelacht hat.“ Denn Declan Kane, der
missverstandene Milliardärserbe, ist natürlich ein grumpy Typ, der vom
sonnigen Gemüt seiner Iris erst geknackt werden muss.
Tabea Grunert ist bewusst, dass es feministischere Geschichten gibt als die
einer jungen Frau, die sich für ein paar Millionen Dollar und ein schönes
Anwesen mit ihrem Vorgesetzten verehelichen lässt. Auch wenn am Ende der
beste Sex ihres Lebens dabei rumkommt. Mit devoten Frauenfiguren könne sie
trotzdem wenig anfangen – nicht ohne Grund habe sie im Roman Absätze
markiert, in denen Iris ihrem Boss ordentlich „Backlash“, also Widerworte,
gebe. Aber sie lese halt, um unterhalten zu werden, um intensiv zu fühlen
und sich manchmal ein bisschen zu verknallen.
Die aus Sicht der Tiktok-Community begehrenswertesten männlichen
Protagonisten werden dann auch schon mal zu „Book-Boyfriends“ erkoren. Was
sie eint, ist ihr Einkommen (Milliarden), ihre Bauchmuskeln (Superman), ihr
IQ (160), ihre Größe (nicht unter 1,90 Meter), ihre Aura (unnahbar), ihre
Hautfarbe (weiß). Letzteres nervt Tabea Grunert, selbst Person of Color,
besonders.
## Zeit verbringen mit dem Book-Boyfriend
„Allgemein ist die ganze Buchwelt sehr weiß“, sagt sie. Die Menschen im
Verlag, die Autor:innen, die Protagonist:innen. Iris aus „Terms and
Conditions“ sei eine der ersten Schwarzen Figuren gewesen, die ihr in einem
Romance-Roman je begegnet sei. Die Männer seien aber noch viel weniger
divers und insgesamt schablonenhafter angelegt. Es sind von Frauen
entwickelte vermeintliche Ideale, die man in der Realität eher selten
antrifft.
Und was macht das mit dem Dating-Leben, wenn man so viel Zeit mit seinen
Book-Boyfriends verbringt? „Das ist, ganz ehrlich, schon ein Problem“, sagt
Tabea Grunert und muss lachen. Sie habe sich selbst schon bei dem Gedanken
ertappt: „Okay, Christian Harper würde jetzt sonst was für mich tun und
dieser Kerl holt mich nicht mal zu Hause ab?“
Margit Schulze von Forever führt diese fiktiven Männer auf „typisch
US-amerikanische Übertreibung“ zurück. Und auch wenn das Genre einige
wirklichkeitsfremde Protagonisten hervorbringt, die allesamt auch noch
Kondome toll finden und Cunnilingus lieben, glaubt Schulze, dass junge
Frauen in Sachen Sex aus der Lektüre überwiegend Positives mitnehmen
können.
## Orientierung abseits von Pornos
„Die Romane bieten ihnen eine Orientierung abseits von Pornos, die ja
mehrheitlich für eine männliche Öffentlichkeit gemacht wurden“, sagt sie.
„Das ist von Frauen entworfener Sex, der den Leserinnen hilft,
herauszufinden, was Genuss alles bedeuten kann. Dass man zum Beispiel ganz
selbstverständlich anmerken kann, beim Sex nicht gekommen zu sein, weil das
die Heldin im Roman auch so macht.“ Auch seien die Texte politischer, als
man glaube. Immer häufiger würden beispielsweise Themen wie Mentale
Gesundheit oder Metoo aufgegriffen.
Generell ist Margit Schulze „total glücklich“, dass Romance und New Adult
„endlich aus dieser Schmuddelecke raus sind“. „Fifty Shades of Grey“ ha…
da vor einigen Jahren viel ins Rollen gebracht – doch seit Booktok schmücke
sich das Publikum regelrecht mit den Neuerscheinungen ihrer
Lieblingsautorinnen. Und tatsächlich hat die Covergestaltung mit der
„Nackenbeißer“-Optik von früher (Mann umschlingt Frau von hinten), nichts
mehr zu tun.
Sie sind bunt und liebevoll illustriert, mit verspielten Typografien und
detaillierten Zeichnungen in den Einbänden. Für Leserinnen wie Tabea
Grunert sind ihre Liebesromane Sammlerstücke, die es verdient haben, in
Szene gesetzt zu werden.
Die Verlage reagieren auf diesen Wunsch nach Fotografierbarkeit unter
anderem mit aufwendigen Farbschnitten. Das sind an den Buchdeckel
angepasste Bemalungen der Seitenkanten, die, so Schulze, manuell
aufgetragen und Mehrkosten von etwa einem Euro pro Exemplar verursachen
würden.
## Englische Ausgabe wird bevorzugt
Ein teurer Spaß, mit dem man versuche, die Leser:innen von neuen
deutschen Titeln oder der deutschen Übersetzung eines US-amerikanischen
oder britischen Romans zu überzeugen. Denn auffällig sei, wie viele
Romance-Liebhaber:innen lieber zur englischsprachigen Ausgabe griffen. Eine
Verkäuferin in einem Berliner Hugendubel kann das bestätigen.
Zwar stapelt sich hier hübsch präsentiert und unübersehbar auf einem
massiven schwarzen Tisch alles, was Forever, Lyx (Bastei Lübbe), Loewe
Intense oder Kyss (Rowohlt) momentan zu bieten haben. Doch beobachte sie
immer wieder, wie Kund:innen im „English“-Regal ein paar Meter weiter
nach den Originalausgaben stöberten.
Seit dem Hype um New Adult bemerke sie übrigens auch Erstverkaufstage
wieder deutlich. Neulich sei wieder so einer gewesen, sagt die Verkäuferin
und führt zum Stand für Mona Kastens „Fallen Princess“, dem dritten Band
ihrer „Everfall-Academy“-Reihe. Die Romane der 31-jährigen Hamburgerin
verbinden Romance, Fantasy und Dark Academia – die düstere Ästhetik
englischer Eliteuniversitäten.
## „Ein riesiger Teil meines Lebens“
Kasten gehört mit mehreren Nummer-1-Spiegel-Bestsellern zu den
erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen. Andere deutsche
Star-Autorinnen heißen Kristina Moninger, Antonia Wesseling oder Sarah
Sprinz.
Alle paar Wochen ist Tabea Grunert auf Release-Partys für deren
Neuerscheinungen, dort gibt es dann Livemusik und Zuckerwatte,
Freundschaftsbändchen werden geknüpft, Cocktails gemixt und Jutebeutel
bemalt. Manchmal könne sie gar nicht glauben, dass das jetzt ihr Leben sei.
Auf ihrem Unterarm hat sie eine Vokabel aus „Terms and Conditions“
tätowiert, es spielt auf die Geheimsprache der beiden Zweckverheirateten
an.
Sie habe lange überlegt, ob sie sich das wirklich stechen lassen solle,
„aber dann dachte ich, auch wenn das nur eine Phase ist, war dieses
Buchding einfach ein riesiger Teil meines Lebens“. Sie sei darüber
unabhängiger und reifer geworden, habe so viele neue Freundinnen gewonnen.
Draco Malfoy, dem Widerling mit weichem Kern, sei dank.
30 Dec 2023
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## AUTOREN
Leonie Gubela
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