# taz.de -- Expertin über Altersarmut: „Viele trauen sich nicht zur Tafel“ | |
> Heute startet der Kongress #ArmutAbschaffen. Besonders Frauen seien von | |
> Altersarmut betroffen, sagt Ann-Kathrin Kelle vom Verein | |
> „Groschendreher“. | |
Bild: Ältere Menschen gehen nur ungern zur Tafel, auch wenn das Geld knapp ist | |
taz: Frau Kelle, das Kieler Bündnis gegen Altersarmut „Groschendreher“ | |
beschäftigt sich mit Altersarmut und tritt auf dem [1][digitalen | |
Aktionskongress des Paritätischen Gesamtverbandes] auf, der am | |
Donnerstagnachmittag beginnt. Was ist das Besondere an der Altersarmut im | |
Unterschied zu anderen Gruppen Armutsbetroffener? | |
Ann-Kathrin Kelle: Unter den Armutsbetroffenen im Alter sind [2][viele | |
Frauen], die aufgrund der großen Lücken in der Erwerbsbiografie, der | |
unbezahlten Familienarbeit, vielleicht noch einer Scheidung jetzt nur eine | |
kleine Rente haben und daher in diese Situation geraten sind. Die haben | |
Care-Arbeit geleistet, vielleicht in Teilzeit gearbeitet und sind jetzt | |
arm. Das ist ein gesellschaftliches Problem und wird aber jetzt zum | |
individuellen Problem der Menschen gemacht. | |
Diese Frauen könnten stolz sein auf ihre Lebensleistung … | |
Natürlich, aber man muss die Bilder in der Gesellschaft sehen, die gerade | |
vorherrschen. Derzeit ist es das Bild der berufstätigen Frau, die auch | |
Mutter ist. Das wird propagiert. Das kann ältere Frauen unter Druck setzen, | |
die in einer Zeit Hausfrau und Mutter waren, als es keine Kitaplätze gab, | |
jedenfalls im Westen nicht, und als die Männer den Frauen noch verbieten | |
konnten, zu arbeiten. | |
Ältere Menschen können ja auch nicht mehr arbeiten, um so der Armut zu | |
entkommen. | |
Die Notsituation, [3][die Armutssituation] ist durch Erwerbstätigkeit nicht | |
mehr zu ändern. Dass es diese Hoffnung nicht gibt, drückt auf das Befinden. | |
Es heißt oft, ältere Menschen gehen nicht zum Grundsicherungsamt, wenn die | |
Rente nicht reicht. Ist das auch Ihre Erfahrung? | |
Das erleben wir auch. Das liegt einmal daran, dass die Aufklärung über den | |
Anspruch auf Grundsicherung nicht so groß ist. Es hat aber auch mit dem | |
Autonomieempfinden zu tun. Die Situation selbst bewältigen zu können, aus | |
eigenen Mitteln, hat eine andere Qualität und ist anders besetzt, als wenn | |
ich von anderen abhängig bin. Bei vielen alten Menschen gibt es diese | |
Denkweise. Der Bezug von Menschen in Kiel mit Grundsicherung im Alter liegt | |
bei ungefähr 7 Prozent. Man schätzt aber eine Dunkelziffer von 30 Prozent, | |
die ihren Anspruch nicht wahrnehmen. | |
An was sparen die alten Menschen, wenn sie so wenig Geld zur Verfügung | |
haben? | |
Neue Klamotten werden zum Beispiel nicht gekauft. Eine Frau erzählte, sie | |
wollte im Supermarkt einen Blumenkohl kaufen. Aber vier Euro für einen | |
Blumenkohl war einfach zu viel. Ein Problem sind auch die Medikamente. | |
Nicht verschreibungspflichtige Medikamente muss man selbst bezahlen, etwa | |
Schmerzmittel und Mittel gegen Erkältungen. Wenn Medikamente nicht gekauft | |
werden, weil man das Geld nicht hat, verschlechtert das noch mal den | |
Gesundheitszustand. | |
Gehen die älteren Armutsbetroffenen denn zur Tafel? | |
Die Gruppe, die sich zurückzieht, geht eher weniger zur Tafel. Die | |
Menschen, die ein Stück weit eher nach außen gehen mit ihrer Situation, die | |
extrovertierter sind, die kommen zur Tafel und halten die Scham und | |
Stigmatisierung dann aus. | |
Ist das nicht besser geworden mit der Stigmatisierung? | |
Das Thema Armut ist öffentlicher geworden auch durch den Hashtag „Ich bin | |
armutsbetroffen“. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die | |
Stigmatisierung abgenommen hat. Vielleicht trauen sich die Menschen | |
lediglich nicht mehr, Armut öffentlich abzuwerten. | |
Welche Aktionen plant denn Ihr Bündnis, und was erhoffen Sie sich von dem | |
Aktionskongress „Armut? Abschaffen!“? | |
Die Gruppe der Altersarmen muss mehr gesehen werden. Derzeit ist die | |
Kindergrundsicherung das große Thema. Dabei darf die Gruppe der älteren von | |
Armut Betroffenen nicht vergessen werden. Wir machen auf Beratungsangebote | |
aufmerksam und wollen Fachkräfte mit Armutsbetroffenen vernetzen. Wir sind | |
Mitglied im Paritätischen Gesamtverband und teilen auch die Haltung, dass | |
die Grundsicherung erhöht werden müsste. | |
Letztlich geht es doch um Teilhabe, sich zum Beispiel leisten zu können, | |
auch mal beim Bäcker einen Kaffee zu trinken, sich Busfahrten leisten zu | |
können, wenn man irgendwo mal etwas Besonderes einkaufen will oder in den | |
Wald fahren will, solche Sachen. | |
4 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.der-paritaetische.de/presse-und-kampagnen/armutabschaffen/aktio… | |
[2] /Weibliche-Altersarmut/!5906230 | |
[3] /Altersarmut-in-Deutschland/!5885731 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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