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# taz.de -- Ostern mit Rastafaris und Punks: Vom Eise befreit
> Ein Osterspaziergang dahin, wo es voll ist: Unterwegs beim Reggaeville
> Easter Special in Hamburg und beim Osterbiersuchen in Norderstedt.
Bild: Schöner Wohnen in Norderstedt: Das Soziale Zentrum bietet Platz für sch…
Ostern 2023 ist das Ostern nach Social-Distancing und
Zugangsbeschränkungen. Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, aber auch
Clubs und Partys. Zeit für einen [1][faustischen Osterspaziergang] dahin,
wo es voll und laut ist.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel / Hier ist des Volkes wahrer Himmel
Ein dicker Nightliner steht vor dem alten Fabrikgebäude in
Hamburg-Ottensen, bekannt als die [2][Fabrik], das älteste soziokulturelle
Zentrum Deutschlands. Die Fabrik sieht innen auch heute noch so aus wie vor
zig Jahren: Ein Saal mit dicken alten Pfeilern, drum herum eine Galerie,
auf der die Leute stehen und runterschauen auf eine kleine Bühne.
Die Fabrik ist kuschelig. Vor allem wenn sie voll ist.
„Sold Out“ steht vorne am Kassenhäuschen und am Eingang steht: „Drinnen
nicht rauchen – don’t smoke inside“. Es ist das Reggaeville Easter Specia…
das hier stattfindet. Im Merch-Bereich haben [3][Headshops ihr Sortiment
ausgebreitet]. Sonderlich bekifft wirkt die Veranstaltung aber nicht. Eher
im Gegenteil.
Der Nightliner hat Lila Iké, Max Romeo, Lutan Fyah und Droop Lion gebracht:
Reggae-Performer, die sich alle eine Band teilen, weswegen der Sound den
Abend über gleich bleibt.
Es geht um Roots-Reggae. Up-Beat-Gitarre, Up-Beat-Keyboards, ein tiefer
Bass, zwei Bläser. Der Sound, der von [4][Bob Marley] berühmt gemacht
wurde. Das Erstaunliche ist: Die Musik ist oldschool, aber das Publikum ist
es nicht.
Das Publikum ist so divers wie die Stadtgesellschaft 2023. Es sind junge
Leute da und alte, bürgerliche und freakige, biodeutsche Weißbrote und
Leute mit Migrationshintergrund aller Art. Es ist das Volk, das sich hier
trifft. Nur die Nazis sind zu Hause geblieben.
Alle grooven mit. Oldschool Roots-Reggae ist der gemeinsame Nenner des
Innenstadt-Volkes. Wieder was gelernt.
Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Ostersonntag im Industriegebiet am Rande Norderstedts, es ist die
Einflugschneise des Hamburger Flughafens, wo sich der Baumarkt und die
Autowaschanlage „Gute Nacht“ sagen.
Auf einem eingeschossigen Backsteinbau weht eine schwarz-rote
Antifa-Flagge. Dort ist das [5][Soziale Zentrum Norderstedt] zu Hause.
Hinter dem Backsteinbau ist ein lang gezogener anarchistischer Garten mit
Bauwägen, eine Toilettenschüssel wurde zum Blumentopf umfunktioniert, ein
Holzboot liegt herum, darauf steht: „Zu verschenken“. Die Menschen sitzen
an blumengeschmückten Bierzeltgarnituren, sie tragen viel Schwarz, oft
verfilztes und/oder buntes Haar, oft Schriftzüge auf den Pullis: „Hamburger
Abschaum“ zum Beispiel oder: „Für Toleranz – Gegen Faschismus“.
Die Leute, das ist in diesem Fall die Szene, Punks, Autonome, eher
männlich, niemand unter 20 außer die Kinder der Punk-Familien, die an einem
Open-Air-Tisch Kicker spielt.
Die Szene ist gekommen zum „Osterspektakel“, und zu dem gehört ein
traditionelles Osterbiersuchen. Das bedeutet: Die Antifas haben
Bierflaschen mit liebevoll neu gestalteten Etiketten versehen und in ihrem
Garten versteckt, auf dass sie gefunden und dann getrunken werden. „Aber
Vorsicht“, sagt eine der Besucherinnen, „es sind auch alkoholfreie
darunter!“ Wow. Auch die Punks mögen es divers.
Am frühen Abend beginnt die Hamburger Band [6][Bullshitboy] das
Musikprogramm. Die Band lohnt sich, weil die Frontfrau im Segment des
Schreiens virtuos unterwegs ist und das brüllend laute Gitarrenbrett
einlädt, sich auf die Suche nach den Harmonien dahinter zu machen.
Draußen laufen derweil die Biersuchenden vergeblich durch den Garten. Die
anfangs große Bierflaschendichte hat sich erheblich dezimiert, und es gibt
keinen Punk-Gott, der für Nachschub im Garten sorgt.
Lustig ist das alles. Punk kann selbstironisch sein. Nochmal was gelernt.
15 Apr 2023
## LINKS
[1] https://wortwuchs.net/werke/osterspaziergang/
[2] /Fabrik-Chefin-Lorenz-ueber-Kultur-fuer-alle/!5095017
[3] /Besuch-auf-der-Cannabis-Messe-in-Berlin/!5806374
[4] /Happy-Birthday-Bob-Marley/!5661947
[5] https://sz.nadir.org/
[6] https://bullshitboy.com/
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Kolumne Großraumdisco
wochentaz
Schwerpunkt Stadtland
Reggae
Punk
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Stadtnatur
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Sonnenbaden
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