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# taz.de -- "Fabrik"-Chefin Lorenz über Kultur für alle: "Herausforderung Br�…
> Nach über 40 Jahren erlebt die Hamburger Fabrik den ersten Wechsel an
> ihrer Spitze: Neue Geschäftsführerin des "Kultur für alle"-Zentrums ist
> die Kulturmanagerin Ulrike Lorenz.
Bild: Will keine weitere Kommerzialisierung in der "Fabrik": die neue Chefin Ul…
taz: Frau Lorenz, wenn man sich das Musikprogramm der Fabrik dieser Tage
anschaut, dann findet man: The Stranglers, Nina Hagen, Killing Joke und
80er-Party-Nacht. Ist das Kulturzentrum noch am Puls der Zeit?
Ulrike Lorenz: Für uns besteht die Herausforderung darin, einen
Brückenschlag verschiedener Generationen in unserem Programm abzubilden.
Denn unsere Gäste kommen aus unterschiedlichen Generationen und das ist ja
gerade das Schöne an der Fabrik. Der Brückenschlag besteht darin, dass man
jüngere Künstler zeigt und neue Formate anbietet, aber auch weiterhin die
älteren Gruppen, die ja immer noch über 1.000 Leute anziehen. Uriah Heep
beispielsweise war bis unters Dach ausverkauft. Gleichwohl haben hier auch
Kettcar und Jan Delay vor ausverkauftem Haus gespielt.
Welche neuen Formate könnten das sein?
Das wird sich zeigen. Ich bin seit zweieinhalb Wochen hier und bin gerade
dabei, mir einen Überblick zu verschaffen. Aber ich finde es gut, wenn wir
eine Plattform schaffen für Nachwuchsbands und mehr Jazz zeigen. Auch
interaktive Formate finde ich interessant.
Wie kommen Sie auf Jazz?
Ich habe in Wolfsburg, meiner letzten Wirkungsstätte, unter anderem die
internationale Sommerbühne veranstaltet, das ist ein vierwöchiges
Open-Air-Festival im Wolfsburger Schloss. Da hatten wir ein paar kleine,
aber feine Jazz-Konzerte. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man solche
Sachen zeigt.
Es gibt nicht viele Häuser in Hamburg, die im Pop- und Jazz-Bereich
Konzerte veranstalten und städtische Subventionen bekommen. Wie
rechtfertigen Sie die für die Fabrik?
Die Fabrik ist kein reiner Musikschuppen, der Konzerte macht, sondern ein
Haus mit verschiedene Angeboten wie Theater, Kinder- und Jugendarbeit,
Diskussionsrunden, Lesungen, Märkten. Das Gesamtkonzept ist „Kultur für
alle“. In der Fabrik werden 75 Prozent des Umsatzes selber erwirtschaftet.
Für ein öffentlich gefördertes Haus ist das herausragend. Wenn man die
Arbeit der Fabrik ernst nimmt, kann man sie nicht weiter kommerzialisieren.
„Kultur für alle“ ist das programmatische Konzept der Fabrik seit der
Gründung 1971. Was verstehen Sie darunter?
Das heißt, dass dies ein offenes Haus ist. Jeder kann hierherkommen. Es
gibt keine abschreckenden Hürden durch zu hohe Preise. Unser Gesamtprogramm
ist so ausgerichtet, dass es möglichst viele Menschen unabhängig von
Bevölkerungsschichten, Generationen und Bildungshintergrund erreichen soll.
Ein kulturpolitisches Konzept aus den 1970er-Jahren.
Die Grundidee ist maßgeblich hier in Hamburg-Altona 1971 mit der Fabrik
geboren worden. 1976 wurde hier die Kulturpolitische Gesellschaft
gegründet. Der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann hat die gelebten
Konzepte dann Ende der 1970er-Jahre in eine schriftliche Form übersetzt.
Die Gesellschaft hat sich seit den 1970ern massiv verändert. Was bedeutet
das für die Arbeit der Fabrik?
Wir müssen erst einmal genau schauen, was sich verändert hat. Natürlich
spielen da die Neuen Medien eine Rolle und die Frage, wie wir
beispielsweise in der Kinder- und Jugendarbeit damit umgehen. Aber auch
generationsmäßig hat sich etwas verändert: Wir bieten mittlerweile samstags
immer einen Genießermarkt an. Da kommen Bewohner aus dem Stadtteil, kaufen
hier ein und frühstücken gemeinsam. Das wird gut angenommen. Vielleicht
muss man auch mal mehr in diese Richtung machen und im Bereich Musik: Was
gibt es an junger, neuer Musik?
In welche Richtung kann es bei den Neuen Medien gehen?
Wir müssen versuchen, den Kindern Medienkompetenz und einen auch kritischen
Umgang damit beizubringen. Was sind Nachrichten? Handelt es sich bei dem,
was sie im Internet finden, um eine seriös recherchierte Nachricht oder nur
um eine Info mit fragwürdigem Wahrheitsgehalt?
Der Kultur wird gerne die Rolle zugedacht, die Integration zu befördern.
Funktioniert das?
Ja. Wir können durch unser Angebot Einblicke in Kulturen anderer Länder
geben und so immer das eigene Wissen erweitern und ermöglichen dadurch eine
andere Sichtweise. Auch glaube ich, dass mit dem Kennenlernen fremder
Nationen und deren Kulturen Vorurteile abgebaut werden.
Glaubt man dem Buch „Der Kulturinfarkt“, hat das Konzept „Kultur für all…
dazu geführt, dass die Kulturlandschaft strukturell explodiert und
mittlerweile nicht mehr zu bezahlen ist.
Dank des „Kultur für alle“-Konzeptes hat unser Land eine großartige
kulturelle Vielfalt gewonnen. Wenn man das betriebswirtschaftlich
betrachtet, hat das einen Mehrwert, der für viele Städte inzwischen ein
wichtiger Faktor ist. Berlin und Leipzig beispielsweise leben von ihrer
kulturellen Vielfalt. Und diese beiden Städte haben trotz großer
Arbeitslosenquote hohe Zuzugsraten. Kultur ist mehr als nur ein weicher
Standortfaktor. Das belegen Studien zunehmend.
Eine besondere Rolle spielt die Frage nach Standortfaktoren in Wolfsburg,
wo Sie zuletzt das Kulturbüro leiteten. Wie kann man sich diese Arbeit
vorstellen – geht man rüber zu VW, wenn man Geld für ein Festival braucht?
Nein, VW hat beispielsweise mit Movimentos selbst ein Festival. Dafür wird
viele Geld in die Hand genommen. Da kann keine städtische Kulturverwaltung
mithalten. Aber dadurch, dass es den internationalen Player VW auf der
anderen Seite des Mittelland-Kanals gibt, ist die Stadt in Zugzwang, auch
gute Angebote zu machen.
Wie macht sie das?
Die Stadt sagt: Wir haben nicht die Mittel für die ganz großen Namen wie
Genesis im Programm, sondern bei uns geht es darum, kulturelle Vielfalt für
die gesamte Bevölkerung anzubieten. Es gibt ja auch viele Italiener in
Wolfsburg mit einem reichhaltigen kulturellen Leben – was die Stadt ganz
klar auch attraktiver macht.
Was wäre die Stadt Wolfsburg ohne VW?
Wolfsburg hat 120.000 Einwohner und viele Stadtteile, aber kein richtiges
Zentrum: Es ist nicht von innen nach außen gewachsen. Es gibt das VW-Werk
und da herum ist die Stadt entstanden. Nicht nur die Stadt, die ganze
Region ist abhängig von diesem Weltkonzern. Das VW-Werk nimmt die
Verantwortung wahr und fördert die Region mit den verschiedensten Mitteln,
aber es ist eben so, wie das Ruhrgebiet früher von der Kohle abhängig war.
Bevor Sie nach Wolfsburg kamen, leiteten Sie eine Spielstätte in
Braunschweig. Wie bringt man freies Theater in einer so konservativen Stadt
nach vorne?
Ich habe dort eine neue Konzeption etabliert und die Braunschweiger fanden
es gut, einen Ort zu haben, wo man Theaterformen jenseits von bürgerlichem
Repräsentationstheater sehen kann. In den sieben Jahren haben wir uns
wirtschaftlich sehr gut entwickelt. In Braunschweig gibt es eine gute
Stiftungslandschaft und diese Stiftungen sind auch im Bereich Kunst, Kultur
und Soziales verlässliche Partner.
In Hamburg dagegen stellte die Kulturbehörde vor knapp zwei Jahren die
Subventionen für die Fabrik infrage. Sind diese Kürzungsvorhaben vom Tisch?
Es hat seitdem einen Regierungswechsel gegeben und es gibt unter anderem
eine neue Senatorin, die ich bei meinen Antrittsbesuch kennenlernen werde.
Darauf freue ich mich sehr.
29 Apr 2012
## AUTOREN
Klaus Irler
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