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# taz.de -- Freie Verhütung für alle: Von Luxemburg lernen
> In Deutschland ist man weit von kostenloser Verhütung entfernt. Im
> Koalitionsvertrag steht aber eine Kostenübernahme für Geringverdienende.
Bild: Eine Kostenübernahme für Verhütungsmittel wäre auch in Deutschland an…
Der Zugang zu Verhütung ist ein Menschenrecht. Wie man dem gerecht werden
kann, das macht Luxemburg gerade vor: Seit April sind Verhütungsmittel
kostenfrei.
Für die Kostenübernahme sollen den Plänen zufolge das Alter und das
Einkommen ebenso wenig eine Rolle spielen wie das Mittel. Mit einer
Einschränkung: Die Kosten für Kondome bleiben, jedoch gibt es Kondomspender
an Schulen sowie öffentliche Verteilungen. Für Verhütungsmittel wie Spirale
oder Sterilisation kann die Rechnung bei der Gesundheitskasse CNS
eingereicht werden, die Luxemburger*innen bekommen das Geld dann
erstattet. Außerdem ist kein Rezept mehr für die Pille danach nötig.
Dieser Schritt ist ein bedeutender für die Rechte von Menschen, die
schwanger werden können. Bislang wurden in Luxemburg nur für Frauen unter
30 Jahren 80 Prozent der Kosten für eine begrenzte Auswahl an
Verhütungsmitteln erstattet. Maßgeblich lobbyiert für die Reform hat die
Organisation Le Planning Familial: „Für uns ist es ein fundamentales
Recht, dass jeder seine Sexualität ausleben kann, wie er es möchte“, sagt
Yves Bruch, Vizepräsident bei Planning Familial. Die Organisation wird von
der Regierung finanziell getragen, ist aber unabhängig.
„Wir vertreten die Meinung, dass der einfache Zugriff auf Verhütungsmittel
quasi ein Grundrecht ist und deshalb von der Öffentlichkeit finanziert
werden sollte“, sagt Bruch. „So, wie es bei anderen präventiven
medizinischen Behandlungen der Fall ist, etwa bei Impfungen und
Vorsorgeuntersuchungen.“
## Niedrigschwellig
Bei der Organisation konnten schon vor dem 1. April Verhütungsmittel
niedrigschwellig verschrieben werden. „Wir empfangen viele Leute, die durch
das Raster fallen“, sagt Bruch. „Man darf nicht vergessen, damit man dann
in den Genuss der hundertprozentigen Erstattung kommt, muss man bei uns in
der Versicherung eingetragen sein“, sagt Bruch über die Erstattung. Die
Schwelle dafür sei nicht hoch, doch müsse man gültige Ausweispapiere haben
– was den Zugang für illegalisierte Menschen verunmöglicht und für
Wohnungslose erschwert. Zwar können Menschen ohne Meldeadresse in Luxemburg
krankenversichert sein, doch laut Bruch empfinden viele es als einfacher,
das Angebot von Le Planning Familial in Anspruch zu nehmen.
Was Luxemburg macht, stünde auch Deutschland gut zu Gesicht. Denn Verhütung
ist hierzulande auch eine Frage des Geldbeutels: Die Antibabypille kostet
im Monat zwischen 13 und 23 Euro. Eine Spirale wirkt langfristig, kostet
aber mehrere Hundert Euro. Geld, das Menschen erst einmal übrig haben
müssen, wenn die existenziellen Kosten für Miete und Lebensmittel gedeckt
sind – gerade in Zeiten steigender Preise.
Bei dem 2023 eingeführten Bürgergeld gibt es für „Gesundheitspflege“ ger…
mal 19,16 Euro im Monat, von denen neben Verhütung auch
Kopfschmerztabletten, Tampons, Pflaster und dergleichen bezahlt werden
sollen.
Für junge Frauen bis 22 Jahre werden [1][die Kosten für rezeptpflichtige
Verhütungsmittel] wie die Pille oder die Spirale von der Krankenkasse
übernommen, danach sind sie Privatsache. Manche Kommunen haben Programme
für Bezieher*innen von Sozialleistungen oder Menschen mit geringem
Einkommen. Doch viele Kommunen wollen die Kosten möglichst gering halten
und bewerben ihre eigenen Angebote kaum. 2017 forderte der Bundesrat eine
bundesweit einheitliche Regelung. Die Ampel hat das Thema Kostenübernahme
für Geringverdienende im Koalitionsvertrag festgeschrieben – passiert ist
bisher aber nichts. Dabei ist erwiesen, dass Armut sich auf das
Verhütungsverhalten auswirkt.
## Konto und Menschenrechte
Studien wie etwa „[2][Frauen leben 3“ von 2011] zeigen deutlich: Wer wenig
Geld hat, greift öfter auf weniger sichere – aber billigere –
Verhütungsmittel zurück, verhütet unregelmäßiger oder trotz Bedarfs gar
nicht. „Armut geht mit Verhütungsrisiken und einem erhöhten Risiko
ungewollter Schwangerschaften einher“, bilanzierte seinerzeit die
inzwischen verstorbene Soziologin Cornelia Helfferich.
Dass der Kontostand nicht über die Möglichkeit zu verhüten entscheiden
darf, ist eine Menschenrechtsfrage. Gleichzeitig geht es nicht weit genug,
die Kosten nur für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel zu übernehmen.
Denn zum Ob gehört auch das Wie.
Welche Verhütungsmethode für wen passend ist, ist individuell und kann sich
im Laufe eines Lebens ändern: Ist ein Kind geplant, aber nicht jetzt? Ist
die Familienplanung abgeschlossen? Werden Hormonpräparate gut vertragen?
Gibt es sexuell übertragbare Krankheiten in der Partnerschaft, vor denen
ein Kondom schützt, eine Spirale aber nicht? Kondome zu erstatten wäre auch
wichtig, damit die Verantwortung nicht nur in der Hände derer liegt, die im
Zweifel ungewollt schwanger werden.
Die Linkspartei fordert kostenfreie Verhütung für alle Menschen:
Verschreibungspflichtige Mittel wie die Pille sollten Kassenleistung sein,
andere, wie das Kondom, über ein Budget von der Kasse erstattet werden.
Eine Begrenzung auf Empfängerinnen von staatlichen Leistungen ließe viele
Frauen mit wenig Geld außen vor – Studentinnen etwa, kritisiert Heidi
Reichinnek, frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion.
## Frauensache?
„Verhütung ist noch immer vor allem Frauensache“, sagt Reichinnek. Es seien
auch die Frauen, die mit den Nebenwirkungen leben, die es gerade bei
hormoneller Verhütung oft gebe. „Diese Mehrbelastung ist sowieso ungerecht.
Und dann sollen Frauen auch noch die finanzielle Last alleine tragen?“
Wenigstens an dieser Stelle könne der Staat für Ausgleich sorgen. „Der
Zugang zu Verhütung ist Teil reproduktiver Rechte und muss somit ganz
grundsätzlich Teil der medizinischen Grundversorgung sein“, sagt
Reichinnek.
Die Kostenübernahme nur für arme Menschen könne „nur ein erster Schritt“
bei der Umsetzung des Rechts auf Familienplanung sein, konstatiert auch die
NGO Pro Familia 2019 in der Kurzevaluation ihres Modellprojekts „biko“. In
dessen Rahmen bekamen an sieben Standorten bundesweit Frauen im
Leistungsbezug oder in schlechter finanzieller Lage die Kosten für
Verhütungsmittel erstattet. „Eine stigmatisierende Bedürftigskeitsprüfung�…
solle es nicht geben, fordert Pro Familia, und Verhütung solle
Kassenleistung werden.
Menschen mit wenig Geld den Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln zu
garantieren, ist überfällig. Doch bei der Frage, wer finanziell unterstützt
wird, schwingt immer die Frage mit: Wessen Kinder sind erwünscht, werden
gar eingefordert – und wer soll lieber keine bekommen? Es sagt etwas aus,
wenn der Staat nur für diese Gruppe die Kosten für Verhütungsmittel
erstattet – während ihnen gleichzeitig finanzielle Hilfen wie das
Kindergeld vom Bürgergeld abgezogen werden. Auch arme Menschen haben das
Recht auf Familie.
Aus einem Recht auf Verhütung darf keine Erwartungshaltung folgen.
12 Apr 2023
## LINKS
[1] https://www.krankenkasseninfo.de/leistungen/gesetzliche-leistungen/empfaeng…
[2] https://publikationen.sexualaufklaerung.de/materialien/studien/frauen-leben…
## AUTOREN
Nicole Opitz
Dinah Riese
## TAGS
Verhütungspille
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häusliche Gewalt
Kolumne Starke Gefühle
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