# taz.de -- Kaputte Kupferspiralen: Schmerzhafte Suche nach dem Seitenarm | |
> In der Gebärmutter einer Frau zerbricht die Spirale. Jetzt verklagt sie | |
> den Hersteller. Das könnten Hunderte weitere Betroffene auch tun – noch. | |
Bild: Kein Mann muss solche Risiken für seinen Körper in Kauf nehmen, mit Ver… | |
[1][Statt sorgenlos Sex zu haben], muss eine junge Frau aus Leipzig jetzt | |
vor Gericht ziehen. Nach Jahren des Leids verklagt sie die Firma Eurogine. | |
Das ist der spanische Hersteller der auch in Deutschland vertriebenen | |
Kupferspirale „Ancora“. Eine Charge der Spiralen war defekt, Tausende | |
Frauen waren im Laufe der letzten Jahre davon betroffen. Den wenigsten von | |
ihnen ist bisher Gerechtigkeit widerfahren – doch die Zeit, die ihnen für | |
den Rechtsweg bleibt, ist knapp. | |
Die Frau aus Leipzig, nennen wir sie hier Sina Lang, entscheidet sich 2017 | |
für eine Kupferspirale. Damals ist Lang 26 Jahre alt. „Von hormoneller | |
Verhütung wie mit der Pille hatte ich die Nase voll“, erklärt sie ihre | |
Beweggründe im Gespräch mit der taz. Die Pille kann Kopfschmerzen, | |
Verstimmungen oder Zwischenblutungen auslösen, sie erhöht das Risiko von | |
Thrombosen und Brustkrebs. „Ich habe nicht mehr eingesehen, dass ich als | |
Frau meinen Körper so einer Belastung aussetzen soll“, sagt Lang. | |
[2][Abhilfe verspricht die Kupferspirale], medizinisch korrekt | |
„Intrauterinpessar“. Das ist ein T-förmiges Plastikstück in der Größe v… | |
2,5 bis 3,5 Zentimetern. Der Schaft ist mit Kupferdraht umwickelt und gibt | |
keine Hormone, sondern Kupferionen ab. Diese verändern den Schleim im | |
Gebärmutterhals, sodass Spermien schwerer hineingelangen können und weniger | |
beweglich sind. | |
Außerdem verhindert die Kupferspirale, dass eine befruchtete [3][Eizelle | |
sich einnisten kann]. Diese Spiralen können bis zu fünf Jahre im Körper | |
bleiben und gelten als sichere Verhütungsmethode. Eingesetzt werden sie | |
sowohl in gynäkologischen Praxen als auch in einigen | |
Familienplanungszentren. Lang geht zum medizinischen Zentrum von ProFamilia | |
in Bremen, wo sie damals lebt, und bekommt dort am 14. September 2017 die | |
Spirale des Typs Multiload namens „T-Safe CU 380A QL/Ancora 375 (Lot-Nummer | |
0216) eingesetzt. Warum die genaue Nummer wichtig ist, wird sie erst viel | |
später verstehen. | |
Kurz vor Ablauf der fünf Jahre, im April 2022, lässt Lang, die inzwischen | |
nach Leipzig gezogen ist, die Spirale entfernen. Da erlebt sie den ersten | |
Schock: Ihre Frauenärztin zieht einen Stab heraus, doch es fehlen die | |
beiden Seitenarme. Die Ärztin, die Lang sehr schätzt, habe irritiert | |
gewirkt. „Die dachte, es handle sich um ein Spiralen-Modell, das sie nicht | |
kennt – und hat mich nach Hause geschickt.“ [4][Dabei hatte das | |
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schon Ende 2019 | |
öffentlich gewarnt]: Bei Spiralen von Eurogine können die Seitenarme | |
brechen. Ob Langs Ärztin das wusste, ist unklar; auf die Fragen der taz hat | |
sie bisher nicht geantwortet. | |
## Hersteller gesteht Produktfehler ein | |
Erst Monate nach dem Besuch bei der Ärztin weist eine Freundin Lang darauf | |
hin, dass die Firma Eurogine eine Rückrufaktion für Spiralen gestartet hat. | |
Dazu hatte das zuständige BfArM den Hersteller aufgefordert, wie aus einer | |
[5][Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im | |
Bundestag von 2024 hervorgeht]. | |
„Nach dem Hinweis meiner Freundin habe ich natürlich sofort überprüft, | |
welche Modelle betroffen waren“, erzählt Lang. Sie stellt fest: Auch die | |
Charge ihrer Spirale steht auf der Liste. Also geht sie im Oktober 2022 | |
erneut zu ihrer Gynäkologin. Auf dem Ultraschall, der der taz vorliegt, | |
entdecken sie einen der Seitenarme. „Eine Weile später, als ich meine Tage | |
hatte, hing einer der Seitenarme dann an einem Tampon. Aber wo der zweite | |
abgeblieben ist? Keine Ahnung!“ | |
Ihre Ärztin überweist sie deshalb an einen Kollegen mit besserer Technik. | |
Doch auch der findet nichts. In Lang steigt Panik auf. „Was, wenn das Teil | |
in andere Organe gewandert ist? Was passiert dann? Ist das gefährlich?“ | |
Fragen, die Lang bis heute niemand beantwortet hat. „Dass niemand Wissen, | |
geschweige denn Lösungen hatte, hat mich fertig gemacht. Ich habe mich | |
unfassbar allein damit gefühlt“, sagt Lang. | |
Sowohl das deutsche BfArM als auch Abgeordnete des EU-Parlaments | |
kritisierten die unzureichende Kommunikation des Rückrufs, doch konkrete | |
Konsequenzen blieben aus. Das BfArM schreibt der taz dazu: „Die | |
Kundeninformationen des Herstellers sind offensichtlich nicht an alle | |
betroffenen Parteien (Apotheken, Großhändler, Gynäkologen) gegangen.“ Hat | |
ProFamilia Bremen die Betroffene gewarnt? Belege dafür legt der | |
Landesverband auf Nachfrage der taz unter Verweis auf fehlende Zeit nicht | |
vor. Eine frühzeitige Warnung hätte Lang geholfen. „Dann hätte ich die | |
Spirale sofort entfernen lassen“, betont sie. Womöglich wäre es dann gar | |
nicht zum Bruch gekommen. | |
Langs neuer Arzt schlägt einen Eingriff unter Vollnarkose vor. Dabei soll | |
mit einer Kamera nach dem Plastikstück in ihrem Körper gesucht werden. | |
Mangels anderer Ideen der Fachleute lässt Lang sich darauf ein. Die | |
Erfahrung belastet sie. Sie habe sich geschämt, nackt mit gespreizten | |
Beinen vor Fremden zu liegen. „Ich habe gezittert und hyperventiliert, bis | |
zum Glück die Narkose eingesetzt hat.“ Doch die Strapazen sind umsonst. Der | |
Seitenarm wird auch dieses Mal nicht gefunden. | |
## Blutungen und Angst vor Kinderlosigkeit | |
Bis heute weiß niemand, ob er unbemerkt ausgeschieden wurde oder noch in | |
ihrem Körper steckt – und wenn ja, was das für ihre Gesundheit bedeutet. | |
„Diese Unsicherheit ist die Hölle“, sagt Lang. „Ich weiß nicht, ob ich … | |
dem Teil in meinem Körper schwanger werden kann.“ Während Lang fürchtet, am | |
Ende keine Kinder bekommen zu können, geht es anderen Frauen genau | |
umgekehrt: Im Zusammenhang mit den defekten Spiralen sind laut BfArM allein | |
in Deutschland mindestens 23 ungewollte Schwangerschaften gemeldet worden. | |
Statt Erkenntnisse bringt der Eingriff Lang etwas anderes: tagelange | |
Schmerzen und Blutungen. Da Lang selbstständig tätig ist, hat sie zudem | |
erhebliche Verdienstausfälle. Auch ihr Sexleben verändert sich. Mit ihrem | |
Freund, der ihr all die Monate unterstützend zur Seite steht, nutzt sie nur | |
noch das Kondom, obwohl sie das nicht optimal findet. „In alle anderen | |
Verhütungsmittel habe ich das Vertrauen verloren.“ | |
Lang kann nicht mit dem Thema abschließen. Sie liest weiter und findet | |
heraus, dass die Spiralen auch bei vielen anderen Frauen gebrochen sind, | |
etwa in Österreich, Spanien und Frankreich. Der [6][Verbraucherschutzverein | |
Österreich] strengte eine Sammelklage mit 1.200 Betroffenen an. Weil Lang | |
in Deutschland lebt, kann sie sich dieser nicht anschließen. | |
Aber der Verein bringt sie in Kontakt mit der Münchner Kanzlei CLLB | |
Rechtsanwälte. Die vertritt mehrere Hundert Betroffene von defekten | |
Spiralen, wie der dort tätige Anwalt Matthias Ruigrok van de Werve der taz | |
sagt. Das BfArM bestätigt der taz, dass bei ihm bislang insgesamt 875 | |
Meldungen über Brüche eingegangen sind. | |
Anfang 2024 meldet der Anwalt sich bei Lang. Er ist bereit, sie zu | |
vertreten. Sie windet sich. Sie hat keine Rechtsschutzversicherung, kein | |
Geld auf der hohen Kante und hat schon jetzt viel Zeit und Nerven in die | |
ganze Sache gesteckt. „Aber diese Ungerechtigkeit, also dass ein großes | |
Pharmaunternehmen mit schlechten Produkten auf Kosten von uns Frauen Profit | |
macht – und damit einfach davonkommt –, das geht gar nicht!“, findet Lang. | |
Mit ihrem Anwalt fordert sie gut 8.000 Euro von Eurogine. Die Unterlagen | |
des Falls liegen der taz vor. Der Konzern verlangt, dass Lang die | |
Bruchstücke der Spirale nach Barcelona schickt. „Wie absurd!“, sagt sie. | |
„Schließlich ist der Seitenarm verschwunden.“ Ende des Jahres entscheidet | |
sie sich, Klage einzureichen. Das Landgericht Leipzig setzt den Streitwert | |
auf 6.000 Euro fest. | |
Im April dieses Jahres erhält Lang die Klageerwiderung von Eurogine. Den | |
Produktfehler gibt die Firma zwar zu, sie schreibt, dass „das Bariumsulfat | |
stark vereinfacht dargestellt nicht richtig vermengt wurde, sodass es | |
schneller brüchig ist“. Aber Langs sonstige Darstellung bestreitet Eurogine | |
auf mehr als 30 Seiten: Sie hätte die Spirale früher eingelegt als | |
behauptet, für den Folgeeingriff sei gar keine Vollnarkose nötig gewesen, | |
ihre Ängste nicht ausreichend ärztlich belegt. | |
Lang weiß, dass das juristisch üblich ist, dennoch trifft sie der Brief: | |
„Als ich das gelesen habe, habe ich mich plötzlich ganz klein gefühlt.“ S… | |
schämt sich. In ihrem Kopf habe eine Stimme herumgespukt, die ihr sagt, sie | |
hätte übertrieben, sich zu sehr 'angestellt’. | |
Das Gericht schlägt einen Vergleich vor: 1.500 Euro für Lang, und die Sache | |
wäre erledigt. Doch das deckt ihre Kosten nicht. Der Anwalt rät ihr zum | |
Prozess. Aber Lang hat Angst: „Was, wenn ich verliere? Woher soll ich das | |
Geld für Gerichtskosten und teure Anwälte der Gegenseite nehmen? Ich war | |
kurz davor, aufzugeben“, sagt sie rückblickend. | |
## Sie entscheidet sich zu kämpfen | |
Erst Gespräche mit Freund*innen, die auch eine Chatgruppe gegründet haben, | |
um für Sina Lang da zu sein, bestärken sie, den Vergleich abzulehnen und | |
weiterzukämpfen. Heute sagt sie: „Es ist richtig, dass ich mich wehre. Das | |
ist mein Recht.“ Das finanzielle Risiko, zu verlieren, nimmt sie in kauf. | |
Aber ihre Chancen stehen gut: Höchstrichterlich wurde bisher nicht | |
entschieden, doch Eurogine wurde bereits von mehreren Gerichten verurteilt | |
– und das zu Schmerzensgeldzahlungen von bis zu 10.000 Euro. Die Kanzlei, | |
die Lang vertritt, hat nach eigenen Angaben mehr als 20 Verfahren gewonnen. | |
Einige Urteile sind bereits rechtskräftig. In gut dokumentierten Fällen wie | |
dem von Lang könne mit einem Erfolg gerechnet werden, zeigt sich Anwalt | |
Ruigrok van de Werve optimistisch. | |
Und er weist darauf hin: Wenn Betroffene von dem Defekt erfahren, hätten | |
sie drei Jahre Zeit. Danach verjährt der Fall. Noch ist es für viele der | |
Betroffenen möglich, zu klagen. Bisher, so schätzt der Anwalt, seien | |
höchstens fünf Prozent der Frauen, denen defekte Spiralen eingesetzt | |
wurden, vor Gericht gezogen. | |
Eine kollektive Kompensation gibt es für Betroffene aus Deutschland bisher | |
nicht. Immerhin berücksichtigen die Gerichte bei der Höhe des | |
Schmerzensgelds, wenn die Beklagten den Geschädigten trotz klarer | |
Rechtslage einen belastenden Rechtsstreit aufbürden. Warum der Konzern | |
diesen Weg wählt, ist unklar. Auf diese und viele weitere Fragen der taz | |
hat Eurogine nicht reagiert. | |
Um das Geld allein geht es Lang nicht mehr, für sie ist das längst ein | |
politischer Kampf um Gerechtigkeit – auch im Sinne anderer Frauen und | |
Queers. Dafür hat sie auch eine E-Mail-Adresse eingerichtet, unter der sich | |
andere Betroffene melden können, um sich auszutauschen. Ihr | |
Gerichtsverfahren beginnt am 27. August am Landgericht Leipzig. „Egal, wie | |
es ausgeht, ich habe viel Solidarität erhalten und weiß jetzt: Ich bin | |
nicht allein“, sagt Lang. | |
20 Aug 2025 | |
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[4] https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/intr… | |
[5] https://dserver.bundestag.de/btd/20/115/2011552.pdf | |
[6] https://www.verbraucherschutzverein.eu/eurogine/ | |
## AUTOREN | |
Lotte Laloire | |
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