# taz.de -- Verhütung vor Gericht: Sie dreht die Spirale um | |
> Nach Jahren des Leids klagt eine Frau in Leipzig gegen den | |
> Verhütungsmittelhersteller Eurogine. Der Ausgang des Verfahrens scheint | |
> schon klar zu sein. | |
Bild: Quelle der Qual: eine Kupferspirale mit Seitenarmen, die beim Hersteller … | |
Leipzig taz | Der Richter hält es kurz, der beklagte Konzern macht ein | |
Eingeständnis, doch es bleibt spannend: Vor dem Landgericht Leipzig wirft | |
eine Frau dem Verhütungsmittelhersteller Eurogine aus Spanien aktuell vor, | |
dass eine seiner defekten Kupferspiralen in ihrer Gebärmutter zerbrochen | |
ist, was für sie Jahre des Leids bedeutet habe. Deshalb fordert sie 4.900 | |
Euro Schmerzensgeld. | |
Bis zu diesem Mittwoch hat die heute 34-Jährige, zu ihrem Schutz soll sie | |
hier Sina Lang heißen, bereits eine Odyssee hinter sich. Da ihr hormonelle | |
Verhütung nicht gutgetan und sie nicht mehr eingesehen hatte, als Frau | |
ihren Körper damit zu belasten, ließ sie sich 2017 im medizinischen Zentrum | |
von ProFamilia Bremen die Kupferspirale einsetzen. | |
Sie hatte „Pech“, wie es der Leipziger Richter am Mittwoch früh formuliert, | |
die Spirale zerbrach. Lang war 2022 – pünktlich, kurz vor Ablauf der | |
zulässigen fünf Jahre – bei ihrer Gynäkologin, um die Spirale entfernen zu | |
lassen. Doch heraus zog diese nur den Schaft des eigentlich T-förmigen | |
Teils. Die beiden Seitenärmchen fehlten. | |
Grund war „ein Produktfehler, daran gibt es keine Zweifel“, sagt der | |
Richter bereits in der ersten Minute der Verhandlung. Nicht einmal der | |
Anwalt der verantwortlichen Firma bestreitet das. Es ist nicht der erste | |
Prozess dieser Art. | |
Allein Langs Anwalt, Matthias Ruigrok van de Werve, hat bereits 25 | |
Verurteilungen erstritten, wie er der taz sagt. Dabei habe nur ein winziger | |
Bruchteil der Betroffenen bisher geklagt. In ganz Europa trugen Hunderte, | |
wenn nicht Tausende Frauen die defekten Spiralen in sich. Die genaue Zahl | |
ist unbekannt, eine Anfrage der taz dazu hat der Hersteller nicht | |
beantwortet. | |
## Richter erkennt Leid an | |
Der Richter fasst Langs Fall in rasender Geschwindigkeit zusammen. Ohne | |
Umschweife erkennt er an: Lang erlitt nicht nur körperliche, sondern auch | |
eine „seelische Beeinträchtigung“. In der Bewertung gehe er mit einer | |
vorangegangenen Entscheidung des Landgerichts Berlin mit. Fraglich sei aus | |
seiner Sicher eher „die Kausalität“. Damit meint er wohl, was von ihrem | |
Leid die kaputte Spirale ausgelöst hat. Dann befragt er die Geschädigte. | |
Lang schildert die langwierige [1][Suche nach dem Seitenarm]: erst mit | |
Ultraschall, dann mit Fasszange, schließlich bei einem anderen Arzt, später | |
sogar bei einem Eingriff unter Vollnarkose. Alles ohne Ergebnis. Während | |
einer der Seitenarme mit ihrer Periode aus dem Körper gespült wurde, bleibt | |
der zweite bis heute verschwunden. | |
„Ich hatte extreme Schmerzen, vergleichbar mit sehr starkem | |
Menstruationsschmerz“, antwortet Lang auf eine der Fragen, die ihr Anwalt | |
stellt, und fügt hinzu: „Das kann man sich natürlich nicht vorstellen, wenn | |
man keine Gebärmutter hat.“ In empathischem Ton wirft der Richter ein: „Ja, | |
als Mann natürlich nicht.“ | |
Dann fährt sie fort, wie sie nach den Eingriffen blutete, dass sie tagelang | |
nicht richtig laufen konnte, wie viel Angst sie in dieser Zeit hatte. Sie | |
habe nachts wach gelegen, sich Sorgen gemacht, das verlorene Teil könnte | |
eine Eileiterschwangerschaft auslösen, sei arbeitsunfähig gewesen und | |
vieles mehr. Bei einigen intimen Fragen – etwa dazu, wie Lang heute verhüte | |
– sagt ihr Anwalt extra dazu, dass sie darauf nicht antworten müsse und er | |
auch nur frage, weil die Gerichte diese Aspekte oft berücksichtigten. Lang | |
beantwortet alles. | |
## Eurogine-Anwalt unterstellt Frauen Falschaussagen | |
Als Nächstes darf der Anwalt der Gegenseite Fragen stellen. Er entscheidet | |
sich zunächst für eine Vorrede, in der er Frauen abspricht, die Wahrheit zu | |
sagen. Er habe schon viele dieser Verfahren geführt. „Tatsächlich stimmen | |
nicht immer alle Angaben.“ Langs Miene verfinstert sich. Dass man Zweifel | |
an ihrer Darstellung gehegt habe, habe „gar nichts mit Ihnen persönlich zu | |
tun“, betont der Konzern-Anwalt. | |
Eurogine hatte vorab unter anderem behauptet, von Lang angegebene Daten zur | |
Liegedauer der Spirale seien falsch – obwohl es dazu ärztliche Belege gibt. | |
Diese liegen auch der taz vor. „Das war für mich ein weiterer Schlag ins | |
Gesicht“, sagt Lang im Rückblick zur Klageerwiderung des Konzerns. Im | |
Gerichtssaal erwähnt dessen Anwalt nichts davon mehr. In der Regel prüfen | |
Gerichte die Sachvorträge der beiden Seiten vor der mündlichen Verhandlung | |
– und räumen dabei bereits einige Punkte vom Tisch. | |
Immerhin gesteht der Anwalt ein, dass Langs Erfahrung „belastend“ gewesen | |
sei – „das sehe ich.“ Dann bohrt er minutenlang nach, wer Lang über die | |
Risiken der Spirale aufgeklärt habe – und jedem im Raum ist klar: Er | |
versucht, die Schuld anderen zuzuschieben. Lang antwortet ruhig: „Es gab | |
von Eurogine keine wissenschaftliche Forschung oder überhaupt irgendeine | |
Information. Deshalb musste ich mich natürlich auf Aussagen des | |
gynäkologischen Fachpersonals verlassen.“ | |
Der Konzern hatte die defekten Spiralen zwar Ende 2019 zurückgerufen und es | |
gab [2][eine öffentliche Warnung vom Bundesinstitut für Arzneimittel und | |
Medizinprodukte] – doch diese kam längst nicht bei allen Betroffenen an. | |
Ihre Ärzt*innen klingen in Langs Schilderung zwar bemüht, aber ratlos. | |
Sie hätten ihr gesagt: „Es kann passieren, dass sich das Spiralenteil in | |
der Gebärmutter verwächst oder dass es in andere Organe migriert.“ | |
## Gefahr für künftigen Embryo? | |
Mit am schlimmsten für die Frau mit Kinderwunsch sei die Sorge gewesen, | |
dass das Spiralenteil in ihrer Gebärmutter zurückgeblieben sein könnte und | |
bei einer künftigen Schwangerschaft den Embryo gefährden könnte. Auch das | |
hätten die Fachleute nicht ausschließen können. „Weil mir niemand helfen | |
konnte, habe ich mich isoliert gefühlt und dann auch sozial immer weiter | |
zurückgezogen“, erklärt die Frau, die beim Prozessauftakt am Mittwoch den | |
größten Redeanteil hat. | |
Am Ende schlägt der Konzern-Anwalt in gönnerhaftem Ton einen Vergleich vor: | |
„2.500 Euro.“ Lapidar antwortet Langs Anwalt: „Meine Mandantin ist so ein… | |
weiten Weg gegangen, sie möchte Genugtuung.“ Damit ist klar, dass sie den | |
Vergleich ablehnen und ein Urteil verlangen. | |
Lang tritt auf die Straße vor das Gericht, in die Sonne. „Das war echt | |
anstrengend“, sagt sie. Die Freund*innen, die sie begleiten, gratulieren | |
ihr schon – obwohl das Urteil erst für 10. September angekündigt ist: „Du | |
hast gewonnen!“, rufen zwei gleichzeitig. „Jetzt geht es nur noch um die | |
Höhe des Schmerzensgeldes“, sagt eine. | |
So schätzt das auch ihr Anwalt ein. Die Summen, die er bisher von Eurogine | |
erstritten hat, lagen je nach Schwere der Folgen zwischen 5.000 und 10.000 | |
Euro. Auch Lang ist optimistisch, dass sie Geld erhalten wird. Dann geht | |
sie mit allen zusammen Torte essen. | |
27 Aug 2025 | |
## LINKS | |
[1] /kaputte-kupferspiralen/!6105159 | |
[2] https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Medizinprodukte/DE/intr… | |
## AUTOREN | |
Lotte Laloire | |
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