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# taz.de -- Initiative gegen sexualisierte Gewalt: Ein Schutzschild beim Feiern
> Die Kölner Initiative Edelgard unterstützt Betroffene von sexualisierter
> Gewalt bei Festivals oder Karneval. Und verweist auf strukturelle
> Probleme.
Bild: Sexualisierte Gewalt beginnt nicht erst, wenn sie physisch wird
Köln taz | Die Sonne sinkt langsam hinter der Bühnenkulisse des Summer Jam
Festivals und der Bass wummert über den Fühlinger See. Es ist kurz vor 21
Uhr an einem warmen Freitagabend im Kölner Norden. Dicht gedrängt tanzen
Menschen und feiern die Musik. Doch wo viele Menschen auf engem Raum
zusammenkommen, bleibt eines häufig unsichtbar: sexualisierte Übergriffe.
Genau hier beginnt die Arbeit von [1][Edelgard].
Franzi, Beraterin bei Edelgard, hat ihren Platz am Rande des
Festivalgeländes eingerichtet. Die mobile Beratungsstelle ist von einem
orangen Pavillon überdacht. „Wir sind eine erste Anlaufstelle für
[2][Betroffene von sexualisierter Gewalt]“, sagt Franzi.
Typische Gründe, weshalb Betroffene zur Beratungsstelle kommen, sind
angegrapscht zu werden, dass jemand einem ungefragt zu nahe kommt oder das
Gefühl, verfolgt zu werden, sagt Franzi. Von Gefühlen der Unsicherheit bis
hin zu schwerwiegenden Fällen wie Vergewaltigungen: All das hat sie schon
in der mobilen Beratungsstelle erlebt.
Franzi hat Soziale Arbeit studiert, einen Master in Gender Studies gemacht
und arbeitet hauptberuflich in einer Beratungsstelle für Betroffene von
familiärer Gewalt. Teil des Edelgard-Teams ist sie seit Ende 2023 und wird
bei Bedarf bei einzelnen Veranstaltungen eingesetzt, bei denen Edelgard vor
Ort ist.
In ihrer Notfalltasche hat sie zum Beispiel saure Bonbons, einen Igelball,
Decken. Der saure Reiz und die Stimulation des Igelballs können
Betroffenen helfen, ins Hier und Jetzt zurückzukehren, indem sie ihre
Aufmerksamkeit stark auf den gegenwärtigen Moment lenken und so
Dissoziationen oder Flashbacks unterbrechen.
Die Gegenstände können auf den ersten Blick banal wirken, in Wahrheit aber
Großes leisten. „Zuerst müssen häufig Grundbedürfnisse wie Durst, Hunger,
Wärme abgedeckt werden. Dann kann man über das Erlebte sprechen, wenn die
Person das möchte“, sagt sie.
Die Handys der Beraterinnen müssen immer aufgeladen sein, damit Betroffene
sie während der Einsatzzeiten erreichen können. Franzi legt Infomaterial
auf dem Tisch bereit, daneben stehen einige Stühle. Von 21 bis 1 Uhr nachts
sind zwei Beraterinnen im Dienst. Während der Einsatzzeiten darf die taz
sie nicht begleiten, die Gespräche mit den Betroffenen sind streng
vertraulich.
Sexualisierte Gewalt beginnt nicht erst, wenn sie physisch wird.
Catcalling, sexistische Witze und ungefragtes Fotografieren: All das sind
Übergriffe. Zwei von drei Frauen erleben in ihrem Leben sexuelle
Belästigung. Das Angebot von Edelgard richtet sich zwar explizit an
FLINTA*-Personen (Akronym für Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre,
transgender und agender Personen), aber im Grunde seien alle Personen
willkommen.
## Gründung nach Silvesternacht 2015/16 in Köln
„Es kann einen positiven Einfluss auf den Umgang mit traumatischen
Situationen haben, wenn man schnell adäquate und empathische Unterstützung
erhält. Das ist auch das, was Edelgard leisten möchte und kann“, erklärt
Franzi. Allerdings nehmen aus Angst und Scham viele Betroffene von
sexualisierter Gewalt keine Hilfe in Anspruch.
Die Initiative Edelgard ist benannt nach den althochdeutschen Begriffen
„edel“ wie aufrecht und stolz und „gard“ wie Schutz. Ein Schild, das si…
vor die Betroffenen stellt. Gegründet nach den [3][Übergriffen in der
Silvesternacht 2015/16 in Köln] ist die mobile Beratungsstelle auf
Großveranstaltungen nur ein Teil eines umfassenden Projekts.
Es basiert auf vier Säulen: „Edelgard informiert“ stellt die Aufklärungs-
und Sensibilisierungsarbeit zu sexualisierter Gewalt dar. Darüber gibt es
„Edelgard schützt“: Im Rahmen dessen werden Mitarbeiter:innen von
öffentlichen Orten wie Cafés, Bars, Kinos und Apotheken geschult, um Erste
Hilfe für Betroffene von sexualisierter Gewalt zu leisten.
Man kann an diesen Orten auch Sicherheit finden, wenn man sich verfolgt
fühlt oder unangenehme Situationen erlebt hat. Die Unterstützung richtet
sich also nicht nur an Betroffene, sondern auch an jene, die helfen wollen.
240 Institutionen sind bereits Teil von „Edelgard schützt“. Diese werden
sowohl durch einen Edelgard-Sticker an der Tür als auch in der „Edelgard
Map“ als schützender Ort gekennzeichnet. Auf dem Sticker sieht man das Logo
von Edelgard – eine rothaarige Frau mit einer Lanze in der Hand –, das in
Köln mittlerweile recht bekannt ist.
Die letzte Säule ist „Edelgard mobil“, die Akutberatung auf
Großveranstaltungen wie auch dem Summer Jam Festival. Edelgard ist dort
zwar nicht rund um die Uhr erreichbar, jedoch ergänzt es bestehende
Angebote wie den Notruf für vergewaltigte Frauen.Insgesamt ist das Ziel von
Edelgard: Räume schaffen, in denen sich alle sicher fühlen und mit
Aufklärungs- und Sensibilierungsarbeit enttabuisieren.
Edelgard arbeitet parteilich mit den Betroffenen: „Wir stellen nicht
infrage, dass etwas passiert ist. Wir nehmen das, was die Person erzählt,
als Wahrheit, weil es die Wahrheit der betroffenen Person ist“, sagt
Franzi. Es gehe darum, Betroffenen ein Stück Selbstwirksamkeit
zurückzugeben.
## Hinter Masken fühlen sich Täter:innen sicher
Ein wichtiger Teil der Beratung ist es, über Möglichkeiten wie etwa die
[4][anonyme Spurensicherung (ASS) in Krankenhäusern] aufzuklären. Durch
eine ASS können Spuren einer Sexualstraftat dokumentiert werden, ohne dass
Betroffene sofort Anzeige erstatten müssen.
„Die betroffene Person ist die Expertin für den eigenen Umgang mit der
Situation“, betont Franzi. Bei Edelgard entscheiden Betroffene immer
selbst, ob sie Anzeige erstatten möchten, oder ob die Polizei oder der
Rettungsdienst unterstützen soll. Nur in Fällen, in denen Betroffene
beispielsweise dissoziieren, wird immer der Rettungsdienst gerufen.
Köln ist bekannt für seine Feierkultur, besonders für den Karneval. Doch
hinter der bunt geschminkten Maske verbergen sich häufig Gewalt und
Übergriffe. 2024 wurden 22 Fälle [5][sexualisierter Gewalt beim Karneval]
angezeigt, darunter sechs Vergewaltigungen. Die Dunkelziffer dürfte
deutlich höher liegen.
„An Tagen, an denen die ganze Stadt ausgelassen feiert, steigt auch das
Risiko für sexualisierte Gewalt“, erklärt Lisa Fischer, die gemeinsam mit
Hanna Frank die Koordinierungsstelle von Edelgard leitet. Bei
Veranstaltungen, bei denen man sich verkleidet, wie zum Beispiel beim
Karneval oder auf der Gamescom, fühlen sich Täter:innen vermeintlich
anonym. „Ich habe den Eindruck, in solchen Kontexten fühlen sich viele
Täter:innen durch den Schutz einer Verkleidung sicherer“, sagt Lisa.
## Finanzierung ist unklar
Im Beratungskontext gehe es darum, individuelle Hilfe zu leisten, auch wenn
sexualisierte Gewalt Struktur hat: „Das einzige Muster, das man an allen
Fällen festmachen kann, ist, dass sexualisierte Gewalt ein strukturelles
Problem ist“, sagt Franzi. Das Problem fasst Hanna zusammen: „Wir wissen
auf systemischer Ebene, dass Täter:innen oft keine Strafen erhalten.“
Die Gründe dafür sind vielschichtig.
Es wird davon ausgegangen, dass nur etwa 10 Prozent aller
[6][sexualisierten Übergriffe] angezeigt werden. Das liegt in erster Linie
an der Stigmatisierung und einer häufigen Täter-Opfer-Umkehr. Betroffenen
wird meist eine Mitschuld zugeschoben, sie hätten sich falsch verhalten, zu
aufreizende Kleidung getragen oder zu viel Alkohol getrunken. Ein anderer
Grund ist, dass die meisten Übergriffe von einer der Betroffenen
nahestehenden Person ausgehen und dass die Betroffene ihr nicht schaden
will. Darüber hinaus werden nur wenige der angezeigten Fälle verurteilt.
Edelgard gibt es nicht nur beim Karneval oder Summer Jam. Die Beraterinnen
sind bei Straßenfesten, Festivals und Großveranstaltungen im Einsatz. Sie
schaffen Sichtbarkeit, um zu helfen, um aufzuklären, aber auch, um
potenzielle Täter:innen abzuschrecken.
Doch trotz der Bekanntheit der Initiative in der Kölner Stadtgesellschaft
ist ihre Zukunft unsicher. Die Finanzierung durch die Stadt Köln lief Ende
2024 aus, weshalb die Initiative Anfang 2025, auch beim Karneval, nicht
arbeiten konnte. Dank der Unterstützung der Zivilgesellschaft wurde
Edelgard ab Frühjahr 2025 im Haushalt der Stadt Köln wieder berücksichtigt.
Nun haben die Diakonie Michaelshoven Soziale Hilfen gGmbH und der
Sozialdienst katholischer Frauen Köln e. V. die Trägerschaft bis Ende 2026
vorübergehend übernommen. Und danach?
## Im Patriarchat braucht es Edelgard
„Es ist aufwendig, alle zwei Jahre neu anzufangen“, sagt Lisa. Denn wie
viele andere Präventionsprojekte ist auch Edelgard auf projektbasierte
Förderungen angewiesen. Langfristige Planung sei kaum möglich. Dabei hat
sich die Kölner Stadtgesellschaft deutlich für Edelgard ausgesprochen – mit
Spenden, Unterstützung und politischem Rückenwind.
„Unser Ziel ist es, sichere Räume für alle Geschlechter zu schaffen“, sagt
Lisa. Das bedeutet nicht nur, Menschen nach Gewalterfahrungen zu
unterstützen, sondern auch, präventiv zu arbeiten. „Wir wollen auf eine
Gesellschaft hinarbeiten, in der jede Person ein Recht auf Schutz und
Respekt hat und frei von Gewalt leben kann.“
Franzi ergänzt: „Ich würde mir wünschen, Jobs wie meiner oder Initiativen
wie Edelgard wären obsolet. Aber solange wir im Patriarchat leben, wird es
so was wie Edelgard immer geben müssen.“ Vielleicht wird aus der mobilen
Beratungsstelle ein fester Bestandteil städtischer Infrastruktur. Egal wie
es weitergeht: Edelgard bleibt aufrecht, stolz und schützend – da, wo
andere wegsehen.
11 Sep 2025
## LINKS
[1] https://www.instagram.com/edelgard.koeln/
[2] /Sexuelle-Gewalt-in-der-Leichtathletik/!6109348
[3] /Koelner-Silvesternacht-2015/!6011023
[4] /Haeusliche-Gewalt/!6043985
[5] /Praevention-im-Karneval/!5989648
[6] /Experte-ueber-Studie-zu-sexualisierter-Gewalt/!5792859
## AUTOREN
Leyla Roos
## TAGS
FLINTA*
Karneval
Köln
Sexualisierte Gewalt
Vergewaltigung
Feminismus
Schwerpunkt Stadtland
Reden wir darüber
Verhütung
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