# taz.de -- Vorschlag für Ausbau der Berliner U-Bahn: Weil sie sich liebt | |
> Die BVG will das U-Bahnnetz verdoppeln. Die Politik ist überrascht, | |
> Verkehrsexperten sprechen von „Größenwahn“. Doch der Vorschlag hat was | |
> für sich. Nur was? | |
Bild: Berlins jüngste U-Bahn: U-Bahnhof Museumsinsel | |
Die Überraschung ist den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) auf jeden Fall | |
gelungen. Diese Woche wurde ein internes Papier bekannt, das zahlreiche | |
Ausbaumöglichkeiten des U-Bahnnetzes vorsieht: von punktuellen | |
Verlängerungen bis zum kompletten Neubau einer Ringlinie ist alles dabei. | |
Bei vollständiger Umsetzung des Konzepts würde das U-Bahn-Netz mehr als | |
verdoppelt, auf 318 Kilometer. | |
Doch das ist offenbar gar nicht das Ziel, denn es fehlen alle darüber | |
hinaus gehenden konkreteren Angaben: die Kosten zum Beispiel und ein | |
Zeitrahmen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es einen mittleren | |
zweistelligen Milliardenbetrag bräuchte und selbst bei flotter Umsetzung | |
frühestens in 30 Jahren zu schaffen wäre. Das Papier, das selbst bei den | |
mit der BVG betrauten Senatsverwaltungen mit Erstaunen aufgenommen wurde, | |
soll wohl eher eine Utopie darstellen. Es wirkt wie ein Wunschzettel, | |
vielleicht auch an die eigenen Chefetage: Schaut her, wir könnten auch mehr | |
machen. | |
Denn zuletzt hatte die BVG bereits die überschaubaren Pläne [1][für eine | |
Erweiterung des Netzes] eher skeptisch beäugt, etwa was die Verlängerung | |
der Linie 7 bis zum Flughafen BER angeht. Angesichts dieser Vorgeschichte | |
war die Resonanz selbst der Unterstützer*innen eines starken | |
öffentlichen Nahverkehrs erwartbar verheerend. | |
Von „Größenwahn“ sprach der Landesgeschäftsführer des Bunds für Umwelt… | |
Naturschutz (Bund) Tilmann Heuser. Die BVG-Vision sei die komplette | |
Verkennung der verkehrspolitischen Notwendigkeiten in der Stadt. Der | |
Fahrgastverband Igeb fühlte sich gar an einen Aprilscherz erinnert: Das | |
Projekt sei unsinnig, die Sanierung bestehender Waggons und Strecken viel | |
wichtiger, um den ÖPNV attraktiver zu machen. | |
Generell spricht erst mal nichts dagegen, wenn sich ein | |
Nahverkehrsunternehmen Gedanken über seine Zukunft macht. Angesichts der | |
Klimakrise wird Berlin nicht umhin kommen, das Angebot an Bussen und Bahnen | |
kräftig auszubauen. Erst recht, falls der Klima-Entscheid am Sonntag | |
erfolgreich sein sollte und der Druck auf die anstehende schwarz-rote | |
Koalition stark wächst, die Verkehrswende voranzutreiben und Fahrzeuge mit | |
Verbrennungsmotoren aus der (Innen-)Stadt zu verbannen. | |
Die emotionale Debatte zeigt daher vor allem eines: wie ideologisch | |
aufgeladen der Streit um den sinnvollen Ausbau des ÖPNV ist. Denn natürlich | |
alarmiert der Zeitpunkt des BVG-Vorstoßes die Unterstützer*innen neuer | |
Tramstrecken, wozu Bund und Igeb gehören: Er wirkt wie eine Vorlage für die | |
laufenden Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD – beide sind große Fans | |
einer Erweiterung des U-Bahn-Netzes. | |
Diese Sorgen werden dadurch verstärkt, dass sich aus der Politik bisher nur | |
die scheidende Regierende Bürgermeisterin dazu öffentlich geäußert hat: | |
„Wenn unsere Vorväter und -mütter verzagt gewesen wären, würde Berlin heu… | |
nicht so aussehen“, sagte Giffey dem Tagesspiegel. Welche Teile der Vision | |
tatsächlich umgesetzt werden sollen, werde in der Koalition zu klären sein. | |
Da hallt das SPD-Mantra vom „Bauen, Bauen, Bauen“ kräftig nach. | |
## Giffey hat Oberwasser | |
So klingt jemand, der Oberwasser hat in der Verkehrspolitik, in der die SPD | |
in der rot-grün-roten Koalition kaum punkten konnte. Die Grünen mit ihrer | |
Verkehrssenatorin Bettina Jarasch warben stets für mehr | |
Straßenbahnverbindungen. Diese seien schneller und viel preiswerter | |
anzulegen und daher letztlich effizienter. Zumal gilt der Bau neuer | |
U-Bahn-Strecken als wahre CO2-Schleuder, würde also die Klimabilanz des | |
Landes auf kurze Sicht ruinieren. | |
Doch die U-Bahn hat für ihre politischen Unterstützer*innen vor allem | |
einen großen Vorteil: Die Trassen, egal ob ober- oder unterirdisch, werden | |
jenseits der Straßen verlegt. Man muss anders als meist bei der Tram den | |
Autos keinen Platz wegnehmen – eine Debatte, die SPD und CDU angesichts | |
ihrer autoliebenden Kernklientel gern vermeiden würden. | |
Insgesamt ist die Diskussion um Tram oder U-Bahn längst gleichbedeutend, | |
wenn nicht sogar überlagert, von der eigenen Verortung bei der von Giffey | |
auf konservativ getrimmten SPD oder den Grünen. Ein Fehler, der die Debatte | |
stark einengt: Stattdessen sollte anerkannt werden, dass zumindest auf | |
mittlere Sicht der Ausbau beider Angebote sinnvoll sein kann, etwa wenn es | |
um die Anbindung großer neuer (und mancher bestehender) Stadtquartiere | |
geht, etwa im Norden des Bezirks Pankow. | |
Das heißt noch lange nicht, dass die Vision der BVG in größeren Teilen | |
umgesetzt wird. Gewiss ist: Wer die angesichts der klimapolitischen | |
Dramatik notwendigen schnellen Lösungen braucht, wird um E-Busse und neue | |
Tramverbindungen nicht herumkommen. Dafür muss deren Bau allerdings | |
drastisch beschleunigt werden – sonst bleibt der vermeintliche Vorteil nur | |
ein uneingelöstes Versprechen. Zudem muss die Tram, wenn sie dann mal | |
fährt, Priorität vor dem Individualverkehr haben. Noch immer werden Trams | |
etwa an Ampeln durch diskriminierende Schaltungen viel zu oft ausgebremst. | |
24 Mar 2023 | |
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[1] /Ausbau-der-U7-zum-BER/!5747002 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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