# taz.de -- Verkehrskonzept „Berlin 2064“: Take the „E“-Train! | |
> Eine Gruppe ÖPNV-Begeisterter hat ein gänzlich neues Expressbahn-Konzept | |
> für Berlin entwickelt. Jetzt muss nur noch die Politik Wind davon | |
> bekommen. | |
Bild: S-Bahnen am Bahnhof Hermannstraße – daneben die kaum genutzten Südrin… | |
Berlin taz | Jens Wieseke denkt in großen Zeiträumen. [1][Der langjährige | |
Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB] ist zarte 60 Jahre alt – um | |
die Früchte seiner jüngsten Idee reifen zu sehen, müsste er wohl mindestens | |
100 werden. „Berlin 2064“ heißt das Konzept zur Weiterentwicklung des | |
Berliner Nahverkehrs, das Wieseke zusammen mit drei anderen | |
ÖPNV-Begeisterten entwickelt hat. Am Dienstagabend stellten sie es der | |
Presse vor. | |
„Noch ein schönes Verkehrskonzept? Ja, noch eins“, heißt es mit leichter | |
Selbstironie [2][auf der Website berlin2064.de], die die Ideen der vier | |
ausbreitet. Wie Wieseke wissen auch Lukas Iffländer, | |
Vize-Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn, der Student Ronny | |
Krüger und der Schüler Ben Hennig, der im Alleingang das Konzept für eine | |
neue Expressbuslinie entwickelt hat, dass U-Bahn- oder gar | |
Magnetbahn-Träume kommen und gehen. Umso größer ist ihre Courage, in Zeiten | |
leerer Kassen einen Netzausbau als Zukunftsprojekt zu skizzieren, dessen | |
Kosten sie weder genau beziffern können noch wollen. | |
Aber schließlich geht es um die Mobilität in einer weiterhin wachsenden | |
Stadt, und zur dramatischen Haushaltslage meint Jens Wieseke: „Das sind | |
Wellen.“ Irgendwann würden auch wieder ausreichend Mittel für Infrastruktur | |
zur Verfügung stehen. Und dann, ergänzt Lukas Iffländer, sei es gut, wenn | |
schon ein paar „gute“ Pläne in der Schublade liegen. | |
Kernstück von „Berlin 2064“ ist ein völlig neues Verkehrsmittel, auch wenn | |
es nicht schwebt, sondern ganz klassisch über Schienen rollt. „E-Bahn“ (wie | |
„Express“) lautet der Arbeitstitel für Regionalbahnen, die nicht nur die | |
Pendlerströme zwischen Berlin und dem Umland hin- und herbefördern, sondern | |
für zügigen Personentransport innerhalb der Stadt sorgen sollen. Auf | |
längeren Strecken verliere nämlich insbesondere die U-Bahn mit ihren vielen | |
Halten an Attraktivität gegenüber dem Auto. Die Fahrten dauern einfach zu | |
lange. | |
## Nicht zu utopisch | |
Damit es nicht zu utopisch wird – wie der vor einigen Jahren von der IGEB | |
unterbreitete Vorschlag, einen neuen S-Bahn-Tunnel unter Kreuzberg | |
hindurchzubohren – schlägt das unabhängig agierende „Berlin 2064“-Team … | |
die E-Bahn auf bereits vorhandene Gleise zu setzen, die derzeit kaum | |
genutzt werden: den Südring. Auf den parallel zur S-Bahn verlaufenden | |
Schienen ist im Gegensatz zum nördlichen Abschnitt, wo Fernzüge verkehren, | |
wenig los. Nur die entsprechenden Bahnhöfe und eine Elektrifizierung | |
fehlen. | |
Eine Linie E1 durchschnitte die Stadt von Südwesten nach Nordosten: Sie | |
würde in Zehlendorf starten, über Steglitz zum Südkreuz auf den Ring führen | |
und vom Ostkreuz aus über Lichtenberg nach Hohenschönhausen und bis Karow | |
führen. Die E2 verliefe von Spandau über West- und Südkreuz nach | |
Schöneweide und Grünau, die E3 schließlich vom Westkreuz nach Mahlsdorf. | |
Die Linien könnten jeweils alle 30 oder sogar 15 Minuten verkehren. | |
Darüber, wo sie auf dem Ring sonst noch halten könnten, herrscht noch keine | |
Klarheit in dem Team: etwa an den direkt aufeinanderfolgenden | |
Umsteigepunkten zur U6, U7 und U8, also Tempelhof, Hermannstraße und | |
Neukölln? Das wäre einerseits praktisch, würde andererseits aber den | |
angestrebten Zeitvorteil wieder schmälern. Wieseke tendiert zur U8, | |
immerhin fährt die zum Alex. | |
Natürlich ist all das erst einmal nur ein sehr engagierter Traum – auch | |
wenn Iffländer nach eigener Aussage „die kompletten Trassen einmal | |
ausgeplant“ hat. Und es braucht dafür weit weniger Fantasie als für den | |
[3][2023 vom BVG-Vorstand vorgeschlagenen Masterplan zum U-Bahn-Ausbau], | |
der unter anderem einen komplett neuen Außenring namens „U0“ ins Spiel | |
brachte. | |
## Strategische Ergänzungen | |
Für die U-Bahn hat „Berlin 2064“ auch Ideen parat. Allerdings keine neuen | |
Linien, sondern lediglich strategische Ergänzungen über die jetzt schon vom | |
Senat geplanten oder geprüften Verlängerungen zum Mexikoplatz (U3), BER | |
(U7) und Pankow-Kirche (U2) hinaus. | |
Da fährt die U1 von der Warschauer Straße weiter zum Ostkreuz – ein | |
willkommener „Bypass zur Stadtbahn“, sagt Jens Wieseke – und auf der | |
anderen Seite unterm Kurfürstendamm bis Halensee. Die U3 führt über | |
Frankfurter Tor und Landsberger Allee nach Weißensee, die U5 bis | |
Jungfernheide und die U9 von Rathaus Steglitz über das | |
Benjamin-Franklin-Klinikum nach Lichterfelde Ost. | |
Schließlich wollen Wieseke und Co. auch noch die Großsiedlung Falkenhagener | |
Feld in Spandau ans U-Bahn-Netz anschließen. „Mit diesem Vorschlag werden | |
wir viele überraschen“, heißt es auf der Website. Und tatsächlich klingt | |
die vorgeschlagene „U72“ einigermaßen ungewöhnlich: Sie soll als | |
„vollautomatische U-Bahn-Linie im Linksverkehr“ betrieben werden – links, | |
um ein niveaugleiches Umsteigen zur U7 im U-Bahnhof Rathaus Spandau zu | |
ermöglichen. | |
Auch wenn es bei der Präsentation am Dienstag bisweilen so klang, als ginge | |
es schon darum, die letzten Details festzuklopfen: Die Gruppe wird sich | |
jetzt sehr anstrengen müssen, um Eindruck bei den VerkehrspolitikerInnen zu | |
machen – sonst droht „Berlin2064“ schnell in den eigenen Schubladen zu | |
verschwinden. In jedem Fall steckt eine Menge Enthusiasmus hinter dem | |
Projekt. Und, wie Jens Wieseke zum Abschluss betont: „Einfach zu sagen: wir | |
können nicht, wir wollen nicht – das tut mir weh.“ | |
27 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Nahverkehrslobbyist/!5995820 | |
[2] https://berlin2064.de/ | |
[3] /Vorschlag-fuer-Ausbau-der-Berliner-U-Bahn/!5923881 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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