# taz.de -- Theaterfestival „Female Peace Palace“: Eine Geschichte voller L… | |
> Wirken im Verborgenen: Das Festival „Female Peace Palace“ an den Münchner | |
> Kammerspielen beleuchtet die Rolle von Frauen im und gegen den Krieg. | |
Bild: „Anti War Women“ mit Moses Leo, Jelena Kuljić, Maren Solty, Leoni Sc… | |
Bevor das Stück „Anti War Women“ beginnt, kommt ein Friedensangebot aus dem | |
Maschinenraum der Münchner Kammerspiele. Dort haben sich die Gewerke mitten | |
in der heißesten Streikphase darauf verständigt, dass die Premiere über die | |
Bühne gehen kann. | |
Ulrich Hayer, Verdi-Mitglied und Leiter der Bühnenmaschinerie, erinnert an | |
die Unsichtbaren dahinter, die für Löhne arbeiten, von denen man in München | |
kaum leben kann. Die Unsichtbaren, das ist die kleine Gratis-Lehrstunde zum | |
Auftakt des Münchner Festivals „Female Peace Palace,“ haben viele Gestalten | |
und Geschlechter. | |
Im Festival selbst geht es dann um oft im Verborgenen wirkende Frauen und | |
den omnipräsenten Krieg. Die Verbindung dieser beiden fast unerschöpflichen | |
Themenkomplexe sorgt für einen weithin hörbaren Aufschlag und das ist für | |
die [1][Kammerspiele München] gerade sehr wichtig. Denn sie standen wegen | |
einer Auslastung von nur 56 Prozent, einem erheblichen Einnahmedefizit und | |
angeblich zu woker Programmgestaltung zuletzt in der Kritik – auch bei | |
ihrem Geldgeber, der Stadt München. | |
Die Intendantin Barbara Mundel musste Anfang Februar der Bildung eines | |
„Kammer-Rates“ zustimmen: Das ist ein Konglomerat aus Intendanz, Künstlern, | |
Personalabteilung und Stadträten, das fortan den in der Coronaspielzeit | |
2020/21 begonnenen Weg begleiten soll. | |
## Theater als Stadtgespräch | |
Einen Rat hatten die Stadträte gleich vorab: Das Theater müsse | |
Stadtgespräch werden, die Schauspieler und Prozesse anfassbarer. Bei | |
Ersterem hilft natürlich ein internationales Großprojekt wie „Female Peace | |
Palace“, das „feministische Visionen für eine postpatriarchale Welt“ | |
verspricht. | |
Diese sind verpackt in ein sich über den ganzen April erstreckendes | |
Programm aus Theater – darunter fünf Uraufführungen und künstlerische | |
Interventionen –, Diskussionen und Workshops, das die Münchner Kammerspiele | |
und das Literaturarchiv Monacensia mit Geldern der Kulturstiftung des | |
Bundes auf die Schiene gesetzt haben. Es bezieht Künstler aus Syrien, der | |
Ukraine, Iran und Belarus mit ein und schlägt einen Bogen vom frühen 20. | |
Jahrhundert bis heute. | |
Am einen Ende dieses Bogens: Das neue Stück der ukrainischen Autorin | |
[2][Natalia Vorozhbyt,] die mit dem bösen Kriegsstück „Bad Roads“ bekannt | |
wurde. In „Green Corridors“ begleitet sie vier Ukrainerinnen auf der | |
Flucht, zwischen denen es so mächtig knirscht, dass die Risse, die sich | |
auftun, tief in die ukrainisch-deutsche Geschichte hinabreichen: 1941 wurde | |
die Ukraine nach einer kurzen Phase der Unabhängigkeit von den Nazis | |
besetzt. 1959 wurde ihr umstrittener Nationalheld [3][Stepan Bandera] in | |
München ermordet. | |
All diese Zeitebenen spielen mit in diesem kriegerische und | |
Identitätskonflikte zuspitzenden Drama, das erst am 14. April zur Premiere | |
kommt. Die Kammerspiele haben aber bereits vorab zu einer offenen Probe | |
geladen – Stichwort: Anfassbarkeit –, bei der man Regisseur Jan-Christoph | |
Gockel und dem internationalen Ensemble beim Arbeiten zusehen konnte. | |
## Kein Platz für Klischees | |
Allzu weit war man zwar noch nicht. Aber klar wurde schon: | |
Frauensolidarität und weibliche Friedfertigkeit – solche Klischees haben | |
hier keinen Platz! Eher ist man gespannt darauf, wie das Stück mit seiner | |
hohen Fettnäpfchendichte in der Ukraine selbst ankommt, wo es zeitgleich | |
von einem anderen Team geprobt wird. | |
Wer sich angesichts der aktuellen Zerrissenheit der feministischen | |
Community gerade über den Krieg nach historischen Ereignissen sehnt, in | |
denen Frauen als Gruppe etwas bewirkt haben, kommt bei „Anti War Women – | |
Wie Frauen den Krieg bedrohen“ auf seine beziehungsweise ihre Kosten. Die | |
Eröffnungspremiere des Festivals knüpft an „Bayerische Suffragetten“ an: … | |
dem Stück widmete sich [4][Regisseurin Jessica Glause] den Münchner | |
Feministinnen, deren zarte Erfolge in Sachen Frauenwahlrecht und weiblicher | |
Selbstbestimmung der Erste Weltkrieg zunichte gemacht hat. | |
Zwei von ihnen, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, haben zum ersten | |
„Internationalen Frauenfriedenskongress“ aufgerufen, zu dem 1915 gut 1.500 | |
Frauen aus 16 Nationen im Friedenspalast in Den Haag zusammenkamen. Die von | |
ihnen verabschiedeten Resolutionen hatten das Ziel, den Krieg zu beenden | |
und Kriege in Zukunft unmöglich zu machen. US-Präsident Woodrow Wilson nahm | |
einige ihrer Erklärungen später in seinen 14-Punkte-Plan auf, freilich ohne | |
die Frauen zu erwähnen oder Kinkerlitzchen wie Vergewaltigungen zu ächten. | |
Das Ereignis, das dem „Female Peace Palace“-Festival in München seinen | |
Namen gegeben hat, wird von Glause nicht rekonstruiert. Lediglich | |
Bruchstücke von Argumenten und Biografien setzten sich nach und nach zu | |
einem lückenhaften Bild zusammen. Einem qualmenden Loch im Bühnenboden des | |
Schauspielhauses entsteigen anfangs sehr langsam sechs Menschen in | |
Einteilern, auf die primäre und sekundäre weibliche Geschlechtsmerkmale | |
gesprayt worden sind. | |
Lockige Stoffbahnen fallen über künstlich verbreiterte Hüften. Der von | |
Aleksandra Pavlović kreierte Look ist poppig-queer mit Anklängen ans | |
Rokoko, die Pronomina aber sind unzweideutig: „She she her her“ wird | |
gesummt, auch wenn mit Moses Leo und Stefan Merki unter zwei der sechs | |
bunten Perücken Männer stecken. | |
## Weg mit Ehe und Aristokratie | |
Slogans wie „my body – my choice“ und „weg mit Ehe und Aristokratie“ | |
durchqueren die Zeiten, zuckende Arme und Hüften markieren eine eher | |
hedonistische Grundgestimmtheit à la „I don’t believe in monogamy, I | |
believe in me.“ Ein illustrer Haufen ist hier aus dem Orkus des Vergessens | |
gestiegen, in den ihn die männlich dominierte Geschichtsschreibung | |
hinabgestoßen hat. Keine Figuren, nur Schemen steigen wieder heraus. | |
Von Aletta Jacobs, der ersten zum Medizinstudium zugelassenen Frau in den | |
Niederlanden, die 1882 eine Klinik für Geburtenkontrolle eröffnete, bis zur | |
US-amerikanischen Soziologin Jane Adams, die die Präsidentschaft des | |
Kongresses übernahm, reicht der Bogen. Sie alle vereinte das Entsetzen über | |
den Krieg und der Glaube, dass Hilfe nur von Frauen kommen konnte. | |
Das Erzähltempo des Abends ist schnell, die Songdichte hoch. Jelena Kuljić | |
erklimmt immer wieder die Plattform, auf der ein Schlagzeug steht. Sie | |
spielt famos. Und doch überwiegt der Eindruck, dass eine Geschichtsstunde | |
auf Basis löchriger Quellen allzu viel szenisches Füllmaterial verschleißt. | |
Und inhaltlich bleibt es dünn: Da sind die Resolutionen, auf die frau sich | |
geeinigt hat. | |
Und Einigung ist immer gut, geradezu sensationell. Aber Worte wie | |
„Gerechtigkeit“ auf Papier haben leider noch selten Kriege verhindert. | |
Ehrlicher wird’s, wenn es um die Pluralität der Interessen geht: Um die | |
Belgierinnen, die nicht mit den deutschen Frauen verhandeln wollen, während | |
deren Männer und Söhne ihr Land mit Giftgas attackierten. | |
## Wie ein wütender Skorpion | |
Und die amerikanische Bürgerrechtlerin Mary Church Terrell (Joyce Sanhá) | |
ist sich allzu bewusst, dass sie als Schwarze Frau nur Gehör finden kann, | |
weil die Südstaaten den Sezessionskrieg verloren haben. Sie alle stehen am | |
Fuß einer riesigen roten Klitoris, die wie der Stachel eines wütenden | |
Skorpions über ihnen aufragt, singen von Eva Jantschitsch arrangierte | |
Schlager, Rap- und Punksongs – und das teilweise szenenapplauswürdig. | |
Mit ein paar Melodien im Ohr und dem Wissen, auf eine Menge neue Wissens- | |
und historische Lücken gestoßen worden zu sein, geht man nach Hause. Ein | |
paar solcher Lücken werden dem Münchner Publikum noch präsentiert werden: | |
Das Programm hält eine weitere (Kurz-)Begegnung mit [5][Mary Church Terrell | |
von Miriam Ibrahim,] eine Performance über die [6][Geschichte jesidischer | |
Frauen] und eine über die [7][türkische Freiheitskämpferin] Halide Edib | |
Adıvar bereit. | |
4 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Gerhard-Polt-in-den-Kammerspielen/!5911908 | |
[2] /Theater-ueber-den-Ukraine-Krieg/!5906927 | |
[3] /Historiker-ueber-Geschichte-der-Ukraine/!5881389 | |
[4] /Kammerspiele-nach-Corona/!5781691 | |
[5] https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/programm/19400-in-my-hands-i-carry | |
[6] https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/programm/13710-licht | |
[7] https://www.muenchner-kammerspiele.de/de/programm/18936-halide-words-of-fla… | |
## AUTOREN | |
Sabine Leucht | |
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