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# taz.de -- Junges Theater von Rosa Rieck in München: Das einsame Cornflake d�…
> „Gigantische Einsamkeit“: Rosa Rieck inszeniert ein Stück von Paula Kläy
> über Verlust und Trauer im Werkraum der Münchner Kammerspiele.
Bild: Konstantin Schumann, Annika Neugart, Stefan Merki und Lucy Wilke
Ein Waschmaschinengang braucht zwei Stunden, für den Weg zur Arbeit werden
zehn Minuten benötigt, heißt es irgendwann an diesem Abend. Und die Trauer?
Sie währt so lange, wie sie eben währt.
Am Ende von „Gigantische Einsamkeit“ verschließt ein Sohn die Tür vor
seinem Vater. Die beiden sind bis dahin wie rätselhafte Trabanten um eine
Szene gekreist, um zu erörtern, was Empathie heißt, oder, wie doof
Spaziergänge mit den Eltern sind. Das gibt sich erst als Erinnerungs- und
Trauerarbeit zu erkennen, als die bereits erledigt ist. „Kann ich nicht
noch ein bisschen bleiben?“, fragt der Vater. Als der Sohn verneint, gibt
Autorin Paula Kläy ihm und uns Zuschauenden noch eine ordentliche Portion
Poesie mit: „Du weißt, wo du mich findest: im wogenden Baum, den die
Straßenlaterne nachts in dein Zimmer projiziert, im letzten Cornflake, das
da in der Milch deiner Schüssel rumdümpelt … und so weiter und so fort.
Dort und dort und dort“.
Das Poetische liegt der jungen Dramatikerin ebenso wie der lakonische, mit
dem Zynischen flirtende Witz. Besonders böse Sätze hat sie der Figur
Jolanda in den Mund gelegt. Und Lucy Wilke verteilt sie genüsslich an ihre
Bühnen-Tochter Josefine, die die so sehenswert darunter leidende wie
konternde Annika Neugart spielt.
Die beiden Frauen dominieren in Rosa Riecks Uraufführung im Werkraum der
[1][Münchner Kammerspiele] die zentrale Vierergruppe, die sich nach dem Tod
ihres Nachbarn Werner ein wenig näherkommt. Aber nicht etwa über die
Trauer. Die fühlt keiner der vier Narzissten, die in ihren zerbeulten
Pastell-Klamotten so aussehen, als hätten sie sich für ein
Me-Time-Wochenende auf dem Sofa aufgebrezelt. Jolanda versteht nicht, warum
man „die Zeit mit einem freundlichen Gesicht totschlagen“ sollte, und ist
scharf auf Werners Kaschmirpullover.
Josefine kann nicht fassen, dass ihr Freund Tino nur nach den
Macadamianüssen in dem Lebkuchenherz fragt, das sie ihm geschenkt hat. Und
der tut sich ohnehin dauernd selbst leid. Berührungen mit dem Toten?
„Einmal, da schnippte er eine glühende Zigarette auf meinen Hinterkopf“,
erinnert sich Jolanda. Nur der Busfahrer Heiko hat mit Werner eine fast
romantische Koinzidenz erlebt. Beide saßen mit dem gleichen Buch im Park
und haben lesend eine Nacht miteinander verbracht.
## Eine Groteske über Verdrängung
Lauter skurrile Geschichten summiert Kläy zu einer „Groteske über die
Verdrängung von Trauer und das Ringen mit dem Ausdruck von Mitgefühl“, so
der Untertitel ihres Stücks. Ein paar davon sind originell, andere wirken
eher gewollt und verlieren sich in individuellen Befindlichkeiten. Die
Themenwahl scheint ungewöhnlich für zwei Frauen mit den Geburtsjahren 1997
(Kläy) und 1994 (Rieck). Andererseits ist der Tod so alltäglich wie das
Reden darüber tabu – und derart von entleerten Gesten des Mitgefühls
umstellt, dass es für ein Konventionen hinterfragendes Theater ein toller
Stoff ist.
Das Schweigen hat Kläy beredt zu machen versucht, die Konventionen
bestimmen die Inszenierung, mit der Rieck auch ihr Regie-Studium [2][an der
Berliner Ernst-Busch-Schule] abschließt. So erstarren bisweilen alle in
übertriebenen Trauerposen oder klammern sich wie Ertrinkende an einem
kleinen Felsen fest. Ansonsten lässt der Abend der Vorstellungskraft viel
Raum: Werners Hinterlassenschaften, an denen sich die Fantasien und
Begehrlichkeiten der Nachbar*innen entzünden, stecken unsichtbar in
Umzugskisten. Auch den illustren Trauerhelfer, einen Roboterhund, zeigt
Rieck nicht, sondern lässt ihn mit sanfter Stimme aus einer Box heraus
Sätze sprechen wie „Die Sumpfblüte, die unsere Trauer ist, gilt es zu
hegen“.
Diese [3][KI-Poesie] dient zunächst als Gesprächskatalysator. Doch als
seine Tonspur hängt, wird der Hund wütend zerstört. Die Kritik an der
Kommerzialisierung von Trauerarbeit und an der Annahme, dass man eine so
individuelle Sache beschleunigen könne, tippt der knapp einstündige Abend
nur an. So wie auch einige szenische Lösungen, für eine Abschlussarbeit
typisch, eher Vorschlagscharakter haben.
So gelingt zwar kein runder, aber anregender Theaterabend, der neben
Routiniers wie Stefan Merki auch Schauspiel-Anfänger integriert. Und in dem
mit Lucy Wilke und Samuel Koch zwei Vollprofis im Rollstuhl ganz
selbstverständlich vom Wandern auf der Ebene und im Hochgebirge erzählen.
Als Möglichkeitsraum bleibt das Theater unschlagbar.
21 Jan 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Sabine Leucht
## TAGS
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