# taz.de -- Queerpolitik von Schwarz-Rot: Ein queerer Schub für Berlin | |
> Die Hauptstadt soll „Regenbogenstadt“ werden: So steht es im | |
> Koalitionsvertrag von CDU und SPD – und dieser Programmteil ist ein | |
> großer Wurf geworden. | |
Bild: Beim nächsten CSD in Berlin wird Kai Wegener möglicherweise offiziell d… | |
Wie ein politisches Resultat – und um ein solches handelt es sich ja bei | |
einem Koalitionsvertrag – zu bewerten ist, kann leicht an den schärfsten | |
Kritikerinnen* abgelesen werden. Alexander Kissler, konservativ | |
orientierter Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Deutschland, ist | |
beim queeren Teil des schwarz-roten Koalitionsvertrags [1][nachgerade | |
entsetzt]. | |
Ja, er zeiht Kai Wegner, künftig wohl Regierender Bürgermeister der CDU, | |
des Verrats an den Wünschen seiner Wählerschaft: „Künftig wird es mit dem | |
Segen der CDU in jedem der zwölf Berliner Bezirke einen | |
‚Queer-Beauftragten‘ geben, als Vollzeitstelle. Berlin will unter Wegner | |
‚Regenbogenhauptstadt‘ bleiben und die ‚lesbische Sichtbarkeit‘ erhöhe… | |
Den Kampf gegen ‚Antifeminismus‘ unterstützt die CDU ebenfalls.“ | |
Und ausweislich der hochzufriedenen Reaktion des Lesben- und | |
Schwulenverbands Berlin-Brandenburg ob der queeren Passagen im politischen | |
Plan der Schwarzen und Roten, nämlich von einem „queerpolitischen Aufbruch“ | |
zu sprechen, ließe sich sagen: Die Empörung der antiqueer Konservativen ist | |
echt – und sie hat Fundament. | |
Denn tatsächlich 32 Mal taucht das Wörtchen „queer“ auf den 135 Seiten des | |
[2][koalitionären Programms] auf: Gemessen an den Senaten, an denen die CDU | |
in Berlin beteiligt war, ist das eine nachgerade revolutionäre Haltung, ein | |
Relaunch sondergleichen im Angesicht der metropolen, also queerdiversen | |
Realität in Berlin. Auf Seite 20, also nicht einmal ganz weit hinten, | |
beginnt das Kapitel „Die Regenbogenhauptstadt“, und es umfasst über drei | |
Seiten meist keine besonders vage gehaltenen Aussagen. Alles, buchstäblich | |
alles, was die queeren und förderabhängigen Szenen in Berlin sich so | |
wünschen, ist darin enthalten. | |
## Schwarz-Rot geht weiter als Rot-Grün-Rot | |
Nichts hat die Union, schon aus Verneigung vor ihrer konservativen | |
Wählerschaft, getilgt sehen wollen, was Grüne und Dunkelrote in den letzten | |
Jahrzehnten nicht auch formuliert hätten und jüngst ja noch haben. Das | |
queere Regierungsprogramm ist nicht nur faktisch ebenso politisch liebevoll | |
gehalten wie das der Rot-Grün-Roten, vielmehr geht es noch weiter: Es soll | |
einen Magnus-Hirschfeld-Platz in Berlin geben, sogar einen | |
Landesqueerbeauftragten, und in jedem Bezirk soll es eben eine vollbezahlte | |
Queerstelle geben. | |
Es wird Programme geben gegen antiqueere Gewalt und Hass, | |
transwertschätzende Politiken – und sogar die Bundesratsinitiative zur | |
Ergänzung des Grundgesetzes um einen Passus, der die „sexuelle Identität“ | |
als schützenswert hervorhebt soll durch die Schwarz-Roten mitgetragen | |
werden. | |
Zwar ist es durchaus umstritten, ob im Grundgesetz die „Identität“ | |
Extraerwähnung finden soll, wo doch die viel explizitere Chiffre „sexuelle | |
Orientierung“ (weil dies vor allem besonders vulnerable schwule Männer und | |
lesbische Frauen meinen würde, Identitäten sind ja schließlich flüchtig), | |
aber erstaunlich ist eben, dass die einst exotische Forderung, an | |
Grundgesetzformulierungen herumzuschrauben, nun von der CDU mitgetragen | |
wird. | |
Mit anderen Worten: Es gibt in den queeren Zirkeln, gleich wo in Berlin, | |
ein sprechendes Schweigen ob dieses Koalitionsvertrages zum Queeren. Alle | |
Angst, die CDU könnte sich AfD-haft an ihren Jobstrukturen vergehen – | |
zerstoben. Vielmehr wird gratuliert (LSVD), gelobt (in den sozialen Medien) | |
und auch gewarnt, wenn etwa ein queerer Menschen aus der Linkspartei fast | |
platzt vor Wut, weil die CDU einfach nicht macht, womit sie jahrelang in | |
den Vorstädten außerhalb des S-Bahn-Rings Werbung betrieb: Gendermist und | |
Homomist? Ohne uns. | |
## CDU hat queere Passagen entschieden mitbefördert | |
Schließlich war es auch die Berliner CDU, die sich bis zuletzt der „Ehe für | |
alle“ (2017) verschloss, die sich also der bürgerlichen Öffnung ins | |
Zivilisierte, also der respektierenden Akzeptanz von LGBTI*-Szenen, | |
verweigerte. Kai Wegner: Wir werden ihn wohl künftig, heteroorientiert hin | |
oder her, bei CSD-Eröffnungen und beim Queeren Stadtfest offiziell erleben. | |
Zu denken, dass auch in diesem Programmpunkt die SPD durchgesetzt habe, was | |
die CDU stillschweigend nur mittrüge, ist allerdings falsch: Queere | |
Politiken funktionieren in Berlin nur staatlich subventioniert, durch | |
Fördertöpfe – das wussten ja schon CDU-Politiker in den achtziger Jahren, | |
zumal im Kontext einer Gesundheitskrisenpolitik im Angesicht der | |
Aidsepidemie (vor allem in den schwulen Szenen der Stadt). | |
In der CDU gab es dem Vernehmen nach genug Politiker, die diese queeren | |
Passagen entschieden mit befördert haben – sie wissen, etwa die Senatoren | |
in spe Stefan Evers oder Jan-Marco Luczak, dass sie queerdistante Politiken | |
in dreieinhalb Jahren bei den nächsten Wahlen büßen müssten. | |
Ein Projekt, das versprochen wird, bleibt indes nebulös: das sogenannte | |
Regenbogenhaus. Soll es eines werden wie in Toronto (wesentlich queeren | |
Familien gewidmet) oder wie in Tel Aviv (das Szenezentrum der queeren | |
Alternativen)? Alles ist offen, und das bleibt gut so. | |
6 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/queer-bunt-und-woke-die-cdu-erg… | |
[2] https://spd.berlin/ | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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