# taz.de -- Zum ersten Magnus-Hirschfeld-Gedenktag: „Eine Ikone der queeren G… | |
> Erstmals erinnert am 14. Mai ein Gedenktag an den Berliner | |
> Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. Alfonso Pantisano über das Ziel | |
> des Erinnerns. | |
Bild: Magnus Hirschfeld in seinem Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, e… | |
taz: Herr Pantisano, Berlin hat als erstes Bundesland den 14. Mai zum | |
Gedenktag für Magnus Hirschfeld gemacht. Warum braucht es einen solchen Tag | |
für diesen Arzt und Sexualwissenschaftler, der Jude und Homosexueller war? | |
Alfonso Pantisano: Magnus Hirschfeld erinnert uns alle daran, dass wir der | |
Wissenschaft vertrauen sollten, denn nur so kommen wir zu wirklicher | |
Gerechtigkeit. Queeres Leben war schon immer zu Hause in unserer Stadt und | |
ist nie ein Trend gewesen, sondern eine Realität. Das zu akzeptieren ist | |
unsere Aufgabe, denn nur so können wir garantieren, dass alle Menschen in | |
der Regenbogen-Hauptstadt ein würdiges und sicheres Leben in Freiheit leben | |
können. Das ist die Mahnung von Magnus Hirschfeld. | |
Zur langen Geschichte von queerem Leben in Berlin fällt mir das „Eldorado“ | |
ein. Auch im Programm des Magnus-Hirschfeld-Tages taucht der Name des | |
Lokals auf. Was hat es damit auf sich? | |
Im historischen Regenbogen-Kiez rund um den Nollendorfplatz blühte ja schon | |
vor über 100 Jahren das queere Leben – so lange, bis die Nazis kamen und | |
alles zugrunde gerichtet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat es die | |
Community durch viel Leid und viel Stärke geschafft, aus den dunklen Zeiten | |
hervorzutreten und wieder ins Licht hineinzukommen. Diese Position der | |
Stärke, des Selbstbewusstseins und des Stolzes gilt es jetzt zu | |
verteidigen. [1][Das Eldorado, ein Travestielokal,] war einer der vielen | |
Orte für Homosexuelle und Transpersonen in den 1920er Jahren. Das Eldorado | |
stand für Freiheit – wurde von den Nazis geschlossen und ist später nie | |
wieder zurückgekehrt. Wir bringen das Eldorado jetzt für eine Nacht zurück. | |
Ins „Metropol“ am Nollendorfplatz – dort war aber das originale Eldorado | |
nicht, oder? | |
Das Eldorado gab es in Berlin an drei verschiedenen Locations: zuerst an | |
der Kantstraße, dann auf der heutigen Martin-Luther-Straße und später auf | |
der Motzstraße – in den Räumlichkeiten befindet sich heute ein Biomarkt. | |
Wer hatte die Idee zu diesem Gedenktag am 14. Mai? | |
Die Idee kommt aus der Community. Wir haben es geschafft, diese in den | |
Koalitionsvertrag zu schreiben und in den Richtlinien der Regierungspolitik | |
zu verankern. Damit ist es jetzt ein Projekt des gesamten Berliner Senats | |
und der Stadt Berlin. | |
Berlin ist damit Vorreiter, denn der erste landesweite | |
Magnus-Hirschfeld-Tag ist deutschlandweit einmalig. | |
Es hat schon den einen oder anderen Magnus-Hirschfeld-Tag gegeben, der von | |
Organisationen wie der [2][Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft] organisiert | |
wurde, aber wir sind das erste Bundesland, das einen landesweiten | |
Magnus-Hirschfeld-Tag begeht. | |
Es ist leider ein Gedenktag und kein gesetzlicher Feiertag. Das würde ja | |
bedeuten, man hätte einen freien Tag an so einem queeren Feiertag. Das wäre | |
ja eigentlich erstrebenswert! | |
Das wäre natürlich schön. Ich finde, Berlin hat sowieso noch ein, zwei, | |
drei Feiertage zu wenig. (lacht) Aber Spaß beiseite, ich bin sehr glücklich | |
darüber, dass wir die Gelegenheit nutzen, diesen einen Tag jetzt offiziell | |
begehen zu können und dafür sorgen können, dass das Leben und Wirken von | |
[3][Magnus Hirschfeld] in der Stadtgesellschaft näher gebracht werden kann. | |
Denn wir müssen ganz ehrlich sein: Obwohl er eine Ikone der queeren | |
Emanzipationsgeschichte und der Sexualgeschichte gewesen ist, kennen ihn | |
hier bei uns nur wenige. Denn der Nationalsozialismus hat versucht, sein | |
Wirken und Andenken systematisch zu zerstören. Im Ausland ist das anders, | |
dort wird er sehr viel breiter geschätzt und geehrt. | |
Dann kann dieser Tag sicher einen Beitrag dazu leisten, Hirschfeld und sein | |
Wirken den jüngeren Generationen bekannter zu machen. | |
Nicht nur bei der jungen, auch bei der älteren Generation. Viele glauben | |
immer, dass die queere Emanzipationsgeschichte bei den Aufständen in | |
[4][Stonewall] in den 1960er Jahren ihren Anfang nahm. Das ist mitnichten | |
so. Berlin ist eine der Geburtsstätten der queeren Emanzipationsbewegungen. | |
Hirschfeld hat hier den ersten queeren Verein gegründet – 1897. Er hat im | |
selben Jahr dann die erste Petition zur Abschaffung des Paragrafen 175 mit | |
6.000 Unterschriften eingebracht und sich somit damals schon dafür | |
eingesetzt, dass dieser Unrechtsparagraf, der Homosexualität unter Straße | |
stellte, abgeschafft wird. Das ist ihm nicht gelungen, und später haben die | |
Nazis den Paragrafen noch drastischer verschärft. Und auch das ist eine | |
Mahnung von Magnus Hirschfeld: genau aufzupassen, was wir als Demokraten | |
zulassen und was nicht. Denn wir laufen derzeit Gefahr, dass die | |
Errungenschaften queerer Menschen, die in der Vergangenheit für | |
Gerechtigkeit gekämpft haben, wieder auf dem Spiel stehen. | |
Wie wollen Sie das Interessen an Hirschfelds Leben und Wirken wecken? | |
Wenn Menschen sich fragen „Magnus – wer?“ haben wir schon etwas erreicht. | |
Denn wenn das Interesse geweckt ist, lassen sich heute schnell dank | |
digitaler Medien Informationen besorgen. So kann man auch Dinge über Magnus | |
Hirschfeld hinterfragen, denn wir wollen auch, dass sich alle kritisch mit | |
ihm auseinandersetzen, so wir es auch tun. Wir haben parallel dazu eine | |
sehr breite Informationskampagne gestartet, die in der Stadt sichtbar sein | |
wird. Wir haben unterschiedliche Clips produziert, damit Menschen auf | |
diesem Wege Informationen darüber bekommen, wer Hirschfeld gewesen ist. Wir | |
weisen unter anderem auch darauf hin, dass sein Institut für | |
Sexualwissenschaften weltweit das erste seiner Art war. Auch da war er ein | |
Pionier. Und wir zeigen, dass sein Institut auf dem heutigen Gelände des | |
Haus der Kulturen der Welt gestanden hat. | |
Das wusste ich noch nicht. | |
Das ist ja der Grund dafür, dass das Haus der Kulturen der Welt heute eine | |
Magnus-Hirschfeld-Bar und einen Lili-Elbe-Garten hat. | |
Warum Lili Elbe? | |
Weil Magnus Hirschfeld die vermutlich erste geschlechtsangleichende | |
Operation an Lili Elbe durchgeführt hat. Lili Elbe war eine dänische | |
Malerin. Haben Sie zufällig [5][„The Danish Girl“] gesehen? Der Film | |
erzählt die Geschichte von Lili Elbe. Und im Film sagt sie, dass sie nach | |
Deutschland geht, um sich in einer Klinik von Magnus Hirschfeld der | |
Operation zu unterziehen. | |
Neben der breiten Kampagne, um Hirschfeld wieder bekannter zu machen, wird | |
es Veranstaltungen geben … | |
… Lesungen, Talks in Volkshochschulen, Stadttouren, es gibt Vereine und | |
Träger, die ihre eigenen Programme anbieten. Und wir haben einige | |
Unternehmen, die sich engagieren, indem sie ihre Kundschaft und | |
Mitarbeiterschaft über den Gedenktag informieren, über die internen und | |
auch externen Kommunikationswege. | |
Das ist eine interessante Herangehensweise. | |
Unser Ziel war es ja, möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen zu | |
erklären, warum es diesen Tag gibt. Die Berliner Sparkasse zum Beispiel | |
bietet ihren Mitarbeitenden eine Führung durch den Regenbogen-Kiez an. Die | |
Rewe-Gruppe weist in allen internen Medien und in der App auf den Tag hin – | |
das alles ist eingebettet im Kontext von Vielfalt am Arbeitsplatz. Die | |
Clubcommission macht mit, und somit erreichen wir auch viele junge | |
Menschen. Die Komische Oper beteiligt sich im Aktionsmonat: Alle | |
Aufführungen von [6][„La Cage aux Folles“] stehen in Zusammenhang mit dem | |
Gedenktag. Am Tag selbst, also dem 14. Mai, wird das Stück gezeigt, davor | |
gibt es eine Einführung ins Stück, die Bezug auf Magnus Hirschfeld nimmt, | |
und später ein feierliches Zusammensein. Gleichzeitig hat die Komische Oper | |
in ihren digitalen Formaten und ihrem Magazin über Hirschfeld informiert. | |
Weitere Unternehmen? | |
Siemens und auch Vattenfall beteiligen sich, die Deutsche | |
Rentenversicherung ist mit dabei. | |
Das ist breit gestreut. | |
Ja, unser Ziel war es wirklich, in die Stadtgesellschaft hineinzugehen und | |
breit zu informieren. Wir haben alle Werbematerialien zur Verfügung | |
gestellt, in allen möglichen Variationen auch Biografien erstellt, von kurz | |
bis ausführlich … Wir haben versucht, es so niederschwellig wie möglich zu | |
machen. Es ist zudem eine gute Gelegenheit, mal jenseits der | |
[7][Pride-Saison] auf die Vielfalt und der Forderung nach Respekt und | |
Akzeptanz aufmerksam zu machen. | |
Und am Gedenktag selbst? | |
Am 14. Mai, einem Dienstag, gibt es eine Kranzniederlegung an der | |
Gedenkstelle gegenüber des Rathauses Charlottenburg, wo Hirschfeld gelebt | |
hat. Und am Vorabend, dem 13. Mai, findet die [8][große Festveranstaltung] | |
mit einem tollen Programm statt. | |
13 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Eldorado_(Berlin) | |
[2] https://www.magnus-hirschfeld.de/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Magnus_Hirschfeld | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Stonewall | |
[5] /Mainstream-Film-The-Danish-Girl/!5266095 | |
[6] /Barrie-Koskys-La-Cage-aux-Folles/!5912039 | |
[7] https://www.visitberlin.de/de/lgbti-veranstaltungen-berlin | |
[8] https://magnus-hirschfeld-tag.de/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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