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# taz.de -- Wie der Volksentscheid scheitern konnte: Kein Nein gegen mehr Klima…
> Unser Kolumnist hat beim Volksentscheid zur Klimaneutralität in Berlin ab
> 2030 mit Nein gestimmt. Er hat Sorge vor weiteren sozialen Verwerfungen.
Bild: Wahlurne in einem Wahllokal in Berlin-Weissensee am 26. März 2023
Seit dem [1][Scheitern des Klimavolksentscheids] floss bereits viel Wasser
die Spree entlang. Einige wichtige Aspekte kommen mir jedoch weiterhin zu
kurz.
Zwar macht mich seit Jahren schon die vorsätzlich zelebrierte
klimapolitische Schnarchnasigkeit vieler in der Politik und Gesellschaft
[2][extrem wütend]. Trotzdem habe ich am 26. März mit Nein gestimmt. Es
kommt noch dicker: Im Herbst unterschrieb ich sogar für die Umsetzung des
Volksentscheids. Weil ich die Diskussion darüber für dringlich hielt und
tatsächlich mit „Ja“ stimmen wollte.
Unser auf Wachstum basierendes Wirtschaftssystem ist der vorrangige Treiber
des menschengemachten Klimawandels. Kapitalismus killt das Klima – und
Menschen, die den Wachstumsschmerz ertragen müssen. Wer das leugnet, hat
die eigenen geistigen Kipppunkte bereits hinter sich. Jedoch fehlt uns die
Zeit, um zuerst einmal den Kapitalismus mehr einzuhegen oder gar
abzuschaffen. Die Rettung des Klimas müssen wir also inmitten des
Kapitalismus angehen. Voll doof, aber isso!
Mit Folgen für mein Abstimmungsverhalten: Die Sorge vor weiteren sozialen
Verwerfungen in einer bereits krisengeplagten Gegenwart war der Grund
meines Neins – und ich wette auch der vieler anderer Nein-Stimmen. Die
Klimakrise wird bestehende soziale Ungerechtigkeiten dramatisch
verschärfen, das ist mir natürlich klar. Wer heute nicht radikal handelt,
wird die kommenden Kosten in neue Dimensionen katapultieren. Blöd nur, dass
vor der Zukunft die Gegenwart kommt.
## Schlussfolgerung greift zu kurz
Die Schlussfolgerung der Initiator:innen und von Teilen der Medien, die
Mehrheit der Wahlberechtigten, also auch jene, die zuhause blieben, hätte
keinen schärferen Klimaschutz gewollt, greift deshalb zu kurz. Ich meine,
die Mehrheit fand zuallererst den gesetzlichen Rahmen in Verbindung mit der
Deadline 2030 problematisch. Und fürchtete die damit gezwungenermaßen
einhergehenden sozialpolitischen Einschnitte. Allemal mit einem [3][Senat
unter mutmaßlicher Führung] der reaktionären Berliner Wegner-CDU.
Apropos Rassismus: Als Migrant schaue ich sensibler (weil schneller
betroffen) auf den Stimmenanteil radikal rechter Kräfte bei Wahlen. Die
Geschichte zeigt, dass ihr Erfolg wächst, sobald soziale Krisen auf ihre
ganz eigenen Kipppunkte zusteuern. Ich wünsche mir, dass uns neben dem
Klima auch nicht die Gesellschaft um die Ohren fliegt!
Die sozialen und finanziellen Probleme Hunderttausender Berliner Haushalte
im krisengeplagten Hier und Heute wiegen ungleich schwerer, als ein durch
drastische Klimamaßnahmen erst morgen wirksamer sozialpolitischer
Paradigmenwechsel.
In keinem einzigen Berliner Bezirk, nicht mal in Friedrichshain-Kreuzberg
(40,4 Prozent), nahm eine Mehrheit der Wahlberechtigten am Volksentscheid
teil. Glaubt irgendjemand allen Ernstes, das wären alles egoistische
Öko-Raudys, die nachts davon träumen, wie Christian Lindner seinen
Verbrenner streichelt? Ich bin mir sicher, in Berlin gibt es große
Mehrheiten für radikaleren Klimaschutz. Es braucht allerdings mehr als die
eigene und benachbarte Bubbles. Die Zahlen sprechen dafür.
Für den Entscheid stimmten gut 440.000 Menschen. Das Quorum lag bei etwas
über 607.000 Stimmen. Rot-Rot-Grün holte 2021 knapp eine Million Stimmen,
bei der Wiederholungswahl waren es immerhin noch über 740.000. Mit den
Stimmen „sonstiger“ Parteien, denen ich klimapolitischen Weitblick
unterstelle, wären es über 820.000 Stimmen. Vom Potenzial unter den
Nichtwählern* ganz zu schweigen. Für die bräuchte es am Brandenburger Tor
neben Element of Crime und Igor Levit dann aber vielleicht auch mal Nina
Chuba und Apache. Meinetwegen auch Roland Kaiser.
30 Mar 2023
## LINKS
[1] /Verlorener-Klima-Volksentscheid/!5921872
[2] /Klimawandel-und-Apokalypse/!5878237
[3] /Schwarz-Rot-in-Berlin/!5921608
## AUTOREN
Bobby Rafiq
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