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# taz.de -- Tödlicher Angriff auf trans Mann: Zuerst kommt der Selbsthass
> Queer sein ist in dieser Gesellschaft immer noch nicht so normal, wie es
> die „Love is Love“-Sticker behaupten. Taten wie in Münster können wieder
> passieren.
Bild: Trauerstelle für den verstorbenen Malte C. in Münster
Der Moment, in dem ich von dem tödlichen Angriff erfuhr, hat sich in mein
Hirn gebrannt. Ich saß im Zug, das Internet war schlecht, beim
Nachrichtenlesen zog sich alles in mir zusammen.
Sieben Monate später wurde kürzlich am [1][Landgericht Münster das Urteil]
für die tödliche Attacke auf den trans Mann Malte C. gefällt: Fünf Jahre
Jugendstrafe für den Täter, der beim CSD in Münster Malte getötet hat. Sein
Motiv: Queerhass.
Die Tat löste nicht nur bei mir Entsetzen aus. Alle waren empört – schwere
Straftaten gegen trans Personen? Lehnen wir ab. Von CSU bis SPD. Dass die
Tat gegen Malte C. aber nicht in einem luftleeren Raum passierte, sondern
das Ergebnis eines sich seit Jahren verstärkenden queerfeindlichen Klimas
ist, das will niemand so recht wahrhaben.
Oft werden homosexuelle und trans Personen gefragt, was sie noch wollen.
Sie seien ja gleichgestellt. Diese Frage offenbart die Unkenntnis der
Mehrheitsgesellschaft. [2][Diskriminierung hört für die meisten Menschen
bei Gesetzen und Richtlinien auf] – aber in unseren Köpfen bleibt sie am
Leben.
Im Fall des Todes von Malte C. zeigt sich dieses Problem an einem Detail im
medialen Echo: Die kollektive Verwunderung darüber, dass der Täter selbst
schwul war. Für viele wirkt das wie ein völlig verrückter Widerspruch. Das
ist zwar verständlich, aber es ist leider nicht verrückt, sondern ziemlich
normal. Queer sein ist in Deutschland legal, aber es ist immer noch nicht
normal. Bevor man seine queere Identität akzeptiert oder sich outet, quält
einen oft der Selbsthass, die Ablehnung der eigenen Wirklichkeit, die im
Zusammenspiel mit anderen Faktoren zur schrecklichen Tat geführt hat.
Ich erinnere mich gut an mein Outing: ich habe mich mit 15 vor sehr wenigen
Freund*innen als schwul geoutet. Ich war damals ein aufgeklärter und
nicht homophob eingestellter Jugendlicher. Und trotzdem war die
Vorstellung, nicht hetero zu sein, nicht gerade das, was ich mir gewünscht
habe. Es dauerte lange, bis ich es akzeptierte, und noch länger, bis ich
darauf stolz sein konnte. In der Schule habe ich es nicht erzählt. Nicht
weil man mit 14/15 in der Schule nicht über Sex redet – sondern weil man in
diesem Alter über Sex redet, den sich Heteros vorstellen. Ich habe mir
damals gewünscht, dass es nur eine Phase ist.
Als ich mit 17 mit meiner Freundin zusammenkam, war ich glücklich – endlich
war ich nicht mehr schwul. Meine Freundin war wie ein Stempel vom Amt. Bis
zu meinem Coming-out als bisexuell sind nochmal drei Jahre vergangen.
Warum erzähle ich das? Weil es utopisch ist, zu glauben, dass die
Erkenntnis, queer zu sein, mit Selbstakzeptanz einhergeht. In unserer
Gesellschaft resultiert daraus oft das Gegenteil: Selbsthass. Natürlich in
verschiedenen Abstufungen, und they aufgeklärte, politisch interessierte
Maurice war damals sicher am unteren Ende dieses Spektrums. In streng
fundamentalistischen Familien kann das anders aussehen und in genau dem
Selbsthass enden, wie ihn der Täter vom Fall Malte C. offenbar hegte.
Queer sein ist in dieser Gesellschaft immer noch nicht so normal, wie es
die „Love is Love“-Sticker auf den Kühlschränken behaupten. Nicht in den
Köpfen, nicht in Filmen, nicht auf Schulhöfen. Und solange das der Fall
ist, werden Taten wie das Gewaltverbrechen an Malte C. immer wieder
passieren. So lange bleibt schwul sein, bi sein und trans sein im Zweifel
tödlich. Auch in Deutschland.
3 Apr 2023
## LINKS
[1] /Urteil-im-Trans-Mordfall-in-Muenster/!5920327
[2] /Blutspende-Diskriminierung-aufgehoben/!5922552
## AUTOREN
Maurice Conrad
## TAGS
Kolumne Änder Studies
Queer
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Schwerpunkt LGBTQIA
Trans
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