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# taz.de -- Netanjahu in Berlin: Nur unter Protest
> Israels Regierungschef bekommt bei seinem Berlin-Besuch viel Konter gegen
> die geplante Justizreform – auch vom Kanzler.
Bild: Israelicher Protest gegen die Schwächung der Justiz in Israel: Demo am D…
Berlin taz | Es war nicht der Ort für einen überschwänglichen Empfang, aber
dennoch: Viel kühler hätte die Begrüßung nicht ausfallen können, als
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Israels Regierungschef Benjamin
Netanjahu am Donnerstag am Gedenkort Gleis 17 in Berlin aufeinandertrafen.
Von dem Bahnhof – für den Besuch am Donnerstag weiträumig abgesperrt und
von Scharfschützen bewacht – deportierten die Nazis rund 10.000 zumeist
jüdische Berlinerinnen und Berliner in Arbeits- und Todeslager im Osten.
Politisch gesehen aber war der Zwischenstopp am Gleis 17 der bequemere Teil
von Netanjahus Berlin-Besuch. „Deutschland hat sich verändert“, sagte der
Regierungschef, der in seiner Heimat [1][wegen einer umstrittenen
Justizreform] unter Druck steht und auf den im Laufe des Tages auch in
Berlin noch Proteste sowie Kritik vonseiten der Bundesregierung warteten.
Vor 75 Jahren sei der jüdische Staat gegründet worden, so Netanjahu. Juden
hätten seitdem gelernt, „sich selbst zu verteidigen“. Es sei heute
wichtiger denn je, „Anzeichen des Bösen frühzeitig zu erkennen“; die
Bedrohungen für Juden seien heute andere.
Damit war Netanjahu bereits bei einem der Hauptthemen seines
Berlin-Besuchs: der Bedrohung durch Iran. Darüber sprach er auch später
noch einmal mit Scholz im Kanzleramt, wie die beiden am Nachmittag auf
einer gemeinsamen Pressekonferenz berichteten. Teheran will Israel von der
Landkarte tilgen. Iranische Kernphysiker:innen sollen bereits Uran auf
fast schon bombentaugliche 84 Prozent angereichert haben. Israel versucht,
Deutschland zu einem härteren Kurs gegen Iran zu bewegen.
Das Thema sprach auch Scholz an: „Wir sind uns einig, dass Israel keine
Atomwaffen besitzen darf“, sagte der Kanzler – ohne den offensichtlichen
Versprecher zu korrigieren. Zuvor hatte Scholz betont, dass Israels
Sicherheit „deutsche Staatsräson“ sei, worauf sich Israel verlassen könne.
Für Scholz ein wichtiges Thema war der [2][mögliche Kauf des hochmodernen
israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3]. Wie weit jedoch die
Verhandlungen gediehen sind, wollte Netanjahu nicht verraten. Scholz
frohlockte lediglich, dass es ein ganz großer Fortschritt wäre, wenn
Deutschland das System erhielte. Umgekehrt wolle man die militärische
Zusammenarbeit mit Israel fortsetzen. Arrow 3 kann Langstreckenraketen
bereits in einer Höhe von 100 Kilometern abfangen.
Das heikle Thema Justizreform kam in der Pressekonferenz der beiden
Regierungschefs ebenfalls zur Sprache – zumindest hier auch sehr
ausführlich. Man verfolge die Debatte aufmerksam, sagte Scholz. Die
Unabhängigkeit der Justiz sei ein hohes Gut. „Als demokratische
Wertepartner und enge Freunde Israels verfolgen wir diese Debatte sehr
aufmerksam und, das will ich nicht verhehlen, mit großer Sorge“, sagte
Scholz.
Ziemlich unmissverständlich stellte sich der frühere Fachanwalt für
Arbeitsrecht hinter einen Kompromissvorschlag, den Israels Präsident
Yitzhak Herzog am Mittwoch vorgelegt hatte. „Wir würden uns freuen, wenn
über diesen Vorschlag das letzte Wort noch nicht gesprochen wäre“, so
Scholz. Netanjahu hatte bereits vor seiner Abreise nach Berlin Herzogs
Vorschlag zurückgewiesen.
Netanjahu steht in seinem Heimatland in der Kritik, wo ihn seine
Gegner*innen beschuldigen, die lebendige Demokratie des Landes in ein
autoritär-religiöses Regime umbauen zu wollen. Seit Amtsantritt der in
Teilen rechtsradikalen Regierung im Dezember treibt sie kompromisslos eine
Reform voran, die die Gewaltenteilung schwächen und vor allem das
einflussreiche Oberste Gericht in seiner Macht beschneiden würde. Darüber
hinaus hat Netanjahu der an der Koalition beteiligten israelischen
Siedlerbewegung weitgehend freie Hand gegeben im besetzten Westjordanland,
was den Konflikt mit der palästinensischen Bevölkerung verschärft hat.
Begleitet wurde Netanjahus Berlin-Besuch deshalb von Protesten – sowohl in
Israel als auch in Berlin. Israelis in Deutschland hatten zum Brandenburger
Tor mobilisiert, Palästinenser*innen versammelten sich unter „Free
Palestine“-Rufen zu einer anderen Kundgebung vor dem Bundestag. „Netanjahus
Politik ist sehr undemokratisch, zum einen weil er versucht, die
Exekutive, Legislative und Judikative zusammenzuführen. Zum anderen möchte
Israel die Todesstrafe einführen“, sagte der Deutsch-Palästinenser Nassiem
Hijazi.
Demonstrantin Jamila, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte, hob dagegen
die Besatzung des Westjordanlands hervor. Die Bundesregierung ignoriere,
dass im 21. Jahrhundert noch ein Land militärisch besetzt sei. Scholz habe
Netanjahu nicht empfangen dürfen. „Er hätte ein Zeichen setzen müssen.“
Eine der wenigen Israelis, die nicht nur am Brandenburger Tor
demonstrierten, sondern auch beim palästinensischen Protest dabei waren,
war Yuval Gal Cohen aus Leipzig. „Ich will solidarisch sein mit den Leuten,
die zu Hause gegen Bibi und sein korruptes Regime demonstrieren.“
Gleichzeitig, betonte die 27-Jährige, könne man nicht gegen die
Justizreform protestieren, ohne das Ganze – die [3][Besatzung und die
Apartheid im Westjordanland] – zu berücksichtigen.
Trotz der Proteste kommt der Empfang durch Scholz – und später am
Nachmittag auch durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – Netanjahu
gelegen, verleiht er seiner Regierung doch Legitimität. Fotos mit
US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus wären zwar effektvoller gewesen, doch
der US-Präsident hat Netanjahu seit dessen Amtsantritt noch nicht
eingeladen.
Dass der Berlin-Besuch für Netanjahu hohe Priorität hatte, zeigt die
Tatsache, dass er trotz einer aktuell angespannten Sicherheitslage in
Israel wie geplant nach Berlin reiste: Kurz vor seiner Abreise am Mittwoch
wurde öffentlich bekannt, dass ein Attentäter es aus dem Libanon über die
Grenze nach Nordisrael geschafft hatte. Mehrere Kilometer konnte der Mann
ins Land eindringen, wo er am Montag einen Bombenanschlag verübte. Eine
Person wurde verletzt. Bevor er sich wieder absetzen konnte – jedoch erst
Stunden nach der Explosion –, wurde er erschossen. Von seinen Reiseplänen
hielt das Netanjahu nicht ab, auch wenn er seinen Deutschlandtrip verkürzte
und bereits am Donnerstagabend wieder abflog.
16 Mar 2023
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## AUTOREN
Jannis Hagmann
Anna Lehmann
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Israel
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Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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