| # taz.de -- Elektronische Patientenakte: Das sind die Gefahren und Vorteile | |
| > Elektronische Patientenakten für alle – das will der Gesundheitsminister | |
| > bis Ende kommenden Jahres. Was dafür spricht und welche Gefahren es gibt. | |
| Bild: Papier, Papier, Papier – das soll mit der elektronischen Patientenakte … | |
| Was hat der Gesundheitsminister vor? | |
| Karl Lauterbach (SPD) will eine elektronische Patientenakte für alle | |
| Versicherten zum Standard machen. Wer nicht möchte, dass eine elektronische | |
| Akte über ihn angelegt wird, muss ausdrücklich widersprechen. „Eine gute | |
| Versorgung ist ohne Zugriff auf digitale Patientendaten nicht mehr | |
| darstellbar“, sagte Lauterbach bei der [1][Vorstellung seiner Pläne] am | |
| Donnerstag. Für die Versicherten gebe es „keine Nachteile, sondern nur | |
| Vorteile“. Die Pläne sind eine 180-Grad-Wende weg vom aktuellen System. | |
| Derzeit gilt: Wer eine elektronische Patientenakte will, muss sich darum | |
| kümmern. Doch das Interesse hält sich bisher in Grenzen. Bisher wurden | |
| gerade einmal knapp 620.000 elektronische Patientenakten eingerichtet, das | |
| sind weniger als 1 Prozent der Versicherten. | |
| Was ist eigentlich eine elektronische Patientenakte? | |
| Bislang gilt für die meisten Patient:innen: Befunde, Diagnosen, Dokumente | |
| oder medizinische Bilder, etwa vom Röntgen oder MRT, liegen direkt bei den | |
| Ärzt:innen. In Einzelfällen werden diese mit dem Einverständnis der | |
| Betroffenen von einer Praxis in die andere geschickt, etwa wenn die | |
| MRT-Ärztin das Ergebnis an den Hausarzt sendet. Mit der elektronischen | |
| Patientenakte (ePA) gibt es einen Datencontainer, in dem von Befunden über | |
| Medikationspläne bis zum Impfpass alles gespeichert werden kann. Zugriff | |
| darauf können nicht nur Ärzt:innen bekommen, sondern auch andere | |
| Berufsgruppen wie Hebammen oder Apotheker:innen. | |
| Die Krankenkassen sind dafür zuständig, die ePA jeweils anzubieten, mit der | |
| technischen Umsetzung beauftragen sie Dienstleister. Patient:innen | |
| können derzeit selbst entscheiden, welche Behandler:innen Zugriff auf | |
| welche Dokumente erhalten. Zugriffsrechte lassen sich auch befristet | |
| vergeben. Ebenso lässt sich einstellen, dass bestimmte Ärzt:innen | |
| Dokumente einstellen, aber keine anderen lesen dürfen. | |
| Warum will Lauterbach, dass möglichst viele Menschen die ePA nutzen? | |
| Die sehr [2][schleppend laufende Digitalisierung des Gesundheitssystems] | |
| ist seit Jahren ein Streitpunkt in der Branche. Befürworter:innen wie | |
| Lauterbach geht es zu langsam. Sie erhoffen sich durch die Digitalisierung | |
| unter anderem schnellere Bearbeitung und Kostenersparnisse sowie bessere | |
| und mehr Daten für die medizinische Forschung. Der Gesundheitsminister | |
| betont außerdem einen Transparenzgewinn für die Patient:innen: Statt | |
| jeweils bei den einzelnen Ärzt:innen um Einblick in die Akte zu bitten, | |
| was durchaus auf Widerstand stoßen kann, können sie direkt selbst | |
| reinschauen. | |
| „Die ePA ist an sich eine gute Sache für die Versicherten“, sagt auch | |
| Sabine Wolter von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Aber das | |
| komplizierte Anmeldeverfahren überfordert viele Menschen.“ Wolter hält | |
| daher die Pläne, dass alle Versicherten, die nicht widersprechen, eine ePA | |
| eingerichtet bekommen, für sinnvoll – wenn alle Datenschutzfragen gelöst | |
| sind. | |
| Was sind die Nachteile? | |
| [3][Kritiker:innen befürchten] die gläserne Patientin, Datenmissbrauch, | |
| Hackerangriffe und einen großzügigen Abfluss der Daten an | |
| Forschungseinrichtungen und Pharmaindustrie. So kritisiert Silke Lüder, | |
| stellvertretende Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, die vor allem | |
| niedergelassene Haus- und Fachärzt:innen vertritt: „Die gesamte Planung | |
| zielt darauf ab, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben – und das Recht | |
| auf informationelle Selbstbestimmung des Patienten gleich mit.“ Der | |
| Verband geht davon aus, dass die Gesundheitswirtschaft an die Daten will, | |
| um damit Geschäfte zu machen. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. So | |
| sagte Karl Lauterbach bei der Vorstellung seiner Pläne: Dass man derzeit | |
| keine Daten aus digitalen Patientenakten an die Forschung geben könne, | |
| lasse Deutschland international zurückfallen. | |
| Kritik kommt auch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz: „Wer | |
| schweigt, sagt nicht automatisch Ja“, sagt Vorstand Eugen Brysch. Und auch | |
| der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat das geplante | |
| Widerspruchsprinzip schon kritisiert. Mit seinen Gesetzesvorhaben | |
| vergrößert Lauterbach nun den Konflikt: Er plant, den | |
| Bundesdatenschutzbeauftragten bei dem Digitalisierungsprozess zu | |
| entmachten. Dessen Vetorecht soll fallen, ebenso das des Bundesamtes für | |
| Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). | |
| Wie lange liegen die Daten in der ePA? | |
| Ärzt:innen müssen Patient:innendaten in den meisten Fällen bis 10 | |
| Jahre nach der letzten Behandlung speichern. Die ePA ist als lebenslanger | |
| Datencontainer gedacht: Damit könnte die behandelnde Ärztin nachschauen, ob | |
| der Patient mit Gürtelrose in seiner Kindheit an Windpocken erkrankt war | |
| und wie schwer. Oder eine psychische Erkrankung aus grauer Vergangenheit | |
| wird als Indiz dafür gewertet, dass auch aktuelle Beschwerden | |
| psychosomatisch sind. Wer einmal in die Akte gestellte Dokumente nicht mehr | |
| drin haben will, muss sich selber um die Löschung kümmern. | |
| Wie sieht es aus mit der IT-Sicherheit? | |
| [4][Die Agentur, die für die digitale Infrastruktur des Gesundheitssystems | |
| zuständig ist,] betont in ihren Informationen für Versicherte: „Die Daten | |
| liegen sicher und verschlüsselt in den ePA-Aktensystemen der jeweiligen | |
| Betreiber, die in der Telematikinfrastruktur betrieben werden.“ Wer es | |
| etwas genauer wissen will: Die Server stehen in Deutschland, die | |
| Datenübertragung ist sowohl transport- als auch von Ende zu Ende | |
| verschlüsselt, und für den Zugriff ist eine Zwei-Faktor-Authentifizierung | |
| notwendig. | |
| Allerdings wurden in der Vergangenheit immer wieder Sicherheitslücken in | |
| der Telematikinfrastruktur gefunden, die die Basis des digitalen | |
| Gesundheitswesens ist. Eine weitere Schwachstelle liegt bei den | |
| Patient:innen selbst: Denn die sollen vor allem per App auf die Daten | |
| zugreifen. Gerade bei den nicht flächendeckend mit Sicherheitsupdates | |
| versorgten Android-Geräten bietet das Angriffspunkte. | |
| Was machen Versicherte ohne Smartphone? | |
| Je nach Krankenversicherung und Betriebssystem (Windows/Mac/Linux) ist auch | |
| ein Zugang via PC möglich, allerdings mit eingeschränkten Funktionen. | |
| Versicherte ohne digitales Endgerät oder helfende Angehörige bekommen die | |
| ePA trotzdem, können sie auch befüllen lassen, aber nicht selbst einsehen. | |
| Der Bundesdatenschutzbeauftragte liegt daher im Clinch mit dem Gesetzgeber | |
| und den Krankenkassen. Er fordert mindestens Terminals etwa bei den | |
| Krankenkassen oder Gesundheitsämtern, wo Versicherte auf ihre Akte | |
| zugreifen können. Noch weiter geht Patientenschützer Brysch: „Ohne eine | |
| kostenlose Auskunftspflicht in Papierform per Post wird es nicht gehen.“ | |
| Für wen könnte sich die Akte lohnen? | |
| Wer eine komplizierte Erkrankung hat, die zahlreiche Arztbesuche und | |
| Untersuchungen erfordert. Wer unter einer seltenen Erkrankung leidet, | |
| mehrere unterschiedliche Medikamente nehmen muss oder selbst nicht gut oder | |
| gern den Überblick über die eigenen Gesundheitsdaten behalten kann. Für | |
| alle diese Fälle kann eine elektronische Patientenakte Vorteile bieten. | |
| 11 Mar 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/digit… | |
| [2] /Digitalisierung-des-Gesundheitssystems/!5823809 | |
| [3] /Datenschuetzer-ueber-E-Patientenakte/!5748034 | |
| [4] https://www.gematik.de/ueber-uns | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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