# taz.de -- Elektronische Patientenakte: „Keine Zeit, Vertrauen aufzubauen“ | |
> Gesundheitsminister Lauterbach will die digitale Patientenakte für alle, | |
> die nicht widersprechen. Progammiererin Bianca Kastl sagt, wie es besser | |
> ginge. | |
Bild: Im Wartezimmer einer Arztpraxis | |
taz: Frau Kastl, der Gesundheitsminister will im kommenden Jahr die | |
[1][elektronische Patientenakte für alle] zum Standard machen. Sie sagen: | |
Gut für die Patient:innen ist das nicht. Warum? | |
Bianca Kastl: Das liegt vor allem daran, wie diese elektronische | |
Patientenakte jetzt [2][durchgepeitscht] werden soll. Auf einmal soll es | |
unheimlich schnell gehen, als könne man aufholen, was in Jahren versäumt | |
wurde. Diese Geschwindigkeit führt dazu, dass die Patient:innen | |
überhaupt keine Zeit haben, Vertrauen aufzubauen. | |
Warum braucht es Vertrauen? | |
Es geht um Gesundheitsdaten. Die gehören zu dem Sensibelsten, was wir an | |
Daten haben. Und für die wenigsten Nutzer:innen dürfte die Technik | |
hinter der Digitalisierung des Gesundheitssystems durchschaubar sein. Daher | |
geht es nicht ohne Vertrauen. Doch der Prozess ist wahnsinnig | |
intransparent. Und zudem wird den Patient:innen am Ende quasi die | |
Pistole auf die Brust gesetzt: Wer keine elektronische Patientenakte will, | |
muss widersprechen. Alle anderen bekommen sie automatisch. Das widerspricht | |
allem, was wir seit Jahren über Datenschutz wissen und für richtig halten. | |
Außerdem sind Ja/Nein-Fragen manchmal zu einfach. Beispiel Forschungsdaten. | |
Hier sollen die Patient:innen zumindest der Weitergabe und Nutzung | |
ihrer Daten für den Zweck widersprechen können. Aber eigentlich ist das | |
keine einfache Ja/Nein-Frage. Denn vielleicht gibt es ja Forschung, für die | |
ich meine Daten gerne hergeben will – und für eine andere wieder nicht. | |
Setzt das voraus, dass sich die Nutzer:innen intensiv damit beschäftigen | |
müssen? Das lässt sich vielleicht nicht von allen verlangen. | |
Ich glaube, wir Menschen haben alle sehr unterschiedliche Erwartungen an | |
das Gesundheitssystem. Das hängt damit zusammen, welche Erfahrungen wir | |
gemacht haben. Menschen, die aus Minderheiten kommen, schon | |
Diskriminierungserfahrungen gemacht haben oder einfach schlechte | |
Erfahrungen mit Akteur:innen des Gesundheitssystems, die wollen | |
vielleicht stärker drauf schauen, wem sie im Einzelnen vertrauen. | |
Vielleicht der Hausärztin, ja, aber nicht gleich dem ganzen | |
Gesundheitssystem. Und nach aktueller Planung wird vorausgesetzt, dass alle | |
Menschen ein gleichermaßen hohes Maß an Vertrauen in das System haben. Das | |
finde ich eine gewagte Annahme. | |
Wie lässt sich den verschiedenen Vertrauensbasen gerecht werden? | |
Zunächst mal kann die Politik keine Entscheidung für alle Menschen treffen. | |
Das müssen die schon selbst machen. Und dafür könnte man sie fragen. Zum | |
Beispiel mit einer offenen Abfrage dazu, welche Daten genau sie in welchem | |
Maße an wen weitergeben wollen oder eben nicht. Oder wer das für sie | |
entscheiden soll. Damit wäre dann auch gleich ein gutes Maß an Transparenz | |
und Aufklärung verbunden. Und bei den Patient:innen wäre das | |
Bewusstsein dafür geschärft, dass sie sich mit dem Thema beschäftigen | |
sollten. | |
Wer sollte diese Frage letztlich stellen? | |
Ich würde mir da eine unabhängige Stelle wünschen, zum Beispiel | |
Organisationen für Patientenrechte. Die müssten natürlich die Mittel dafür | |
bekommen. | |
Wer profitiert denn vom digitalen Gesundheitssystem? | |
So wie es aktuell ausgestaltet ist, sind die größten Profiteure die | |
wissenschaftlichen und industriellen Forschungsinstitutionen. | |
Was ist mit den Krankenkassen? Die hoffen doch auf Kosteneinsparungen. | |
Da zweifle ich, ob das so eintritt. Klar, sie werden auf der einen Seite | |
Kosten sparen, wenn beispielsweise Doppeluntersuchungen vermieden werden. | |
Aber üblicherweise senkt Digitalisierung keine Kosten, sondern sie eröffnet | |
neue Geschäftsfelder, die wiederum Kosten verursachen. Etwa | |
Diagnoseverfahren, die künstliche Intelligenz einbinden. Da findet man dann | |
neue Anwendungsfelder, braucht dafür weitere Daten und muss diese natürlich | |
auch verarbeiten, womit weitere Kosten entstehen. | |
Welche Risiken sehen Sie? | |
Da gibt es viele: Cyberangriffe oder andere unautorisierte Datenabflüsse. | |
Dann gibt es die Möglichkeit der Depseudonymisierung. Für die Forschung | |
werden zwar pseudonymisierte Daten verwendet. Bei Gesundheitsdaten lassen | |
sich Menschen aber schon mit sehr wenigen Informationen wieder | |
identifizieren – und mit den gewonnenen Informationen beispielsweise | |
erpressen. Auch die Erpressung von Arztpraxen und Krankenhäusern ist | |
möglich, entsprechende Ransomwareangriffe sehen wir ja jetzt schon. | |
Fans von Digitalisierung verweisen gerne auf andere Länder wie | |
Estland oder Finnland. Was können wir von dort lernen? | |
Was schiefgelaufen ist, Beispiel Finnland. Da stellte ein Angreifer die | |
Daten von Patient:innen eines Psychotherapiezentrums ins Internet. Das | |
grundsätzlich dezentrale System zur Vernetzung in Estland entstand aus den | |
schlechten Erfahrungen mit großen zentralen Datenbanken in den 90ern. | |
Seitdem wird dort gut und für die Patient:innen erkennbar dokumentiert, | |
wer auf die Daten zugreift. Da lässt sich Missbrauch zumindest erkennen. | |
17 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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