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# taz.de -- Krankenhausreform: Zurück zum Patientenwohl
> Die Vorschläge von Lauterbachs Reformkommission sind eine gute Grundlage
> dafür, Fehlentwicklungen in unseren Krankenhäusern zu beseitigen.
Bild: Kinderkliniken und ihre Patient:innen zählen zu den Opfern des Fallpausc…
Kurz vor der Jahrtausendwende nahm sich die gerade angetretene rot-grüne
Regierung eine Reform des deutschen Gesundheitswesens vor. Ich war damals
als Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium unter der
Grünen-Ministerin Andrea Fischer für das Projekt zuständig.
Die Krankenhausbehandlung wurde vorwiegend über Tagespflegesätze
finanziert. Das belegte Bett brachte den Erlös, unabhängig vom Aufwand für
den einzelnen Kranken. Das führte dazu, dass Deutschland in der
Krankenhausbettenstatistik und bei den stationären Liegezeiten europaweit
ganz vorne lag.
Da die Leistung des Krankenhauses für seine Bezahlung keine Rolle spielte,
existierten auch keine Daten zum tatsächlichen Aufwand der Krankenhäuser
für die Behandlung ihrer Patienten. Auch welche Krankheiten wie häufig und
wo in Deutschland behandelt wurden, konnte niemand beantworten. Mögliche
regionale Unterschiede in der medizinischen Behandlung blieben im Dunkeln
und entzogen sich damit einer kritischen Diskussion über
Qualitätsstandards.
All dies war Anlass, sich mit den Bedingungen für eine transparente und
leistungsgerechte Finanzierung von Krankenhäusern zu befassen. Unseren
Vorstellungen entsprach am besten das in den USA für die staatlich
finanzierte Krankenhausversorgung Medicare entwickelte aufwandsbezogene
[1][System der Fallpauschalen] (DRG/diagnosis related groups), für dessen
ausdifferenzierte australische Variante wir uns schließlich entschieden.
Zwei Weichenstellungen haben dann leider die Grundlagen gelegt für
Fehlentwicklungen, über die heute zu Recht geklagt wird.
Anders als im damaligen Arbeitsentwurf vorgesehen, wurden in die
DRG-Kalkulationen keine investiven Kostenanteile einbezogen und somit das
duale Finanzierungsprinzip (Finanzierung der laufenden Kosten durch die
Krankenkassen, Finanzierung der Investitionen durch die Länder)
unangetastet gelassen. Damit vermied man ein Scheitern des Reformprojekts
im Bundesrat, in dem zwischenzeitlich die CDU-regierten Länder die Mehrheit
hatten. Krankenhäuser hatten damit, anders als vorgesehen, nicht mehr die
Möglichkeit, eigenständig mit Investitionen die Krankenversorgung zu
optimieren und dabei auch Effizienzgewinne zu erwirtschaften.
Die andere Weichenstellung rückte die DRGs ins Zentrum der Vergütung und
nutzte sie nicht nur als Methode zur Kalkulation von Krankenhausbudgets.
Weltweit hat kein anderes Land die Finanzierung der Krankenhäuser so stark
an erbrachte Leistungen gebunden. Damit ermöglichte man, die
Krankenversorgung an eine betriebswirtschaftliche Optimierung der
DRG-Abrechnung zu binden. Sowohl die Aufgabe wenig lukrativer Leistungen
als auch die Ausweitung eher lukrativer Leistungen waren die Folge. Die
Aufgabe von Geburtshilfeabteilungen und die Reduzierung von Kapazitäten in
[2][Kinderkliniken] sind dafür ebenso Beispiele wie die Ausweitung
orthopädischer und kardiologischer Eingriffe.
Rund 20 Jahre Erfahrungen mit diesem Abrechnungssystem unterstreichen die
Notwendigkeit einer grundlegenden Reform. [3][Bundesgesundheitsminister
Lauterbach] hatte im Mai eine 17-köpfige „Regierungskommission für eine
moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ eingesetzt, die dazu
Vorschläge erarbeiten sollte.
Den Kern der jetzt vorgelegten Vorschläge bilden drei Kriterien, nach denen
zukünftig die Krankenhausversorgung honoriert werden soll:
Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Das Vorhalten
von Personal und bestimmten Ausstattungen wie einer Notaufnahme soll mit
festen Beträgen finanziert werden.
Krankenhäuser sollen drei unterschiedlichen Versorgungsstufen zugeordnet
werden, die Grundversorgung wohnortnah gesichert und aufwendige
Behandlungen nur noch in spezialisierten Kliniken mit hoher Fallzahl
durchgeführt werden. Statt einer allgemeinen Zuweisung von Fachabteilungen
(wie „Innere Medizin“) sollen in der Krankenhausplanung genauer definierte
Leistungsgruppen (zum Beispiel „Kardiologie“) ausgewiesen werden. Diese
sollen an genau definierte Strukturvoraussetzungen gebunden werden
(Personal und Ausstattung) und Voraussetzung für die Abrechenbarkeit mit
den Kassen sein.
## Ein gelungener Aufschlag
Für jede Versorgungsstufe sollen einheitliche Mindestvoraussetzungen
gelten. Zur untersten Versorgungsstufe sollen auch ambulant-stationäre
Zentren zählen, deren Finanzierung aus dem DRG-System herausgenommen werden
soll. Die „Regel- und Schwerpunktversorgung“ sollen Kliniken der zweiten
Stufe übernehmen. Für die umfassendere „Maximalversorgung“ stehen dann
große Kliniken mit einem weiten Spektrum von Fachabteilungen, denen auch
die Unikliniken zugeordnet werden. Für die zweite und dritte
Versorgungsstufe soll die DRG-Finanzierung auch weiterhin eine bestimmende
Rolle spielen.
Bisher sind das nur Grundzüge einer Reform, deren Ausgestaltung abzuwarten
bleibt. Am 5. Januar soll es dazu ein Gespräch zwischen
Gesundheitsministerium, Regierungskommission, den Bundestagsfraktionen
sowie den Ländern geben. Schon jetzt ist abzusehen, dass die bundesweit
einheitliche Zuordnung von Kliniken in drei Versorgungsstufen auf wenig
Gegenliebe bei den Ländern stoßen wird, die bisher dafür allein zuständig
sind. Zudem erhöht die vorgesehene Bindung der Leistungsgruppen an
Strukturvoraussetzungen den Druck auf die Länder, dafür nötige Gelder zur
Verfügung zu stellen.
Der Aufschlag für weitere Diskussionen ist durchaus gelungen. Dem
Reformprojekt ist zu wünschen, dass es die Schwachstellen und Fehlanreize
des bisherigen Systems korrigiert und damit die Weichen für eine qualitativ
bessere Patientenversorgung in unseren Krankenhäusern stellt.
12 Dec 2022
## LINKS
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[3] /Reformvorhaben-von-Karl-Lauterbach/!5898571
## AUTOREN
Hermann Schulte-Sasse
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