# taz.de -- Eröffnungsfilm der Berlinale: Die Kapitänin und der Komponist | |
> „She Came to Me“ eröffnet die diesjährige Berlinale. Der Künstlerfilm | |
> bleibt schematisch, immerhin darf Peter Dinklage ausgiebig verzweifelt | |
> gucken. | |
Bild: Steven Lauddem (Peter Dinklage) in „She Came to Me“ | |
Steven Lauddem möchte sich am liebsten verstecken. Von der Öffentlichkeit | |
hat sich der erfolgreiche New Yorker Opernkomponist nach einem | |
Zusammenbruch vor einigen Jahren zurückgezogen, jetzt schleicht er durch | |
das Foyer des Theaters, das sein nächstes Werk in Auftrag gegeben hat. Und | |
verbirgt sich hinter Topfpflanzen, um nicht entdeckt zu werden. Für ihn gar | |
nicht so schwierig, denn er ist kleinwüchsig. Seinen Part spielt der 1,35 | |
Meter große US-amerikanische Schauspieler Peter Dinklage. | |
Als er dann doch von seiner Frau Patricia (Anne Hathaway) entdeckt und dem | |
Direktor des Hauses präsentiert wird, weicht er Nachfragen nach dem | |
Fortschritt seiner Oper aus. Er hängt fest in einer Depression, die Musik | |
kommt nur mühsam oder gar nicht zu ihm. Zu allem Übel verlässt ihn selbst | |
sein langjähriger Librettist. | |
„She Came to Me“ ist der Eröffnungsfilm der Berlinale, der unabhängig vom | |
Wettbewerb gezeigt wird. Da die Kategorie „außer Konkurrenz“ vom Festival | |
abgeschafft wurde, läuft er als „Berlinale Special“. Will sagen, dass es | |
dafür am Ende keinen Bären gibt. | |
[1][Rebecca Miller hatte zuletzt 2016 mit „Maggies Plan“ eine gutgelaunte | |
Komödie über eine Frau mit Kinderwunsch und Kontrollzwang auf der Berlinale | |
gezeigt]. Greta Gerwig, Ethan Hawke und Julianne Moore waren darin als | |
diskutierfreudige Akademiker zu sehen. Ein kompakter Film, der auch beim | |
Wiedersehen noch Freude macht. | |
## Eine Begegnung mit unabsehbaren Folgen | |
In „She Came to Me“ ist die Geschichte komplizierter, weil es im Grunde | |
mehr als eine Erzählung im Drehbuch gibt. Da ist zunächst der Künstler in | |
der Krise, dessen Mangel an Orientierung im Alltag von der bis zur | |
Karikatur gesteigerten Zwanghaftigkeit seiner Frau, die praktischerweise | |
zuvor seine Psychoanalytikerin war, „ausgeglichen“ wird. Wo bei Steven das | |
Chaos regiert, sorgt Patricia in allen Lebensdingen für Ordnung und | |
Sauberkeit. Aus Prinzip. | |
Damit ihr Mann sich nicht in seinen Selbstzweifelschleifen verliert, | |
schickt sie ihn, nicht ganz frei von Paternalismus, mit dem Hund auf die | |
Straße. Dort soll er Inspiration finden. Das tut er dann auch. In einer Bar | |
in Brooklyn begegnet er Katrina. Genauer genommen schnappt sie sich ihn. | |
Und lädt ihn ein zu sich, auf ihren Schlepper, auf dem sie Kapitänin ist. | |
Eine unwahrscheinliche Begegnung, die im Film aber sofort unabsehbare | |
Folgen hat. | |
Bei der Besetzung hat Rebecca Miller mit ihren Hauptfiguren eine gute Wahl | |
getroffen. Sowohl Peter Dinklage als auch die in der Rolle der Katrina als | |
heimliche Hauptdarstellerin agierende Marisa Tomei dürfen einigermaßen | |
zerknautscht aussehen. Dem gegenüber steht die wächsern wirkende | |
Makellosigkeit Anne Hathaways. „She Came to Me“ ist damit auch ein Film der | |
„sprechenden“ Gesichter, bei denen die Faltenbildung oder das Fehlen | |
derselben mitunter mehr über die Figuren verraten als das, was sie sagen. | |
„She Came to Me“ ist allerdings kein reiner Künstlerfilm, sondern will | |
zudem noch Kommentar zur gesellschaftlichen Lage der USA von heute sein. So | |
repräsentiert der Sohn von Patricia und Steven, Julian, zusammen mit seiner | |
Freundin Tereza die nächste Generation und ihre Sorgen. Sie wollen einmal | |
etwas machen, um die Welt zu verbessern. Dass er 18 und sie 16 ist, | |
beschert der Handlung später eine dramatische Zuspitzung. | |
Denn da ist noch Terezas Vater Trey (Brian d’Arcy James), ein | |
Gerichtsstenograf, der als Vorzeige-Trump-Wähler angelegt ist, mit rabiatem | |
Rechtsverständnis und einer kräftigen Portion Rassismus als | |
Grundausstattung. Dass Julian, der von Steven adoptiert wurde, eine Person | |
of Color ist, wird in dem Zusammenhang ebenfalls bedeutsam. | |
## Schematisch eingepasst | |
Leider sind diese Stränge so schematisch in die Handlung eingepasst, dass | |
die einzelnen Figuren kaum mehr als Funktionsträger sein können. Am ehesten | |
zeigt die schlagfertige Marisa Tomei einige Ansätze zu einer lebendigen | |
Figur. Peter Dinklage darf immerhin ausgiebig verzweifelt gucken. | |
Nicht falsch verstehen: Die Komik kommt in dieser Neuauflage der | |
traditionellen Screwcall-Komödie Hollywoods keinesfalls zu kurz. Das gilt | |
für das kontrastreich angelegte Paar Steven-Patricia genauso wie für die | |
Begegnung von Steven mit Katrina. Und die Eitelkeiten im Kunstbetrieb führt | |
Miller sehr schön bei den Proben zu Stevens Oper vor. | |
Steven Lauddems Musik geschrieben hat übrigens [2][Bryce Dessner, der in | |
der Rockband The National Gitarre spielt], inzwischen aber hauptsächlich | |
Soundtracks zu komponieren scheint. Zwischen postavantgardistischer | |
Romantik und minimalistischen Philip-Glass-Anleihen macht er jedenfalls | |
eine solide Arbeit. | |
17 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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