Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf auf Hans Modrow: Ein undogmatischer Sozialist
> Er wagte den Balanceakt zwischen Pragmatismus und Ideologie. Nun ist der
> SED-Politiker Hans Modrow im Alter von 95 Jahren gestorben.
Bild: 14. 3. 1990: Hans Modrow bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neubrandenbu…
Dresden taz | Unbeirrbar, aber nicht starrsinnig. Auf diese Formel etwa
ließe sich der Ruf des am Samstag mit 95 Jahren verstorbenen
Ex-SED-Funktionärs und Ministerpräsidenten schon in der DDR bringen. 1973
als erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden bediente er nicht ein
Bonzen-Image, sondern lebte bescheiden in einer Dreiraum-Plattenwohnung.
Aus einfachsten Verhältnissen im damaligen Westpommern stammend, wurde er
im letzten Kriegsjahr zum Volkssturm eingezogen, geriet in sowjetische
Gefangenschaft. Diese Zeit prägte seine sozialistische Grundhaltung und die
Vorstellung von einem künftig friedlichen Deutschland. Der meist streng
schauende Modrow absolvierte mehrere Hochschulen und stieg schnell in der
Sozialistischen Einheitspartei auf.
Zunächst in Berlin, wo er an der HU in Wirtschaftswissenschaften
promovierte. 1967 wurde er Mitglied im Zentralkomitee der Partei. Realismus
und Pragmatismus trugen ihm den Ruf eines Reformers ein. Angeblich hatte
ihn die Sowjetunion 1987 als Nachfolger des Hardliners Erich Honecker an
der Spitze von Partei und Staat vorgesehen.
Stundengenau erinnerte sich [1][Modrow bei einem taz-Gespräch 2019] an die
schwersten Tage seiner Laufbahn. In Dresden versuchten am 3. und 4. Oktober
1989 Tausende auf die von Prag in die Bundesrepublik durchfahrenden Züge
mit DDR-Botschaftsflüchtlingen aufzuspringen. Der Dresdner Hauptbahnhof
wird verwüstet, Polizeiautos brennen. Modrow kritisiert die „irrsinnige“
Routenwahl durch die DDR und die späte Information. Den Einsatz der
paramilitärischen Kampfgruppen lehnt er ab, bittet die Volksarmee um Hilfe,
um Tote zu vermeiden.
## Nach der Wende weiß er, er ist ein Auslaufmodell
Auch in interne SED-Weichstellungen gegen einen Gewalteinsatz bei den
Demonstrationen vom 7. bis 9. Oktober 1989 vor allem in Dresden und Leipzig
ist Modrow eingebunden. Nach dem Sturz Honeckers hat der SED-Staat keinen
Besseren als ihn an der Spitze des Ministerrates. Er weiß, dass er ein
Auslaufmodell ist, fühlt sich von Bundeskanzler Helmut Kohl wie ein
Schuljunge behandelt, spricht mehrfach vom westdeutschen Diktat. Kurz vor
der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 versucht er noch,
Hauseigentümer vor dem Ausverkauf zu retten.
Die Quittung folgt nach der Wiedervereinigung. 1993 wurde er wegen
Wahlfälschung und Falschaussage zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seine
Beobachtung durch BND und Verfassungsschutz wurde 2013 eingestellt. Keine
Rolle spielte, dass er seit 1988 von der Stasi ausgespäht wurde. Lange
Mitglied im Ältestenrat der Linken, [2][tat er sich mit
Kriegsrelativierungen nach dem russischen Ukraine-Überfall keinen
Gefallen.]
12 Feb 2023
## LINKS
[1] /Friedliche-Wende-in-der-DDR/!5628564
[2] /Modrows-Relativierung-des-Ukrainekriegs/!5844232
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
SED
Mauerfall
Helmut Kohl
Nachruf
GNS
Die Linke
DDR
Schwerpunkt AfD
## ARTIKEL ZUM THEMA
Modrows Relativierung des Ukrainekriegs: Linkspartei geht auf Distanz
Mit einer Äußerung zum Ukrainekrieg sorgt Hans Modrow für Empörung. Jetzt
will die Linkspartei ihn als Vorsitzenden ihres Ältestenrats ablösen.
Friedliche Wende in der DDR: Warum kein Schuss fiel
Wie führende SED-Mitglieder im Oktober 1989 dafür sorgten, dass die
Proteste gegen das Regime nicht in einem Blutbad von Polizeikugeln endeten.
Ostdeutschland und die AfD: Mythos Revolution
Die meisten Ostdeutschen tun sich mit der Freiheit schwer, weil sie als
DDR-Bürger die Diktatur mitgetragen haben. Der Erfolg der AfD passt dazu.
PDS-Parteitag: Abschied ohne Aufputschmittel
Bis zuletzt ist Verlass drauf: Mahnungen von Modrow und ein müdes Referat
von Bisky. Am Samstag fusioniert die PDS mit der WASG.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.