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# taz.de -- Ostdeutschland und die AfD: Mythos Revolution
> Die meisten Ostdeutschen tun sich mit der Freiheit schwer, weil sie als
> DDR-Bürger die Diktatur mitgetragen haben. Der Erfolg der AfD passt dazu.
Bild: Die AfD passt zu Ostdeutschland und ist dort mehrheitsfähig
„Die DDR hat keine Revolution erlebt, sie ist implodiert, wie die anderen
realsozialistischen Länder und die Sowjetunion auch.“ Dieses Zitat stammt
von Hans Modrow, dem letzten Regierungschef der DDR. Es ist als Einspruch
gegen den heute wie damals weithin gepflegten Mythos von der „friedlichen
Revolution 1989“ zu verstehen. Die DDR war von Anfang an nichts anderes als
die Diktatur der SED, die mit der Machtübernahme durch die von den Sowjets
militärisch abgesicherte Ulbricht-Clique möglich wurde.
Bis auf den [1][Aufstand der Berliner Bauarbeiter am 17. Juni 1953] hat es
während der ganzen Lebenszeit der DDR – vom Aufbegehren einiger mutiger
Einzelkämpfer einmal abgesehen – keine ernsthaften Versuche aus der Mitte
der DDR-Gesellschaft heraus gegeben, sich das System vom Hals zu schaffen.
Wie denn auch? Die SED-Staatsmacht war gnadenlos und brutal, und solange
die russischen Panzer vor Ort bereitstanden, um die sozialistische
Herrschaft auch mit Gewalt zu verteidigen, waren schon die Gedanken an eine
revolutionäre Wende gefährlich. Schließlich wussten auch alle DDR-Bürger,
dass sie auf praktische Hilfe jenseits der Ostpakte aus dem Westen nicht
zählen konnten.
Außerdem gab es als Alternative zum Leben in der DDR ja schon von Anfang an
und bis zu ihrem Ende die Republikflucht. Jeder, der nicht mitmachen wollte
beim Aufbau des Sozialismus, konnte bis zum Mauerbau vergleichsweise
einfach, dann bis kurz vor dem Zusammenbruch mit hohem, individuellen
Risiko und [2][gegen Ende der DDR wieder in großem Stil und großer Zahl
einfach rübermachen]. Die Republikflucht oder das Narrativ davon machten
jeden Gedanken an den großen Kampf gegen die Diktatur der Partei
überflüssig.
Genau betrachtet war die Republikflucht für die SED machterhaltend. In
dieses strategische Kalkül gehört auch der Menschenhandel, den die SED mit
ihren intellektuellen Widersachern betrieben hat – die gut organisierte,
oft zwangsweise Ausbürgerung gegen harte Devisen, das war für beide Seiten
auch politisch ein gutes Geschäft. Wer sollte sich vor diesem Hintergrund
an die Spitze einer revolutionären Alternative stellen?
## Revolutionäre gab es schlicht nicht
Sicher, in der SED gab es immer wieder spannende Momente intellektuellen
Aufbruchs, die jedoch ohne jede Wirkung immer wieder erfolgreich erstickt
wurden. Weiter gab es, von uns im Westen bewundert und umjubelt, weil es in
unsere eigenen Revolutionsträume passte, die zwischen den Zeilen lesenden
und lebenden, die unangepassten und bis zum Rauswurf mutigen Literaten,
Künstler und Intellektuellen in der DDR, die von einem freiheitlichen
Sozialismus, aber nicht von der Wiedervereinigung geträumt haben.
Aber Revolutionäre, zum politischen Kampf auf Biegen und Brechen bereite
Menschen, das waren sie nicht und das wollten sie auch gar nicht sein. Auch
der Zusammenbruch 1989 selbst war nicht die Folge der so mutigen
Großdemonstrationen in Leipzig und anderswo. Er ist von der massenhaften
Republikflucht über die Grenzen der Bruderländer ausgelöst und besiegelt
worden.
Übrigens, die Republikflucht ist nach der Wende 1989 noch einmal richtig in
Fahrt gekommen. Weit über eine Million DDR-Bürger, die gut ausgebildeten
jungen Menschen vor allem und in großer Zahl junge Frauen, haben in den
ersten Jahren nach der Wende die ehemalige DDR für immer verlassen. Die
Organisatoren der Demonstrationen kurz vor der Wende, vom Neuen Forum bis
zum Demokratischen Aufbruch, waren unter den DDR-Bürgern politisch nie
wirklich mehrheitsfähig. Sie sind schon bei den ersten freien Wahlen nach
1989 von der politischen Bühne gefegt worden.
## Eigene Schuld wird beschwiegen
Andersherum betrachtet: Die SED und ihre DDR waren bei der Bevölkerung über
40 Jahre lang gut aufgehoben. Die Mehrheit der dort gebliebenen 14 bis 16
Millionen Menschen haben die DDR-Diktatur nicht nur erlitten, sie haben sie
mitgetragen, sie waren mehr oder weniger loyale, an ein Leben in der
Diktatur angepasste Bürger. Ihr Mitmachen bei den Nazis ging bruchlos in
das Mitmachen bei den DDR-Sozialisten über.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld beim Mitmachen in der ersten
und dann in der zweiten deutschen Diktatur hat es in aller Offenheit in den
Neuen Ländern bis heute nicht gegeben. So verwundert nicht, dass trotz des
so erfolgreichen Zusammenführens der beiden Hälften in der
Wiedervereinigung bis heute in den Neuen Ländern eine sich selbst tragende,
selbstbewusst auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auf Humanität und
Freiheitsliebe fest gebaute Gesellschaft nicht entstanden ist.
Die AfD ist in der geistigen Nachfolge der Nazis und der SED-Sozialisten in
den Neuen Ländern zu Hause. Sie ist die ehrliche Stimme der aus dem
muffigen DDR-Staatsheim immer noch nicht ausgezogenen Ossis. [3][Die AfD
ist ihre Partei, sie ist in Ostdeutschland politisch mehrheitsfähig.] SPD,
CDU und auch die Grünen dagegen versuchen, mit einer Erzählung von einer
angeblichen Ignoranz gegenüber der Lebensleistung der DDR-Menschen und
einer fortwährenden, strukturellen Benachteiligung mit immer neuen
Millionen den Ex-DDRlern ihre politischen Vorlieben fürs Autoritäre, für
den Hass auf alles andere, auf alles Fremde, auf alles Diverse, ihre
Verachtung der Demokratie abzukaufen.
Die Kernfragen aber, die nach der politischen Identität der Ossis, deren
über mehrere Generationen hinweg weitergetragene Verstrickung in beide
deutschen Diktaturen, werden beschwiegen. Modrows Bild von der Implosion
der DDR beschreibt präzise den Zusammenfall der Hülle, des
Drumherum-Staatstheaters der SED-Diktatur. Ein wirklicher Aufbruch zu den
Ufern der Freiheit aber ist bis zum heutigen Tag ausgeblieben.
Möglicherweise ist ein solcher Aufbruch aber auch nur biologisch, in den
Händen der nächsten Generationen möglich.
6 Aug 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Udo Knapp
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