| # taz.de -- Gentrifizierung in Berlin-Neukölln: Starbucks statt Mokka | |
| > Skandalinvestor René Benko hat große Pläne für den Karstadt am | |
| > Hermannplatz. Anwohner:innen fürchten steigende Mieten und | |
| > Verdrängung. | |
| Bild: Wird es am Hermannplatz bald so aussehen wie auf dem Ku'damm? | |
| Von außen betrachtet sieht die Welt auf den letzten Metern der Sonnenallee, | |
| bevor die Straße in die Nordseite des Hermannplatzes mündet, noch in | |
| Ordnung aus. In einem Restposteladen findet man Hausschuhe für 3 Euro, in | |
| einem Afroshop Yam-Wurzeln, die sonst in keinem Supermarkt zu finden sind, | |
| und in arabischen Konditoreien gibt es das beste Baklava der Stadt. | |
| Doch die Idylle ist bedroht: [1][Steigende Mieten] setzen schon jetzt viele | |
| Gewerbetreibenden auf der Sonnenallee unter Druck. Nun will ausgerechnet | |
| auf dem benachbarten Hermannplatz ein österreichischer Investor mit dem | |
| Umbau des Karstadt-Gebäudes ein Prestigeprojekt realisieren. Das droht | |
| die Mieten in der Gegend noch weiter in die Höhe zu treiben. | |
| „Es wird nur noch schlimmer“, berichtet Ahmet Yilmaz, Betreiber eines | |
| Shisha-Geschäfts, resigniert. Eigentlich heißt er anders, aber seinen Namen | |
| möchte er nicht in der Zeitung lesen. Seit sieben Jahren betreibe er den | |
| Laden, regelmäßig bekomme er Mieterhöhungen. Bei den benachbarten Läden sei | |
| die Situation ähnlich. „In den nächsten Jahren werden hier viele Läden | |
| Pleite machen“, vermutet Yilmaz. | |
| Der unerbittliche Kreislauf der Gentrifizierung hat in den letzten | |
| Jahrzehnten den Charakter vieler Kieze in Berlin grundlegend verändert. | |
| Bislang konnte die Sonnenallee und der anliegende Hermannplatz dieser | |
| Dynamik widerstehen. Statt Edelcafés und hochpreisiger Modeketten bestimmen | |
| hier immer noch günstige Gastronomie und migrantisches Kleingewerbe das | |
| Straßenbild. | |
| Auch der Hermannplatz, der zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen nur wie eine | |
| etwas größere Verkehrsinsel wirkt, besitzt noch vieles von dem, was den | |
| Neuköllner Charme ausmacht: In einem Stimmengewirr aus Arabisch, Türkisch | |
| und Deutsch wuseln U-Bahn-Passagiere und Marktbesucher:innen über den | |
| Platz, kaufen zu günstigen Preisen Gözleme, Gemüse, Currywurst und | |
| China-Importwaren. | |
| ## Monumental-Architektur am Hermannplatz | |
| Genau hier will der [2][österreichische Investor Signa] mit dem Umbau des | |
| Karstadt-Gebäudes, der die gesamte Westseite des Hermannplatz einnimmt, | |
| sein Prestigeprojekt verwirklichen. Der derzeit eher schmucklose | |
| Funktionsbau aus den 50er Jahren soll radikal umgebaut und erweitert | |
| werden. Die Fassade des monumentalen, in den letzten Kriegstagen zerstörten | |
| Art-déco-Baus von 1929 soll rekonstruiert werden, mitsamt zweier bis zu 60 | |
| Meter hoher Türme. | |
| Gegner:innen des Projekts fürchten, dass Signa mit dem Umbau die | |
| Spekulationsspirale in der Umgebung weiter anheizen wird: „Wir gehen davon | |
| aus, dass die Gewerbemieten auf jeden Fall steigen werden“, sagt Susanna | |
| Kahlefeld. Die grüne Politikerin sitzt mit einem Direktmandat für den Kiez | |
| im Abgeordnetenhaus. | |
| Über 500 Millionen Euro will Signa investieren und damit dem Hermannplatz | |
| ein „identitätsstiftendes Wahrzeichen“ spendieren, wie es in den | |
| Präsentationen des Konzerns heißt. Ein Projekt dieser Größenordnung hat | |
| Auswirkungen auf die gesamte Umgebung. Steht auf dem Platz, der bisher in | |
| den überregionalen Medien vor allem als kriminalitätsgeplagte No-go-Area | |
| dargestellt wird, nun ein architektonisches Juwel, steigert das automatisch | |
| den Wert der umliegenden Immobilien. | |
| Doch Mietsteigerungen sind nicht die einzige Gefahr, die das Projekt mit | |
| sich bringt. Nach dem Umbau soll die Karstadtfiliale deutlich verkleinert | |
| werden. Dafür sollen fast 50.000 Quadratmeter Bürofläche entstehen. Bei | |
| vergleichbaren Großprojekten in Berlin, wie beim Zalando-Campus oder beim | |
| Amazon-Tower, ziehen voraussichtlich zahlungskräftige Unternehmen ein. Die | |
| gutverdienende, oft internationale Belegschaft hat andere Bedürfnisse als | |
| die lokale Bevölkerung. | |
| „Die Leute, die da reinkommen, sind eine komplett neue Klientel“, sagt die | |
| Architektin Niloufar Tajeri, die sich seit Jahren in der „Initiative | |
| Hermannplatz“ gegen den Karstadt-Umbau engagiert. „Signa ist interessiert | |
| daran, dass sich die Läden in der Umgebung verändern.“ Also Zara statt | |
| Brautmode und Starbucks statt Mokka. Umstritten ist auch, welche Identität | |
| Signa mit dem Projekt stiften will. „Es ist eine Art von | |
| Geschichtsrevisionismus, bei dem getan wird, als wäre es wieder 1929“, | |
| kritisiert Tajeri. Der Stil des Nachkriegsbau sei bewusst zurückhaltend, um | |
| sich vom vergangenen Monumentalismus abzugrenzen. | |
| ## Korrupter Investor mit rechten Tendenzen | |
| Der österreichische Milliardär René Benko, der hinter Signa steht, ist | |
| politisch kein unbeschriebenes Blatt. Immer wieder wird gegen ihn in | |
| Korruptionsfällen ermittelt. Im Oktober 2022 gab es eine Hausdurchsuchung, | |
| weil er versucht haben soll, einen Finanzbeamten zu bestechen. Auch besteht | |
| der Verdacht, Benko habe der rechtsextremen FPÖ illegale Parteispenden | |
| zukommen lassen. | |
| Doch der Karstadt-Umbau am Hermannplatz wäre keine typische Berliner | |
| Verdrängungsstory, wenn nicht die Politik trotz aller Warnungen | |
| zweifelhaften Investor:innen den roten Teppich ausrollen würde. | |
| Besonders die in Neukölln regierende SPD zeigt sich begeistert von dem | |
| Projekt. | |
| Nachdem Signa seine Pläne Anfang 2019 vorstellte, bezeichnete | |
| SPD-Bezirksbürgermeister Martin Hikel den Umbau als eine „Chance für den | |
| Bezirk“. Der für die Planung verantwortliche Bezirk | |
| Friedrichshain-Kreuzberg teilte allerdings die Bedenken und legte zunächst | |
| ein Veto ein. Eigentlich wäre das Projekt damit gescheitert, doch Signa | |
| schaffte es durch geschicktes Taktieren das Baurecht in greifbare Nähe zu | |
| rücken. | |
| Als 2020 der Kaufhauskonzern Galeria-Karstadt-Kaufhof, dessen Eigentümer | |
| ebenfalls Signa ist, das erste Mal Insolvenz anmeldete, handelte das | |
| Unternehmen mit dem damaligen Senat einen Deal aus: Mehrjährige | |
| Bestandsgarantien für vier Berliner Galeria-Filialen, dafür Baurecht für | |
| den Umbau am Hermannplatz und zwei weitere umstrittene Großprojekte. | |
| Infolgedessen zog der Senat die Planung an sich und treibt seitdem das | |
| Projekt engagiert voran. Obwohl es nicht Teil des Deals war, versprach | |
| Bausenator Andreas Geisel (SPD) sogar, den Bebauungsplan innerhalb von 100 | |
| Tagen aufzustellen. Was – ansonsten eher untypisch für Berlin – auch | |
| passierte. Trotz eines weiteren Insolvenzverfahrens, erheblicher Bedenken | |
| wegen des Denkmalsschutzes und der [3][Statik der darunterliegenden | |
| U-Bahn-Tunnel] rechnet Signa selbstbewusst mit einem Baubeginn noch in | |
| diesem Jahr. | |
| Auch Shishaladen-Betreiber Yilmaz hat wenig Zweifel, dass sich der | |
| Immobilienkonzern am Ende durchsetzen kann: „Wenn die Leute genügend Geld | |
| haben, können sie sich alles erlauben.“ | |
| 12 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Wahmkow | |
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