# taz.de -- Lernort zur NS-Geschichte in Osnabrück: Streit um Nazi-Beamten geh… | |
> Am Dienstag sollte der Streit um die Umbennung der Villa Schlikker in | |
> Osnabrück beseitigt werden. Doch dann schossen Teile der örtlichen CDU | |
> quer. | |
Bild: Gingen ihre Fälle auch über Calmeyers Schreibtisch? Niederländische Ju… | |
OSNABRÜCK taz | Am Dienstag sollte der seit Jahren währende Streit um | |
[1][den neuen Namen der Villa Schlikker] beseitigt werden, so der Plan der | |
Osnabrücker Kulturverwaltung. Der Stadtrat wollte endlich über den | |
künftigen Namen entscheiden. Doch Teile der CDU schossen quer, sodass das | |
Thema nicht einmal behandelt wurde. | |
Die Villa Schlikker ist eines von vier Häusern im Museumsquartier Osnabrück | |
und wird derzeit umgebaut. Im November soll es als Begegnungs- und Lernort | |
zur NS-Geschichte neu eröffnet werden. | |
Für den Namen des Hauses, das der Tuchfabrikant Edo Floris Schlikker um | |
1900 erbauen ließ, war eigentlich ein Konsens erzielt, nach verbitterten | |
Grabenkämpfen: Ein „Hans Calmeyer-Haus“, wie es sich manche wünschen, die | |
den Osnabrücker NS-Juristen zu [2][einem besseren Oskar Schindler | |
stilisieren], wird es nicht geben. | |
Stattdessen hat der wissenschaftliche „Beirat zur Neukonzeption der Villa | |
Schlikker“ vor wenigen Wochen einstimmig empfohlen – nach schwierigsten, | |
oft polarisierenden Kompromissverhandlungen –, den Hauptnamen bei Villa | |
Schlikker zu belassen. Zwei Untertitel stellt er dafür zur Wahl: „Forum | |
Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ und „What about Calmeyer?“. | |
Interfraktionell war klar: Der Kulturausschuss übernimmt den Vorschlag, | |
wählt einen Untertitel aus und übergibt das Thema dann an den Stadtrat. | |
## Von der Tagesordnung genommen | |
Aber es kam anders: Fritz Brickwedde, einst Fraktionschef der örtlichen | |
CDU, bis heute graue Eminenz und Verfechter vom „Calmeyer-Haus“, stellte | |
sich in der Neuen Osnabrücker Zeitung öffentlich gegen den Vorschlag des | |
Beirats. | |
Im Kulturausschuss, der den Ratsbeschluss am vergangenen Donnerstag hätte | |
vorbereiten sollen, verschwand die Namensgebung von der Tagesordnung, | |
angeblich durch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter, ebenfalls CDU. | |
Daraufhin fiel der Ausschuss komplett aus. | |
Wie es weitergeht, werde „wohl jetzt zwischen den Fraktionen neu | |
abgestimmt“, sagt Kulturdezernent Wolfgang Beckermann der taz. Er scheint | |
verwundert zu sein über das Geschehen – und genervt. Das Haus nach Calmeyer | |
zu benennen, sei undenkbar. „Nach der Diskussion der letzten Jahre“, sagt | |
Beckermann, „halte ich das für völlig ausgeschlossen.“ | |
Und das aus gutem Grund: Bis Herbst 1944 war Hans Calmeyer Teil der | |
deutschen Besatzung in Den Haag, als [3][Leiter des „Judenreferats“.] Ihm | |
gelang es zwar, viele Jüdinnen und Juden vor der Deportation ins KZ zu | |
bewahren. Viele Hunderte Fälle beschied Calmeyer allerdings auch negativ. | |
Eine höchst ambivalente Figur. | |
## Beginnt die Diskussion von vorn? | |
Mindestens ambivalent ist auch ein Nachfahre von Schlikker, der die Villa | |
1932 den Nazis zur Verfügung gestellt hat – doch der Name des Erbauers | |
selbst sei, so hat es der Beirat eingeordnet, nicht angreifbar. | |
„Der Konsens des Beirats war keine kleine Leistung“, sagt Sebastian Bracke | |
der taz, Vize-Fraktionschef der Grünen und Vorsitzender des | |
Kulturausschusses. „Jetzt sollten wir uns auch gemeinsam hinter ihm | |
versammeln.“ Es brauche einen Namen, „der keine Missverständnisse | |
hervorruft“. Calmeyer gehe nicht, in welcher Form auch immer. Also auch | |
nicht als Untertitel. | |
Fatal sei, „wenn die ganze Diskussion jetzt nochmal neu aufgerollt wird“. | |
Notfalls gebe es im Rat eben eine Mehrheit an den Quertreibern vorbei. | |
Grüne und SPD haben dort das Sagen. Dabei war das Ziel der Fraktionen | |
eigentlich, das leidige Thema einstimmig zu beenden. | |
Auch der niederländische Philosophieprofessor Johannes-Max van Ophuijsen, | |
Ende 2022 kritischer Teilnehmer des vom Beirats veranstalteten Symposiums | |
„Formen und Dimensionen der Resilienz unter deutscher Besatzung 1939–1945�… | |
versteht die Bremsaktion nicht. Mit Journalist Hans Knoop hatte er 2020 | |
eine Petition gegen die Benennung des Hauses nach Calmeyer initiiert, | |
gerichtet an die Bundesregierung. | |
## Namensdebatte verstellt Blick auf Ausstellungskonzept | |
Sie seien „voller Hoffnung“, dass der Stadtrat „einem in der | |
Stadtgeschichte verankerten und neutralen Namen treu bleiben wird“, | |
schreiben sie der taz. Beide votieren für den Untertitel „Forum | |
Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“. Vor der „What about | |
Calmeyer“-Alternative müsse man „ernsthaft warnen“. | |
Auch der Osnabrücker ILEX-Kreis, eine Gruppe von NS-Lokalhistorikern, | |
votiert für die erste Variante. „Damit kann ein Zeichen gesetzt werden für | |
einen offenen Diskurs in der Auseinandersetzung über die lokale | |
NS-Geschichte“, sagt Mitglied Heiko Schulze der taz. „Mit Bezügen bis zu | |
den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, und dies fernab von | |
jedweder Heroisierung.“ Eine Hervorhebung Calmeyers sei für „nahezu 100 | |
Widerständler, die sich hier vor Ort gegen das NS-Regime gestellt haben, | |
posthum ein Schlag ins Gesicht“. | |
„Der Ball liegt jetzt bei der Politik“, sagt Alfons Kenkmann, | |
Geschichtsdidaktiker an der Universität Leipzig und Vorsitzender des | |
Osnabrücker Beirats, der taz. Das Problem sei aber: „Es wird oft nicht | |
geschichtskulturell debattiert, sondern geschichtspolitisch, und das wird | |
leicht zum Minenfeld. Käme es in der Namensfrage zu einer Neuauflage davon, | |
bezweifle ich, dass es der Außenwahrnehmung der Stadt gut täte.“ | |
Seine Arbeit in Osnabrück hat bei Kenkmann Spuren hinterlassen: „In meinen | |
30 Jahren als Ratgeber im Feld der Zeitgeschichte habe ich noch nie einen | |
derart umkämpften Beirat erlebt“, sagt er. Man könne die Namensvorschläge | |
verwerfen. Aber: „Dann müsste man sich wirklich fragen, wozu man den | |
distanzierten Blick der Wissenschaft überhaupt braucht.“ | |
Die Namensdebatte verstelle den Blick für Wichtigeres, sagt Kenkmann. „Wir | |
müssen uns jetzt mit dem Ausstellungskonzept befassen. Die Zeit bis | |
November ist so knapp, dass sich alle Kräfte darauf konzentrieren müssen.“ | |
7 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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