| # taz.de -- Ausstellung „Demokratie zählt!“: Ein NS-Täter als Musterdemok… | |
| > Osnabrücks Forum für Erinnerungskultur inszeniert den | |
| > NS-„Rassereferenten“ Hans Georg Calmeyer als Widerständler. Seine Opfer | |
| > werden vergessen. | |
| Bild: Retter und Täter zugleich: NS-Jurist Hans Georg Calmeyer | |
| Es war ein hartes Stück Arbeit im Minenfeld zwischen Denkmalschutz und | |
| Baunormen sowie jahrelangen Auseinandersetzungen um den Namen. Als | |
| komplett neu konzipiertes „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ | |
| erlebt Mitte des Monats der Bildungsort „Die Villa_“ in Osnabrück seine | |
| Eröffnung. Die 1900 vom Kaufmann Edo Floris Schlikker errichtete Residenz | |
| nutzte die NSDAP als Osnabrücker Parteizentrale. Jetzt ist sie ein ins | |
| Museumsquartier integrierter Bildungsort, der sich besonders an junge | |
| Menschen wenden will. | |
| Die neue Dauerausstellung „Demokratie zählt!“ soll am Täterort das | |
| Bewusstsein für den Wert und die Zerbrechlichkeit freiheitlicher | |
| Bürgerherrschaft schärfen. Zwischenzeitlich war überlegt worden, das | |
| Gebäude nach dem Osnabrücker Juristen Hans Georg Calmeyer zu benennen. Das | |
| ist zum Glück unterblieben. Der Plan hatte nicht nur in den Niederlanden | |
| für Empörung gesorgt. Denn Calmeyer war von 1941 bis 1944 „Rassereferent“ | |
| der NS-Besatzungsverwaltung in Den Haag. | |
| Während viele Juden durch ihn als Arier anerkannt wurden und so [1][der | |
| Ermordung entgingen], ließ er eben auch etliche ins Vernichtungslager | |
| deportieren. Zudem trieb er dem Deutschen Reich niederländische | |
| Zwangsarbeiter zu. Ein Mittäter der Shoa, ein Funktionsträger des | |
| NS-Terrors. Der Villa seinen Namen zu geben, [2][eine Forderung zumal der | |
| örtlichen CDU], wäre geschichtsblind gewesen. | |
| Beendet ist die [3][Calmeyer-Debatte] gleichwohl nicht. „Demokratie zählt!“ | |
| nutzt den NS-Juristen als Protagonisten, als Projektionsfläche: Die | |
| Rückschau auf sein Verhalten, als Retter wie als Vollstrecker, soll zum | |
| Nachdenken über Ethik, Zwiespalt und Verantwortung anregen, über heutiges | |
| Mitläufer- und Tätertum, heutigen Widerstand. | |
| Wer die Treppe zum ersten Stock hinaufgeht – deren Stufen wurde 1933 Josef | |
| Burgdorf hinabgestoßen, der antifaschistische Redakteur der Osnabrücker | |
| Tageszeitung Freie Presse, [4][nach einem folternden Prangermarsch durch | |
| die Stadt] – trifft auf die zentrale Frage der Schau: „Welcher | |
| Demokratie-Typ bist Du?“ Hier ist die erste von vielen Entscheidungen | |
| gefordert, zu denen die Schau die Besuchenden triggert. Ein Chip-Armband | |
| registriert jede und zeigt am Ende ein Profil, von phlegmatisch bis | |
| aktivistisch. Die Fragen fordern Haltung: „Hast Du in Deinem Umfeld schon | |
| mal erlebt, dass jemand diskriminiert wurde?“, lautet eine von ihnen. „Wie | |
| hast Du Dich verhalten?“ | |
| Verschränkt mit Informationen zur lokalen NS-Vergangenheit ist dieser | |
| Gegenwartsbezug die Stärke der Ausstellung, die viel richtig macht: Comic- | |
| und Graffiti-Optik docken an die Lebenswelt der Zielgruppe an, ohne sich | |
| anzubiedern. Wo Video- und Touchscreens genutzt werden, sind sie sinnreich, | |
| nicht nur Ausweis von Zeitgeist. Viele Exponate erzeugen Gänsehaut, vom | |
| Schlagstock bis zur Ausgabe von „Mein Kampf“. Interaktion steht im | |
| Mittelpunkt, Austausch, Selbsteinschätzung. Es gibt auch Schwächen: Die | |
| Schnörkeltypo der Wandbeschriftung ist Gift für die Barrierefreiheit, der | |
| unmotivierte Wechsel ins Englische hie und da erst recht. | |
| Und es gibt eine massive Fehlleistung: „Demokratie zählt!“ stellt Calmeyer | |
| fast einseitig dar, stark weichgezeichnet. Viel Retter, kaum Vollstrecker, | |
| zu wenig Zwiespalt. Dem MQ4 sieht eine solche Undifferenziertheit nicht | |
| ähnlich. Wurde hier Druck ausgeübt? Damit bloß niemand, der für ein | |
| „Calmeyer-Haus“ zur Feier einer stadtmarketing-tauglichen Lichtgestalt | |
| focht, das Gesicht verliert? Das wäre zumindest eine Erklärung. | |
| Jedenfalls wird [5][Hans Georg Calmeyer] gleich im Eingangsfilm zum | |
| Widerständler geadelt. Mit dieser Wertung geimpft, betreten die Besuchenden | |
| die Ausstellung. Ein paar Räume weiter wird aus ihm dann ein Regimeopfer: | |
| Er sei 1933 aus der Anwaltskammer ausgeschlossen worden, weil er | |
| Kommunisten vertreten hatte. Die Gestapo habe ihn beschattet. Nur flüchtig | |
| wird erwähnt, wie sich der Anwalt darum bemüht hat, die Lizenz | |
| zurückzuerhalten: Calmeyer machte geltend, dass er 1923 als Mitglied der | |
| Schwarzen Reichswehr, einem rechtsnationalen Freikorps, in München dabei | |
| war beim Marsch auf die Feldherrnhalle. Das faktische Berufsverbot endet | |
| schon 1934. | |
| Die Ausstellung attestiert Calmeyer, er zeige, „dass man sich auch in einer | |
| Diktatur widersetzen kann“. Er sei ein „Anti-Nazi“ gewesen. Das Wenige, d… | |
| als Gegenpol taugt, bleibt diffus: Er habe mit Menschenleben gespielt, „um | |
| seinen Posten zu behalten“, heißt es einmal. In fünf Plexiglassäulen kann | |
| man Bälle werfen, um Calmeyers Tun zu bewerten: Das Positivste lässt sich | |
| kaum toppen: „sabotierte bewusst das System“, wird vorgeschlagen. Als | |
| Kritischstes steht ein laues „Schreibtischtäter“ zur Wahl. | |
| 7 Sep 2024 | |
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| [4] https://www.artipool.de/ausstellung/23513 | |
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| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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