# taz.de -- Umgang mit der Shoa: Keine Lichtgestalt | |
> Heißt die Villa Schlikker in Osnabrück bald “Calmeyer-Haus“? Es wäre d… | |
> Weißwaschung eines Mittäters des Holocaust. Eine Petition dagegen läuft. | |
Bild: Janusgesichtiger Charakter: Hans-Georg Calmeyer | |
HAMBURG taz | Der Donnerstag vor Pfingsten war für Osnabrück kein guter | |
Tag. Der Stadt gelang zwar, was ihr sonst fast nie gelingt: Sie fand | |
weltweit Beachtung. Aber das geschah ungewollt. Und das Ergebnis war ein | |
Image-GAU. | |
Dirk Brengelmann, der deutsche Botschafter in Den Haag, nahm an diesem Tag | |
eine Petition an Bundeskanzlerin Angela Merkel entgegen, unterzeichnet von | |
260 Professoren vieler Staaten, Hochschulen und Fachrichtungen, Anwälten, | |
Rabbinern, Holocaust-Überlebenden, Künstlern. | |
In den Niederlanden initiiert durch den Philosophieprofessor Johannes Max | |
van Ophuijsen und den Journalisten Hans Knoop, will die Petition | |
verhindern, dass der Geschichts-Lernort, zu dem die [1][Villa Schlikker des | |
Museumsquartiers Osnabrück] derzeit umstrukturiert wird, den Namen | |
“Calmeyer-Haus“ erhält. | |
Die Bundesregierung möge die finanzielle Unterstützung verweigern, sollte | |
das dort geplante „Friedenslabor“ den Namen „eines hohen Beamten des | |
Naziregimes in den Niederlanden tragen“. 1,7 Millionen Euro | |
Bundesfördermittel hat Osnabrück für die Gebäudesanierung eingeworben; | |
Mitte 2023 soll das „Labor“ eröffnen. | |
## Weltweite Resonanz | |
„Ich bin zuversichtlich“, sagt van Ophuijsen, „dass die Namhaftigkeit | |
unserer Unterzeichner dazu beiträgt, die Aufmerksamkeit der Kanzlerin zu | |
erlangen“. Medial gebe es schon jetzt weltweite Resonanz, sagt Knoop. | |
„Sollte das Calmeyer-Whitewashing wirklich stattfinden, wäre das ein | |
internationaler Skandal.“ | |
Hans-Georg Calmeyer – ein Name, der seit 1945 für Kontroversen sorgt. | |
Unbestreitbar ist: Der Osnabrücker Jurist, von März 1941 bis September 1944 | |
hochrangiger NS-Verwaltungsbeamter in Den Haag, hat dazu beigetragen, dass | |
viele [2][Juden der Ermordung entgingen.] | |
Unbestreitbar ist aber auch: Viele Juden ließ er ins KZ deportieren, ins | |
Vernichtungslager; er ist also zugleich Mittäter der Shoa ([3][taz | |
berichtete]). „Sehr ambivalent“, sagt Knoop. „500 als Arier Registrierte | |
hat er zu ‚neu entdeckten Juden‘ erklärt. Die gingen dann mit in die | |
Transporte.“ | |
Ginge es nach der Osnabrücker „Hans Calmeyer-Initiative“ (HCI) und der | |
Stadtrats-CDU, insbesondere ihrem Fraktionschef Fritz Brickwedde, würde | |
Calmeyer definitiv Namensgeber. | |
Alfons Kenkmann, Geschichtsdidaktiker der Universität Leipzig und | |
Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats, den Osnabrück 2017 berufen | |
hat, um die inhaltliche Ausrichtung des neuen Lernorts festzulegen, warnt | |
davor, fordert einen „differenzierten, wissenschaftlichen Blick“. Auch | |
Osnabrücks Kulturdezernent Wolfgang Beckermann mahnt „Versachlichung“ an. | |
Nicht nur der Name des „Labors“ ist umkämpft. Ginge es nach der HCI, würde | |
das neue Haus eher ein Calmeyer-Erinnerungsort. Kulturverwaltung, Museum | |
und Beirat erarbeiten dagegen einen Bildungsort zur NS-Geschichte. Calmeyer | |
steht dabei nicht im Hauptfokus, wird kritisch hinterfragt, in all seiner | |
Widersprüchlichkeit. Die Petition leistet Beckermann und Kenkmann also | |
Schützenhilfe. | |
Auch der niederländische Soziologe Martin Sijes hat sie unterzeichnet. Sein | |
Vater, Historiker und Shoa-Überlebender, hatte Calmeyer 1967 in Osnabrück | |
für das [4][Amsterdamer Institut für Weltkriegs-, Holocaust- und | |
Genozidstudien (NIOD)] befragt. „Als er aus Osnabrück zurückkam, haben wir | |
das am Abendbrottisch diskutiert.“ Er fühle sich als Mörder, hatte Calmeyer | |
zu Protokoll gegeben, könne wegen seiner Schuldgefühle nicht schlafen, | |
gehöre eigentlich auf eine Anklagebank. | |
## Unberechenbar und willkürlich | |
„Einerseits sind da seine Rettungsentscheidungen“, sagt Martin Sijes. „In | |
ihnen war Calmeyer unberechenbar, willkürlich, geprägt von Stimmungen, | |
persönlichen Vorlieben. Andererseits lag ihm daran, als NS-Beamter | |
systemkonform Effizienz zu zeigen, später auch bei der Deportierung | |
niederländischer Zwangsarbeiter nach Deutschland.“ Würde Calmeyer zum | |
Namensgeber, wäre das, so Sijes, „ein Schlag ins Gesicht aller Opfer des | |
Holocaust“. | |
Es wäre auch ein Schlag ins Gesicht der Amsterdamer Auschwitz-Überlebenden | |
Femma Fleijsman-Swaalep, der Calmeyer nicht half, obwohl er es gekonnt | |
hätte. Auch sie hat die Petition unterzeichnet. | |
Die niederländische Historikerin Els van Diggele zeichnet in ihrem im April | |
erschienenen Buch „Das Rätsel Femmas. Opfer eines Menschenretters“ | |
Fleijsman-Swaaleps Leben nach. Alfred Edelstein hat über sie, in | |
Koproduktion mit van Diggele, eine Filmdokumentation gedreht; Anfang Mai | |
lief sie im niederländischen Fernsehen. Am Ende des Films stehen | |
Fleijsman-Swaaleps Nachkommen in Osnabrück, auch vor der Villa Schlikker. | |
Sie demonstrieren, mit Plakaten und Handzetteln. Ihre Forderung: „Keine | |
Ehre für Calmeyer!“ | |
Auch der Osnabrücker Ratsbeschluss von Ende 2017 sieht die nicht vor. In | |
ihm steht, es gelte, die Villa Schlikker „im Sinne eines | |
'Hans-Calmeyer-Hauses’“ zu entwickeln. | |
Die CDU leitet daraus hauptsächlich eine Namensverpflichtung ab, die HCI | |
verlangt zudem, dass Calmeyer konzeptionell im Mittelpunkt stehen müsse. | |
Thomas Klein, Ratsmitglied der Grünen, dagegen: „Inhaltlich ist dazu damals | |
gar keine Diskussion erfolgt, daher war diese Bezeichnung nur ein | |
Arbeitstitel. Es war immer klar, dass es am Ende auf eine Empfehlung des | |
Beirats hinausläuft.“ | |
## „viel zu emotional“ | |
Ein „Calmeyer-Haus“ habe im Rat keine Mehrheit; die Diskussion darum sei | |
derzeit „viel zu emotional“. Auch Heiko Schlatermund, Sprecher der | |
SPD-Ratsfraktion, stellt sich den Lernort als ein „Haus für 'Demokratie und | |
Widerstand’“ vor, rät, die Namensgebung „kritisch zu diskutieren“. | |
Derweil wirft Joachim Castan, Vizevorsitzender der HCI, in einer | |
HCI-Erklärung van Diggele und Edelstein vor, „Aspekte eines manipulativen | |
Gesinnungsjournalismus“ zu bedienen. Entstünde ein „Friedenslabor“, kein | |
„Calmeyer-Haus“, würde das, findet er, „Calmeyers Einmaligkeit wie auch | |
seine Tragik verwässern und wäre eine lauwarme Provinzposse, die vergeblich | |
auf Besucher warten würde“. | |
Offenbar halte Castan Fleijsman-Swaalep „für eine Spielverderberin“, sagt | |
Edelstein, die den „Bemühungen um ein Calmeyer-Museum einen Makel | |
aufdrückt“. Er wünscht sich „nüchternes Denken“. So sagt es auch Els v… | |
Diggele: „Für mich ist nur gute historische Forschung wichtig.“ Calmeyer | |
charakterisiert sie so: „Während er sich mit der Verfolgung und | |
Rassentrennung von Juden beschäftigte, schrieb er seiner Frau, welch | |
'ergötzliche Arbeit’ er habe.“ | |
1992 ehrte die israelische Gedenkstätte [5][Yad Vashem] Calmeyer mit der | |
Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“. Derzeit prüft sie diese | |
Entscheidung. Die Petition dazu bewertet sie als „angemessen“. | |
1 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Museumsdirektor-ueber-das-Moeglich-Machen/!5638642 | |
[2] /Wiederauffuehrung-von-Schindlers-Liste/!5565088 | |
[3] /NS-Buerokrat-und-Lebensretter/!5607578 | |
[4] https://www.niod.nl/ | |
[5] https://www.yadvashem.org/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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