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# taz.de -- Die Wiederholungswahl und Die Linke: Linke Politik auf der Kippe
> Der Linken drohen Verluste. Damit würden Personen, die derzeit linke
> Berliner Politik prägen, den Wiedereinzug ins Abgeordnetenhaus verpassen.
Bild: Hat sich viel für Berlin vorgenommen: Die Linke
Berlin taz | Die Linke Berlin droht eine der Verliererinnen der
Wiederholungswahl zu werden. In sämtlichen Umfragen liegt sie schon seit
Monaten zwischen 11 und 12 Prozent und damit deutlich unter ihrem Ergebnis
von 2021, bei dem es noch für 14,1 Prozent reichte. Vor anderthalb Jahren
hatte sich ihr Spitzenkandidat Klaus Lederer noch für den Chefposten im
Roten Rathaus beworben, heute geht es für die Partei vor allem darum, vor
der AfD zu landen.
Der Landesverband leidet vor allem unter dem verheerenden Zustand der
Bundespartei und deren Umfragetief. Dabei versucht man alles, um die
Eigenständigkeit zu betonen. Geworben wird mit dem Label [1][„Berliner
Linke“], wobei beiden Wörtern das gleiche Gewicht zugemessen wird. Die
Botschaft dahinter: Die Linke in der Hauptstadt hat mit den Querelen der
Bundes-Linken nichts zu tun. Statt Auseinandersetzungen mit
Wagenknecht-Positionen – mit Alexander King vertritt nur ein Abgeordnete
deren Linie – stehe sie für Geschlossenheit und einen eigenständigen Weg.
Im Selbstbild der Linken Berlin heißt das: ein erfolgreicher Spagat
zwischen Regierungsfähigkeit und Systemkritik.
Paradigmatisch dafür steht ihr Umgang mit der Wohnungs- und Mietenpolitik.
Obwohl man sich 2021 vom Posten des Stadtentwicklungssenators schweren
Herzens trennen musste, ist das Thema der Markenkern der Landespartei
geblieben. Parlamentarisch ringt man dabei um die oft kleinsten Kompromisse
mit der SPD, gleichzeitig versteht man sich als Flügel der sozialen
Bewegungen und präsentiert sich als einziger Garant für die Umsetzung des
Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co. enteignen.
So versucht die Linke auch in diesem Wahlkampf mit aller Kraft ihr
Kernthema nach vorne zu schieben: Es sei eine „Mietenwahl“, so heißt es
mantramäßig aus der Partei. Seit Neuestem gibt es gar eine eigene Website
unter diesem Namen, auf der die – durchaus fundierten – mieten- und
stadtenwicklungspolitischen Konzepte der Berliner Linken zusammengefasst
werden. Doch die Seite offenbart auch ein Problem der Partei: In ihrer
Wahrnehmung hängt sie stark an einzelnen, meist jungen und angriffslustigen
Abgeordneten, denen sie zugleich nicht allzu viel Vertrauen schenkt.
## Wenn die Linke Prozentpunkte verliert
So ist die [2][Mietenwahl-Website] ein Projekt ihres Fraktionssprechers für
Mieten und Wohnen, Niklas Schenker, der auch im Impressum aufgeführt ist.
Der 30-jährige Schenker ist seit der Wahl 2021, bei der er zum ersten Mal
ins Abgeordnetenhaus einzog, das Gesicht der Partei zum Thema. Er ist
dabei, wenn die Parteispitze ihr Konzept für ein kommunales Neubauprogramm
vorschlägt, und dauerhaft medial präsent – auch durch seinen eigenen
mietenpolitischen Podcast.
Nach der Wahl allerdings könnte es für Schenker mit der Parlamentskarriere
vorerst wieder vorbei sein. Wenn die Linke Prozentpunkte – und damit
Mandate verliert –, droht die Partei plötzlich ohne ihren Mietenexperten
dazustehen.
Auch die zweite Fachfrau für das Thema, die stadtentwicklungspolitische
Sprecherin Katalin Gennburg, muss um ihr Mandat bangen, obwohl sie wie
keine andere für einen radikalen, also vor allem eigenständigen linken Kurs
ihrer Partei steht. 24 Abgeordnete hat die Fraktion derzeit, von denen 21
über die Landesliste abgesichert waren; sechs Abgeordnete, drei mit und
drei ohne sicheren Listenplatz, gewannen ihre Wahlkreise direkt. Bei dem
vorhergesagten Verlust von zwei Prozentpunkten wird sich die Zahl jener,
die über die Landesliste einziehen, reduzieren.
Mit Listenplatz 19 ist Gennburg, die einen Platz vor Schenker liegt, akut
gefährdet. Für sie gibt es, anders als für Schenker, immerhin noch die
realistische Möglichkeit einer Direktwahl: 2021 gelang es ihr, ihren
Treptower Wahlkreis zum zweiten Mal zu gewinnen. Damit es dazu wieder
kommt, hat sie im Wahlkampf Unterstützung von Parteigenoss:innen aus
Thüringen und auch von der Bundesvorsitzenden Janine Wissler bekommen.
## Die hinteren Listenplätze
Dass die Unterstützung für die beiden Mietenpolitiker:innen im
eigenen Landesverband dagegen nicht allzu groß ist, zeigen nicht nur ihre
hinteren Listenplätze, sondern auch ihre schlechten Wahlergebnisse bei der
Aufstellung der Liste vor der Wahl 2021. Gennburg und Schenker erhielten
die schlechtesten Ergebnisse der vorderen 20 Plätze. Vielen in der Partei
sind sie offensichtlich zu radikal, zu wenig kompromissbereit in einer
Koalition mit Sozialdemokraten, die in ihren Themen oft gänzlich andere
Positionen vertreten.
Die Unterwürfigkeit, mit der die Partei 2002 erstmals in eine Berliner
Regierung eintrat, beseelt davon, nach langem Paria-Dasein als PDS endlich
angekommen zu sein, ist nur zu Teilen überwunden; sie blitzt auf im Wunsch
vieler nach möglichst geräuschloser Regierungspolitik. Auch Flügelkämpfe
zwischen Reformern und Linken spielen hierbei eine Rolle. Der linke Flügel,
der zumindest noch kritisch auf Regierungsbeteiligungen schaut – Gennburg
und Schenker etwa waren gegen eine Koalition ohne die feste Zusage, den
Enteignungsvolksentscheid umzusetzen –, ist bei den Reformern um Klaus
Lederer, die von jeher die Zügel fest in den Händen halten, nicht
sonderlich wohlgelitten.
Einfacher haben es dagegen Kandidaten aus dem Lager der Parteiführung. Und
so ist einem Mietenpolitiker der Einzug ins Parlament sicher:
Kurzzeit-Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel. Der vergleichsweise
weniger angriffslustige Scheel steht auf Platz 4 der Landesliste und hat
nach seinem Mandatsverzicht am Anfang der Legislatur nun seine Rückkehr
angekündigt.
## Ebenfalls ein Wackelkandidat
Neben der Mietenpolitik droht ein weiterer für die Partei wichtiger
Politikbereich nach der Wahl personell geschwächt zu werden. Der
innenpolitische Sprecher Niklas Schrader, der zu den öffentlich
wahrnehmbarsten seiner Fraktion gehört, ist mit Listenplatz 17 ebenfalls
einer der Wackelkandidaten, wenn die Linke Stimmanteile einbüßt. Dabei ist
Schraders Name eng verknüpft mit den Erfolgen einer – zumindest in Teilen –
liberalen Innenpolitik der vergangenen Jahre, wie dem Polizeigesetz.
Zunächst einmal könnte sich für die Linke auch bei einem Stimmenverlust
nach der Wahl wenig ändern. Eine Wiederauflage der Koalition mit SPD und
Grünen, womöglich unter Führung Letzterer, gilt weiterhin als
wahrscheinlichstes Szenario. Doch die Probleme drohen im Verlauf der dann
noch etwa dreieinhalb Jahre laufenden Legislatur größer zu werden. Denn
Erfolg und Mobilisierungskraft der Linken sind eng mit ihrer Ausstrahlung
in ihren Kernthemen verknüpft. Hierbei ist die Mietenpolitik noch wichtiger
als andere Sozialthemen, weil hier die Unterschiede zu den
Koalitionspartnern deutlicher zutage treten.
Doch ohne ihre inhaltlich profiliertesten und eine gewisse Radikalität
ausstrahlenden Abgeordneten wird die öffentliche Wahrnehmung schwieriger zu
erreichen sein. Allein die Regierungsbeteiligung reicht für die Linke nicht
aus, um im großen linken Milieu der Stadt – das zu einem nicht
unwesentlichen Teil schon jetzt Kleinparteien oder aber auch die Grünen
wählt – ausreichend auf Resonanz zu stoßen. Die Ruhe und Geschlossenheit,
die die Berliner Linke derzeit noch öffentlich ausstrahlt, muss also nicht
bleiben. Eine herbe Wahlniederlage könnte sie nicht nur inhaltlich
schwächen, sondern auch innerparteiliche Differenzen wieder stärker zutage
treten lassen.
7 Feb 2023
## LINKS
[1] /Berliner-Linke-stellt-Wahlkampagne-vor/!5902791
[2] https://www.mietenwahl.de/
## AUTOREN
Erik Peter
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