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# taz.de -- Debatte um geschlossene Kinderheime: Eine Alternative zum Wegsperren
> Das „Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung“ versucht, mit einem
> Gegenvorschlag den Bau eines geschlossenen Heims in Hamburg zu
> verhindern.
Bild: Schlechte Erfahrungen mit geschlossenen Heimen: In den Haasenburg-Heimen …
Hamburg taz | Die ersten Architektur-Entwürfe gibt es schon. Auf einer
Wiese am Klotzenmoorstieg, nicht weit vom Hamburger Flughafen, soll [1][ein
besonderes Kinderheim mit Phasen-Modell entstehen]. Das Heim soll 16 Plätze
bieten für Kinder zwischen 9 und 13 Jahren. Mit der sogenannten
„Aufnahmephase“ soll das Heim auch einen geschlossenen
Unterbringungsbereich haben.
Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass das Hamburger „[2][Aktionsbündnis
gegen Geschlossene Unterbringung]“ hier mit Argusaugen schaut, was
passiert. Zusammen mit dem „Arbeitskreis kritische Sozialarbeit“ verfasste
es jetzt [3][ein Papier mit dem Appell an die Stadt], auf dieses Heim zu
verzichten und die Probleme anders zu lösen.
In dem [4][rot-grünen Koalitionsvertrag von 2020] heißt es, man wolle die
Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Psychiatrie verbessern. Denn es
wanderten „viel zu häufig“ Kinder und Jugendliche zwischen beiden Systemen
hin und her. Deshalb soll es diese Einrichtung geben.
Im dem Papier „Alternative Überlegungen und Vorschläge zum Zusammenwirken
von Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hamburg“ setzen sich
der frühere Hochschulprofessor [5][Michael Lindenberg], sein Mitstreiter
[6][Tilman Lutz] und [7][weitere kritische Fachleute] mit diesem Ansinnen
auseinander. In jedem Fall müsse man ernst nehmen, dass „dringender
Handlungsbedarf“ wegen dieser „Verschiebepraxis“ bestehe.
Tendenziell seien Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie zwei „abgeschlossene
Einheiten“ mit verschiedenen „Theorien, Sprachverständnissen und
Menschenbildern“. Von der Psychiatrie käme häufig die Klage, die
Jugendhilfe überlasse ihr jene Kinder, bei denen sie sich nicht gewachsen
fühlt. Von der Jugendhilfe werde ins Feld geführt, dass dort ein besseres
Wissen und tieferes Verständnis für bestimmte Personen bestünde.
## Kinder zu „Symptomträgern“ gemacht
Generell habe die Jugendhilfe sich seit den 1970ern verändert. Hätten die
Jugendämter früher noch selber die Menschen beraten und begleitet, seien
sie heute „Spezialdienste“, die Fälle verwalten – mit der Tendenz,
Störungen und Auffälligkeiten zu betonen. Vor allem Kinder würden so zu
„Symptomträgern“ gemacht. Zugleich gebe es für immer mehr soziale
Auffälligkeiten medizinisch anerkannte Definitionen, was zu einem Ausbau
der Psychiatrie und zu einer „Erweiterung der medizinischen
Definitionsmacht“ führe.
Doch die Erwartungen an die Psychiatrie seien hoch und auch deren
Möglichkeiten etwa aufgrund von Personalmangel begrenzt. „Manche Kritiker
der geschlossenen Unterbringung“, so steht es im Papier, seien deshalb gar
für eine Einrichtung wie den „Klotzenmoorstieg“, [8][weil die wenigstens in
Hamburg liegt] und nicht weit weg.
Lindenberg und Co halten diese Sondereinrichtung dennoch für ein Zeichen
von Hilfslosigkeit. Zwar werde von „sozialräumlicher“ Unterbringung
gesprochen. Doch geplant sei, dass die Kinder „vom morgendlichen
Zähneputzen über die interne Beschulung bis zum Abendessen und abendlicher
Freizeit“ dauerhaft in der Einrichtung sind. Das Kind werde von seiner
Schule, seinen Freunden und anderen Bezugspersonen getrennt.
In der Regel werde dies mit einem „schädlichen Umfeld“ begründet, aus dem
das Kind heraus müsse, um psychisch zu gesunden. Die widersprüchliche Logik
sei hier, das Kind selbst als Problem zu sehen, das „individuell
bearbeitet“ und am Ende nach einer zweiten und dritten Phase in seinem
alten Umfeld bestehen soll.
Dem setzen die Autoren entgegen, dass es besser wäre, die 9- bis
13-Jährigen – die vom Alter her auch „Lücke-Kinder“ genannt werden, wei…
für sie kaum Angebote gibt – in ihrem Stadtteil zu lassen und sie
gegebenenfalls dort in „Krisenwohnungen“ unterzubringen, wo sie mit ihrer
Familie wohnen können. Es müsste in allen Hamburger Bezirken „verlässliche
Orte“ für jenen Kreis junger Menschen geben, die dem Klotzenmoorstieg
zugeordnet werden. Dort sollten Fachleute aus Jugendhilfe und Psychiatrie
zusammen wirken, und zwar „auf Augenhöhe“.
Und damit das gelingt, sollten beide Professionen bereits in den
„regionalen Fallberatungsgremien“ zusammenarbeiten. Und es sollte in der
Sozialbehörde eine Arbeitsgruppe dafür geben. Fortbildungen müssten
gemeinsam stattfinden und es müsse Einzelvereinbarungen mit Trägern geben,
die darin erfahren sind, mit beiden Professionen zusammen Lösungen für
schwierige Fälle zu stricken.
## Kinderschutzbund noch unentschieden
Lindenberg hat bereits vor zwei Wochen sein Papier beim Kinderschutzbund
vorgestellt und dort mit Fachleuten diskutiert. Das Papier enthalte
„bedenkenswerte Punkte“, sagt Kinderschutzbund-Geschäftsführer Ralf Slüt…
Es sei wichtig, die Angebotsstruktur in den Bezirken zu verbessern. Doch
unabhängig davon gebe es eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die
zwischen den Systemen hin- und hergeschoben werde. Da befinde sich der
Kinderschutzbund auch „intern in der Diskussion“ und könne keine
„eindeutige“ Einschätzung geben.
Ganz ähnlich äußern sich auch die Fachsprecher von Grünen und SPD.
Lindenbergs Impulse werden gelobt, die Notwendigkeit der neuen Einrichtung
aber nicht angetastet. Nur die jugendpolitische Sprecherin der
Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus, sagt, sie begrüße sehr, das es jetzt
alternative Konzepte gibt und überlege, eine Veranstaltung dazu zu machen.
Auch die Sozialbehörde kennt das Papier. Man sei mit der „kritischen
Fachöffentlichkeit“ im Austausch, sagt eine Sprecherin. Nur sei das Projekt
ja aufgrund „inhaltlicher Erfordernisse“ im Koalitionsvertrag verankert.
## Eröffnung erst nach der nächsten Wahl
Zum aktuellen Stand gibt es ein Papier der Behörde. Darin heißt es, die
Fachplanungen seien fortgeschritten und die Baugenehmigung werde Ende 2023
erwartet. Das Heim solle aus drei Gebäuden bestehen, eines für die bis zu
dreimonatige „Aufnahmephase“, eines für die „Entwicklungsphase“ und ei…
für die „Verabschiedungsphase“. Der Aufenthalt solle bis zu zwei Jahre
dauern, freiheitsentziehende Maßnahmen seien „nur einzelfallbezogen und
temporär“ angedacht.
Neu ist auch, dass der Zeitplan rutscht. Statt wie bisher für April 2025
wird die Inbetriebnahme nun erst für Mitte 2026 angepeilt. Davor liegt im
Frühjahr 2025 die nächste Bürgerschaftswahl. Tilman Lutz sagt: „Das lässt
uns hoffen, dass unsere Impulse noch aufgegriffen werden und sich
durchsetzen“.
7 Feb 2023
## LINKS
[1] /Streit-um-Heimerziehung/!5834165
[2] https://www.geschlossene-unterbringung.de/aktuelles-hamburg/
[3] https://akshamburg.wordpress.com/
[4] https://www.spd-hamburg.de/fileadmin-hamburg/user_upload/Koalitionsvertrag2…
[5] /Kriminologe-zur-Praxis-der-Jugendhilfe/!5903457
[6] /Sozialwissenschaftler-ueber-Neue-Autoritaet/!5566958
[7] /Psychiaterin-ueber-neues-Kinderheim/!5774482
[8] /Neue-Jugend-Einrichtung-in-Hamburg/!5711489
## AUTOREN
Kaija Kutter
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