# taz.de -- Spielfilm „Aus meiner Haut“: Wenn ich einmal du wäre | |
> Philosophie statt Genre-Konvention: In Alex Schaads Debüt „Aus meiner | |
> Haut“ tauschen Menschen ihre Körper. Gedreht wurde in Schleswig-Holstein. | |
Bild: Maryam Zaree als Fabien und Edgar Selge, in dessen Körper gerade die jun… | |
In welchem Maße beeinflussen unsere Körper unser Bewusstsein? Denken und | |
fühlen wir anders, weil wir weiblich oder männlich, dick oder dünn, groß | |
oder klein, schön oder hässlich sind? „Du bist der Mensch, der du bist, | |
weil du den Körper hast, den du hast“, sagt jemand in Alex Schaads | |
Spielfilm „Aus meiner Haut“. Damit formuliert er die Grundthese der | |
Versuchsanordnung, die im Film durchgespielt wird. | |
Im Pressetext der Verleihfirma wird er als „Science-Fiction-Liebesfilm“ | |
bezeichnet, aber mit beiden Genres hat er nur sehr oberflächliche | |
Berührungspunkte. Schaad selber trifft es da schon besser, wenn er vom | |
„magischen Realismus“ seines Films spricht. | |
Denn er interessiert sich herzlich wenig für die „Science“ hinter seiner | |
„Fiction“. Es geht um eine Technik, mit der Menschen ihre Körper tauschen | |
können. Ein „genialer Gehirnspezialist“ hat sie entwickelt – mehr wird | |
darüber nicht verraten. Der Körpertausch selber wird auch nicht gezeigt | |
(bei Cronenberg wäre dies die Hauptsache). Stattdessen gehen die Menschen | |
in einen hohen Turm aus Stoffbahnen, der aussieht, als würde ein großes | |
Zelt gerade von einem Wirbelsturm in den Himmel gezogen. Heraus kommen sie | |
dann jeweils im Körper der oder des anderen. Der Turm ist dann auch die | |
einzige futuristisch wirkende Requisite des Films, denn die | |
Schauspieler*innen sind es, die den Körpertausch glaubwürdig darstellen | |
müssen. | |
Am meisten haben dabei Mala Emde und Jonas Dassler zu tun, die die | |
Protagonist*innen Leyla und Tristan spielen – und außerdem noch jeweils | |
zwei oder drei andere Filmfiguren. Am Anfang des Films erreichen sie eine | |
isolierte Insel, auf der eine sektenartige Therapiegruppe ihr Domizil hat. | |
Beim abendlichen Willkommensfest werden wie bei einer Lotterie Lose gezogen | |
und so zwei Paare zusammengeführt, die dann miteinander nicht nur ihre | |
Partner, sondern auch ihre Körper tauschen. | |
Da findet sich dann die kranke und depressive Leyla plötzlich im Körper der | |
gesunden und energiegeladenen Fabien wieder. Und der introvertierte | |
Feingeist Tristan hat plötzlich den dicken Bauch des triebgesteuerten | |
Chaoten Mo. Der will dann auch gleich Sex mit sich selber haben, sprich mit | |
seinem eigenen Körper. Während Leyla sich im anderen Körper so glücklich | |
fühlt wie noch nie zuvor. | |
Wirklich interessant wird es, wenn Frauen in die Körper von Männern | |
schlüpfen und umgekehrt. Der tiefgehenste Körpertausch wird dann als großes | |
Finale am Schluss des Film vollzogen, und obwohl er vorhersehbar ist, wird | |
er als eine große Überraschung präsentiert. Und so soll die Schlussvolte | |
hier auch nicht als Spoiler vorbuchstabiert werden. Aber mit wem würden Sie | |
gerne mal den Körper tauschen, wenn Sie jemanden lieben? | |
Das Drehbuch hat Alex Schaad zusammen mit seinem Bruder Dimitrij | |
geschrieben. Dieser verkörpert darin auch den molligen Hedonisten Mo. Seit | |
einigen Jahren zählt er zu den bekannten Gesichtern des deutschen Kinos und | |
Fernsehens. So spielte er etwa die Hauptrolle im [1][Kinofilm „Die | |
Känguru-Chroniken“] und den „straight man“ (auf deutsch „Normalo“) n… | |
der Ex-DDR-Superheldin Jella Haase in der [2][Netflix-Serie „Kleo“]. | |
Alex Schaad gewann 2016 für seinen Kurzfilm „Invention of Trust“ den | |
Studenten-Oscar und inszenierte zwei Folgen der ZDF-Krimiserie „Soko | |
Hamburg“, bevor er mit „Aus meiner Haut“ seine erste große Kinoproduktion | |
(immerhin mit Premiere auf den Filmfestspielen von Venedig) stemmte. Am 28. | |
Januar hat Schaad im Hamburger St.-Pauli-Theater den | |
Ulrich-Wildgruber-Preis erhalten. | |
Das Drehbuch der beiden Brüder ist deshalb bemerkenswert, weil sie fast | |
vollständig auf die Konventionen des Genre-Kinos verzichten. Stattdessen | |
interessieren sie sich für die philosophischen und existentialistischen | |
[3][Fragen um Körper und Bewusstsein], die sie mit ihrem utopischen | |
Grundkonzept durchspielen. | |
## Mehr intellektuelles als sinnliches Vergnügen | |
So bietet der Film dann auch eher ein intellektuelles als ein sinnliches | |
Vergnügen, denn die Geschichte ist eine Kopfgeburt mit allen Vor- und | |
Nachteilen, die dieses mit sich bringt. Zum Beispiel ist es schon deshalb | |
schwer, Mitgefühl oder Sympathie für die Protagonist*innen zu | |
entwickeln, weil man immer genau aufpassen muss, um mitzubekommen, wer und | |
in wem sie gerade sind. | |
Für die Schauspieler*innen bietet der Film eine besondere | |
Herausforderung, weil sie ja nicht nur mehrere Figuren spielen, sondern | |
weil man ihre „Kopien“ immer auch direkt mit dem „Original“ vergleichen | |
kann. So hat etwa die im Iran geborene Maryam Zaree in der Rolle der Fabien | |
einen schwer zu verortenden, natürlich klingenden Akzent, während Mala Emde | |
als Fabien nur einen zu dick aufgetragen pseudofranzösischen Tonfall | |
hinkriegt. | |
## Schauspielerisches Dilemma | |
Und auch Jonas Dassler gerät die Verwandlung vom phlegmatischen Tristan in | |
den cholerischen Mo etwas zu brachial. Aber dieses schauspielerische | |
Dilemma ist auch kaum zu lösen: Was die oder der eine ist, muss der oder | |
die andere spielen. Mehr Spaß macht es dagegen, Edgar Selge zuzusehen, der | |
mit sichtlichem Vergnügen eine junge Frau mit dem Namen „Stella“ spielt. | |
Der Handlungsort von „Aus meiner Haut“ ist eine geheimnisvolle Insel, und | |
gedreht wurde der vom Bayerischen Rundfunk mitfinanzierte Film zum größten | |
Teil an der Küste von Schleswig-Holstein sowie auf dem Gut Wahlstorf in der | |
holsteinischen Schweiz. | |
Und hier findet sich dann doch noch ein Bezug zum Genrekino. Der britische | |
Horrorfilm „The Wicker Man“ mit Christopher Lee spielt ebenfalls auf einer | |
isolierten Insel, deren Bewohner*innen seltsame Praktiken in einer | |
kultartige Gemeinde ausüben. Der Film endet mit einem großen rituellen | |
Feuer, und auch bei „Aus meiner Haut“ wird der große Stoffturm am Ende | |
feierlich in Brand gesteckt. Danach muss jeder in dem Körper bleiben, in | |
dem er gerade steckt. | |
2 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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