# taz.de -- Rücktrittspläne von Christine Lambrecht: Es war nicht alles schle… | |
> Aber sehr vieles: Die Verteidigungsministerin, deren Rücktritt offenbar | |
> bevorsteht, hinterlässt nach 13 Monaten eine bescheidene Bilanz. | |
Bild: Christine Lambrecht: Eine eigentlich verdienstvolle Politkarriere geht mi… | |
BERLIN taz | Auf den letzten Metern zeigte Christine Lambrecht vollen | |
Einsatz. Rücktrittspläne? Keine Spur. Am Mittwoch zog sie sich eine | |
Uniformjacke der Marine über und eröffnete eine Werft in Rostock. Am | |
Donnerstag inspizierte sie Marder-Panzer in Sachsen. Am Freitag dann traf | |
sie sich mit Generälen und Industriebossen in Berlin, um über [1][die | |
Zukunft des pannenbehafteten Schützenpanzers Puma zu beraten]. „Es gibt | |
Hausaufgaben, die gemacht werden müssen“, gab sie den Rüstungskonzernen und | |
den eigenen Leuten auf der anschließenden Pressekonferenz mit. | |
Fast so, als wollte sie zum Schluss ihren Ruf polieren und die Vorwürfe | |
abschütteln, sie interessiere sich gar nicht für die Bundeswehr und habe | |
sich in ihren Job bis heute nicht eingearbeitet. Dass es dem Ende | |
entgegengeht, muss ihr während dieser kleinen Abschiedstour zumindest schon | |
klar gewesen sein: Keine vier Stunden nach der Pressekonferenz zum Puma | |
meldete die Bild-Zeitung, dass die SPD-Politikerin zurücktreten will. | |
Irgendjemand hatte die Neuigkeit früher als geplant durchgestochen. | |
Lambrechts Ministerium dementierte die Meldung daraufhin nicht. | |
Eine eigentlich verdienstvolle Politkarriere – Anfänge in der | |
Kommunalpolitik, diverse Positionen in der SPD-Bundestagsfraktion, dann | |
zweieinhalb passable Jahre als Justizministerin – endet somit | |
voraussichtlich vorzeitig und mit wenig Ruhm. Im Dezember 2021 machte | |
Neu-Kanzler Olaf Scholz die heute 57-Jährige zur Verteidigungsministerin. | |
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Amt kurz darauf zu | |
einem der wichtigsten Regierungsressorts. Gerecht geworden ist sie ihrer | |
Aufgabe in den darauffolgenden Monaten aber tatsächlich nicht. | |
In einer Infratest-Umfrage gaben zuletzt nur noch 13 Prozent der befragten | |
Wähler*innen an, mit Lambrechts Arbeit zufrieden zu sein. Hätte man die | |
Umfrage in der Bundeswehr oder innerhalb der Ampel-Fraktion durchgeführt, | |
wären die Werte kaum höher gewesen. Eher im Gegenteil. | |
Vertrauen gekostet hat vor allem die schlechte Außendarstellung. Nicht | |
alles hat Lambrecht selbst zu verantworten, ein Teil der medialen Kritik | |
war von Anfang an auch kleinlich bis frauenfeindlich. Vorgeworfen wurde ihr | |
unter anderem, dass sie die 83 Dienstgrade der Bundeswehr nicht auswendig | |
lernen wollte oder beim Truppenbesuch in Mali Schuhe mit hohem Absatz trug. | |
## Medienkompetenz hat gefehlt | |
Vieles andere war dann aber eben doch hausgemacht, nicht zuletzt Lambrechts | |
Social-Media-Aktivitäten bei erkennbar geringer Social-Media-Kompetenz. Auf | |
Instagram tritt sie auf zwei Accounts als Verteidigungsministerin auf. | |
Einer offiziell und vom Ministerium verwaltet, der andere vorgeblich privat | |
und ohne professionelle Beratung. Auf diesem veröffentlichte sie am | |
Silvesterabend dilettantisch gedrehte und inhaltlich schräge Neujahrsgrüße: | |
Sie freue sich, sagte sie sinngemäß, dank des Ukraine-Kriegs viele | |
interessante Menschen kennengelernt zu haben. | |
Selbst wer es bis dahin im politischen Berlin noch gut mit Lambrecht | |
meinte, verlor nun langsam den Glauben an ein gutes Ende. Selbst in der SPD | |
wollte man die Auftritte der Ministerin nun nicht mehr so recht | |
verteidigen. | |
Kritik an Lambrecht gab es aber nicht nur wegen ihrer Außendarstellung, | |
sondern auch wegen ihrer inhaltlichen Arbeit – obgleich die Bilanz hier | |
etwas differenzierter ausfallen muss. Auslandseinsätze spielen dabei zur | |
Abwechslung nicht die größte Rolle. Als erste deutsche | |
Verteidigungsministerin seit zwei Jahrzehnten musste sich Lambrecht nicht | |
mit dem Afghanistan-Einsatz herumschlagen, dieser endete schließlich schon | |
im Sommer vor ihrem Amtsantritt. Andere große Auslandseinsätze gibt es | |
abgesehen von Mali nicht mehr. | |
Auch den Mali-Einsatz wollte Lambrecht lieber früher als später beenden. | |
Dabei argumentierte sie mit den Schikanen der malischen Militärjunta und | |
den Gefahren, denen die deutschen Soldat*innen ausgesetzt sind. In einen | |
Konflikt geriet Lambrecht dadurch mit den Grünen und dem Auswärtigen Amt, | |
die einen überhasteten Abzug befürchteten und sich über entsprechende | |
Vorstöße der Verteidigungsministerin ärgerten. | |
Als Kompromiss kam am Ende ein Abzug auf Raten heraus, der bis Mai 2024 | |
vollzogen sein soll. Unbeantwortet bleibt bislang die grundsätzliche Frage, | |
welche Rolle Auslandseinsätze künftig noch spielen, wenn die Hauptaufgabe | |
der Bundeswehr nun die Bündnisverteidigung gegen Russland ist. Große | |
Impulse in dieser Debatte setzte Lambrecht nicht. | |
## Im Schatten des Kanzlers | |
Öffentlich stärker im Fokus war in den vergangenen Monaten ohnehin die | |
Frage nach militärischer Unterstützung für die Ukraine, konkret nach | |
Waffenlieferungen. Hier stand Lambrecht im Schatten des Bundeskanzlers, der | |
die Grundsatzfragen lieber auf eigene Faust klärte. Eine schwache | |
Verteidigungsministerin kam ihm dabei wohl nicht ganz ungelegen. | |
Für Lambrecht blieb die undankbare Aufgabe, anschließend die Lieferungen | |
aus den dünnen Arsenalen der Bundeswehr zu managen und die Kehrtwenden des | |
Kanzlers kommunikativ irgendwie zu unterfüttern. Zuletzt galt das für die | |
Lieferungen von Marder-Schützenpanzern, die sie monatelang als unabkömmlich | |
bezeichnete und jetzt doch plötzlich abgeben konnte. | |
Die aktuell größte Aufgabe des Verteidigungsministeriums aber: Die | |
Bundeswehr auf Vordermann bringen, die 100 Milliarden Euro aus dem | |
Sondervermögen sinnvoll verwenden, neue Geldverschwendung verhindern. | |
Strukturell legte Lambrecht schon in den Monaten nach Kriegsbeginn erste | |
Änderungen im Beschaffungswesen vor. So darf die Truppe mittlerweile | |
Aufträge unter einem Wert von 5.000 Euro ohne bürokratisches | |
Vergabeverfahren durchführen. Das Bundeswehr-Beschaffungsamt ist dadurch | |
entlastet und kann sich stärker auf große Projekte fokussieren. | |
Eine große Strukturreform, die sich manche erhofften, ist aber nicht in | |
Sicht. Lambrecht setzte eher auf einzelne, schnell umsetzbare Schritte. | |
## Keine Eile | |
Mit Blick auf konkrete Beschaffungsprojekte ist strittig, ob Lambrecht nach | |
der Ausrufung der Zeitenwende durch den Bundeskanzler genügend Tempo | |
gemacht hat. Neue Uniformen für die Soldat*innen, von diesen lange | |
gewünscht, bestellte sie zwar schon, bevor die 100 Milliarden Euro aus dem | |
Sondervermögen unter Dach und Fach waren. Mit Nachbestellungen für die | |
leeren Munitionslager der Bundeswehr, so die Kritik aus der Ampel, ließ sie | |
sich dagegen zu viel Zeit. | |
Neben der Frage nach dem Tempo stellt sich allerdings auch die nach der | |
Gründlichkeit. Bewusst Zeit ließ sich Lambrecht zuletzt bei den | |
Puma-Schützenpanzern. Im Dezember wurden neue Pannen an den Fahrzeugen | |
bekannt, kurz nachdem der Bundestag ein teures Nachrüstungsprogramm | |
beschlossen hatte. Lambrecht stoppte den Auftrag vorerst und nahm die | |
Hersteller öffentlich in die Pflicht. | |
Mittlerweile sind die Schäden behoben. Sie waren weniger gravierend, als | |
ursprünglich befürchtet. Trotzdem sind in der Angelegenheit noch immer | |
Fragen offen, so dass Lambrecht an ihrem Auftragsstopp auch nach dem | |
Treffen mit den Rüstungsbossen am Freitag festhielt. | |
## Stress für den Kanzler | |
Über die Zukunft des Projekts wird nun nicht mehr sie entscheiden. Wer | |
Lambrechts Nachfolge antritt, war bis Samstagnachmittag unklar. Dem | |
Bundeskanzler wäre sicherlich eine geregelte Übergabe lieber gewesen. Da | |
Lambrechts Rücktrittspläne vorab öffentlich geworden sind, muss Olaf Scholz | |
nun unter erhöhtem Zeitdruck eine Lösung präsentieren. | |
Ein Politprofi wäre nicht schlecht: Das Verteidigungsministerium ist | |
traditionell schwer zu führen. Dass Lambrecht immer wieder mit | |
Indiskretionen zu kämpfen hatte – mit Durchstechereien hatte sie schon vor | |
ihren Rücktrittsplänen zu kämpfen – war keine Überraschung. Vorerfahrung … | |
puncto Verteidigungspolitik schadet auch nicht: In Kriegszeiten bleibt | |
wenig Zeit zur Einarbeitung. Wegen der angestrebten Geschlechterparität im | |
Kabinett müsste die Wahl zudem auf eine Frau fallen, falls Scholz eine | |
größere Kabinettsumbildung vermeiden möchte. | |
Zwei Namen sind daher naheliegend: Eva Högl, derzeit Wehrbeauftrage des | |
Bundestags, und Siemtje Möller, als Parlamentarische Staatssekretärin schon | |
jetzt im Ministerium. Gegen beide spricht wiederum die Flügellogik der SPD: | |
Anders als Lambrecht sind sie keine Parteilinken. So oder so wird es eine | |
perfekte Lösung nicht geben. | |
14 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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