# taz.de -- Verkehrspolitik in Berlin: Der Straßen(wahl)kampf geht weiter | |
> Die Friedrichstraße wird wieder Fußgängerzone: Mit dieser Ankündigung | |
> zieht die grüne Spitzenkandidatin Jarasch den Zorn der Regierenden auf | |
> sich. | |
Bild: Eine Prachtmeile sieht anders aus: die Friedrichstraße in Berlin | |
BERLIN taz | Die Friedrichstraße ist dort, wo all die schicken Läden | |
liegen, eine der langweiligeren Straßen Berlins. Trotzdem ist sie | |
umstritten, sogar ähnlich stark wie die A100. Denn: [1][Dieses zentrale | |
Stück der Nord-Süd-Achse im Bezirk Mitte wird ab Montag wieder zur | |
Fußgängerzone]. Und wahrscheinlich ist es Verkehrssenatorin Bettina Jarasch | |
(Grüne) ganz recht, dass die Straße in den Schlagzeilen bleibt, ihre | |
Umgestaltung Widerspruch provoziert und damit die grüne Senatorin ein Stück | |
weit bekannter macht – nicht nur jetzt im Wahlkampf. Die ersten wütenden | |
Reaktionen von Jaraschs Konkurrentin, der Regierenden Bürgermeisterin | |
Franziska Giffey (SPD), kamen dann auch prompt. | |
Aber der Reihe nach. Am Mittwoch hat Jarasch ihre Pläne vorgestellt, | |
zusammen mit Baustadträtin Almut Neumann (Grüne). Das Zeichen: Bezirk und | |
Land arbeiten eng zusammen, wenn es darum geht, die historische Mitte | |
fußgänger*innenfreundlicher zu gestalten. Das ist das erklärte Ziel | |
der Senatorin, und daher wird das Stück zwischen Französischer Straße und | |
Leipziger Straße komplett und dauerhaft für den Autoverkehr gesperrt. | |
„Damit kann und wird es eine deutliche Steigerung der Aufenthaltsqualität | |
geben: bessere Luft, weniger Unfälle, mehr Raum für Fußgänger“, begründe… | |
Jarasch, die eben auch grüne Spitzenkandiatin für die Wahl ist, den Umbau. | |
## Auf Weltmetropolenniveau | |
Andere Orte in Mitte – vom Checkpoint Charlie über den Boulevard Unter den | |
Linden bis hin zum Molkenmarkt – sollen perspektivisch ähnlich entwickelt | |
werden. Jarasch sieht sich hier auch unter globalem Druck: Die | |
Friedrichstraße werde eine „Einkaufs- und Verweilstraße auf dem Niveau | |
anderer Weltmetropolen“; New York, Paris, Brüssel würden ihre Innenstädte | |
ähnlich umgestalten. | |
Für Autos ist die Friedrichstraße in dem Teilstück nun tabu, auch die | |
Parkplätze entfallen. Lieferverkehr kann die Fußgängerzone immerhin | |
kreuzen. Radler*innen dürfen, wenn sie nicht die parallele Radstraße | |
nutzen wollen, dort weiterhin fahren, allerdings nur in | |
Schrittgeschwindigkeit. „Wenn das nicht funktioniert, müssen wir | |
nachsteuern“, machte Jarasch klar und fügte hinzu: „Wir haben aus dem | |
Verkehrsversuch gelernt. Der [2][Radschnellweg war keine so gute Idee].“ | |
Denn autofrei war die Friedrichstraße ja schon mal: Bereits Jaraschs | |
glücklose Vorgängerin, Verkehrssenatorin Regine Günther, hatte [3][hier | |
ihre grüne Vision von Stadtumbau] präsentiert. Sie sperrte dasselbe | |
Teilstück im August 2020 für Autos – und alle Grünen luden ab da zu | |
Pressegesprächen sehr gern in Cafés in die Straße ein, vor denen man nun | |
auch draußen sitzen konnte. | |
Doch der erhoffte Aufschwung der in Teilen exklusiven Kaufmeile mit | |
mehreren Edelkaufhäusern blieb trotz hölzerner Straßenmöbel aus, was sicher | |
zum Teil mit der Pandemie zu tun hatte. Aber eben nicht nur: [4][Viel | |
kritisiert] wurde der Radweg, andere monierten die Baustellenatmosphäre | |
durch die temporären Absperrungen und die bisweilen verloren wirkenden | |
Schaukästen. | |
Spektakulär hingegen dann das – vorübergehende – Ende der Sperrung im | |
November: Nach Klagen von Anlieger*innen musste die Straße wieder | |
freigegeben werden für Autos, denn der Verkehrsversuch war zwar bereits im | |
Herbst 2021 vorbei, die Sperrung aber nicht aufgehoben worden. | |
Die erfolgreiche Klage markierte auch den Anfang des Wahlkampfs – Wochen | |
bevor das Berliner Verfassungsgericht die Wahl von 2021 offiziell für | |
ungültig erklärt hatte. Denn als Reaktion auf das Friedrichstraßen-Urteil | |
hatte die Regierende von ihrer Verkehrssenatorin gefordert, das Urteil | |
schnell umzusetzen, und zudem Jarasch öffentlich Inkompetenz unterstellt. | |
Jarasch konterte, Giffey habe wohl nicht verstanden, worum es bei dem | |
Urteil ging. | |
Sie nutzte die Zeit, [5][um die Umwidmung der Friedrichstraße gründlich und | |
rechtssicher vorzubereiten,] wie sie am Mittwoch sagte. „Klagen gegen die | |
Fußgängerzone sind weiterhin möglich, aber sie haben keine aufschiebende | |
Wirkung“, so die Senatorin. | |
Ohne Aufschub hingegen kam die erneute harsche Kritik von Franziska Giffey. | |
„Diese Aktion ist nicht im Senat abgestimmt. Ich halte diesen Alleingang | |
auch nicht für durchdacht“, erklärte sie am Mittwoch, erstaunlicherweise | |
nicht in ihrer Funktion als SPD-Spitzenkandidatin, sondern explizit als | |
Regierende Bürgermeisterin. | |
Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) warf Jarasch vor, | |
alte Fehler zu wiederholen, indem diese den letzten Schritt mache vor dem | |
ersten. „Mit dieser Aktion schafft man kein Vertrauen in den Prozess und | |
stellt auch die Idee einer echten Beteiligung, die jetzt so wichtig gewesen | |
wäre, gleich zu Anfang in Frage.“ | |
Auch die Vereinigung der Unternehmensverbände sah wenig Positives: „Die | |
Verkehrsverwaltung setzt weiter auf schlichte Symbole statt auf kluge | |
Konzepte. 500 Meter Straße zu sperren bringt die Verkehrspolitik kein Stück | |
voran“, sagte ihr Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck. | |
Ähnlich sieht es das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße!“, ein | |
Verbund von Anlieger*innen. Es kündigt Widerstand an: „Sobald die | |
Allgemeinverfügung am Freitag im Wortlaut vorliegt, wird diese umgehend | |
rechtlich geprüft und das Bündnis alle zur Verfügung stehenden Mittel | |
nutzen, um gegen die erneute Sperrung vorzugehen.“ Dem Bündnis sei am | |
Mittwoch viel Unterstützung von unterschiedlicher Seite angeboten worden. | |
## Jarasch kontert die Kritik | |
Jarasch wies die Kritik zurück: Sie habe nur umgesetzt, was sie im November | |
bereits angekündigt habe. Die Lösung für den gesamten Bereich | |
einschließlich Gendarmenmarkt werde nun in Zusammenarbeit mit den | |
Anlieger*innen erarbeitet; dafür wurde ein externes Planungsbüro | |
beauftragt, das bereits Kontakte vor Ort aufgebaut habe. | |
Rückendeckung in der Debatte bekam Jarasch von Linksparteichefin Katina | |
Schubert: „Es war immer klar, dass die Friedrichstraße an dem Punkt | |
Fußgängerzone werden sollte, und es war auch klar kommuniziert, dass es | |
kommen wird“, sagte Schubert der dpa. „Diese Aufregung, die jetzt darum | |
gemacht wird, ist deswegen auch Wahlkampfgeklingel.“ | |
25 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Autofreie-Berliner-Friedrichstrasse/!5890668 | |
[2] /Umbau-der-Charlottenstrasse/!5890486 | |
[3] /Verkehrswende-in-Berlin/!5893129 | |
[4] /Flaniermeile-Friedrichstrasse/!5851884 | |
[5] /Urteil-gegen-autofreie-Friedrichstrasse/!5892926 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
## TAGS | |
Bettina Jarasch | |
Friedrichstraße | |
Verkehrspolitik | |
Wahlkampf | |
Sonnenallee | |
Verkehrswende | |
Wochenkommentar | |
Franziska Giffey | |
A100 | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Wochenkommentar | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gärtnern an der Stadtautobahn: „Das war wie im Paradies“ | |
Autobahnneubau ist in Berlin kein Thema von gestern. Sebastian B., 36 Jahre | |
alt, hat beobachtet, wie die A100 durch Neukölln gesprengt worden ist. | |
Klimaschutz im Berliner Wahlkampf: Die große Leerstelle | |
Im Wahlkampf drückten sich fast alle Parteien erfolgreich um das große | |
Zukunftsthema Klimakrise. Auch die Klimabewegung machte keinen Druck. | |
Autofreie Friedrichstraße in Berlin: Aus einer Debatte wird Ideologie | |
Die Idee für eine autofreie City Ost stammt von der SPD. Das hat sie aber | |
verdrängt. Doch auch die Grünen haben Schuld, dass die Diskussion schief | |
lief. | |
Berliner Abgeordnetenhaus: Kein Grund zur Vertrauensfrage | |
Die vorletzte Parlamentssitzung vor der Wahl am 12. Februar wird nach dem | |
Giffey-Jarasch-Zoff um die Friedrichstraße zur Wahlkampfbühne. | |
Autobahnausbau in Berlin: „Nie so nah dran, die A100 zu stoppen“ | |
Der neue Standort der Zukunft am Ostkreuz gibt den Gegnern einer | |
A100-Verlängerung Hoffnung. Die Grünen sehen das Projekt schon fast | |
gescheitert. | |
Autofreie Berliner Friedrichstraße: Fünfhundert Meter Streit | |
In der Friedrichstraße finden Verkehrsberuhigung nicht alle gut. Bald | |
kehren die Autos zurück. Doch die nächste Sperrung ist schon geplant. | |
Urteil gegen autofreie Friedrichstraße: So oder so kommt die Fußgängerzone | |
Am Dienstag entscheidet sich, ob der Berliner Senat in Berufung geht. Schon | |
diese Woche hat Mitte den ersten Schritt zur Fußgängerzone eingeleitet. | |
Nach dem Urteil zur Friedrichstraße: Fairness gerät unter die Fahrräder | |
Regierungschefin Giffey (SPD) und ihre Vize Jarasch (Grüne) beharken sich | |
über die Zukunft der autofreien Friedrichstraße. Das erinnert an Wahlkampf. |