# taz.de -- Tierschutz in Benin: Paradies für Schildkröten | |
> Am Strand von Benin legen Schildkröten jedes Jahr ihre Eier ab. Ein paar | |
> Freiwillige sind entschlossen, die stark gefährdeten Tiere zu schützen. | |
Bild: Weiche Schale, weicher Kern: Babyschildkröten unternehmen ihre ersten La… | |
Das Gelände ist klein und mit einem weißen Holzzaun eingefasst. An eine | |
Stelle ist ein grauer Elefant gemalt, an eine andere Stelle ein gewaltiger | |
Schildkrötenpanzer. Hier, am östlichen Stadtstrand von Cotonou, | |
Wirtschaftsmetropole im westafrikanischen Benin, stehen zwischen Zaun und | |
Meer ein paar Tische, Holzstühle, Sonnenschirme und selbstgebaute | |
Fitnessgeräte. Vor allem am Wochenende, wenn die Sonne langsam untergeht | |
und vom Meer her eine kühle Brise über den Strand weht, spielen die Jungs | |
aus dem Viertel hier Fußball und Gäste trinken Softdrinks und Bier. | |
Der Ort, den Bienvenue Djossou geschaffen hat, ist aber viel mehr als nur | |
eine Strandbar für einen Sundowner. Gemeinsam mit seinem Freund und | |
Kollegen Vitus Elegbede schließt er ein großes Metallschloss auf und öffnet | |
eine knarzende Tür. In diesem abgeschlossenen Bereich schlüpfen jedes Jahr | |
Tausende Meeresschildkröten. Rund um den Jahreswechsel bis in den Februar | |
hinein ist Hochsaison, und die beiden Männer haben alle Hände voll zu tun. | |
Bienvenue Djossou zeigt auf mehrere ausrangierte Autoreifen. Daneben hat er | |
Stäbe gesteckt. An den Enden kleben kleine Schilder mit einem Datum darauf | |
und der Zahl der Schildkröteneier, die hier liegen. Dann deutet Djossou mit | |
seinem Zeigefinger in den Sand. Für ungeübte Augen ist es nicht zu | |
erkennen. Doch dort liegen winzige weiße Stückchen, die an eine zerbrochene | |
Muschel erinnern, aber zur Schale eines Schildkröteneis gehören. „Hier sind | |
gerade Schildkröten geschlüpft“, sagt Djossou. | |
Gestern hat es schon welche gegeben, und auch am Morgen sind wieder neue | |
auf die Welt gekommen. Wenn der Sand mehr verwühlt ist als gewöhnlich, dann | |
geht das Schlüpfen los, zeigt seine Erfahrung als Schildkrötenschützer. | |
Gleichzeitig weiß er: Die Arbeit der Männer lohnt sich. | |
## Kostenlose Eier zu verbieten ist schwer | |
Denn hier kommen winzige Oliv-Bastardschildkröten auf die Welt, die | |
[1][stark gefährdet] sind. Eine Schildkröte legt zwar bis zu 170 Eier. Aus | |
zwei Dritteln dieser schlüpfen auch Schildkröten, die ihren Weg zurück ins | |
Meer finden. Doch etwa die Hälfte stirbt in den ersten Lebensmonaten und | |
Jahren und kehrt nie zurück an den Strand, um dort Eier zu legen. | |
Doch bisher sind die meisten gar nicht erst auf die Welt gekommen. | |
Menschen, die in der Nähe des Strandes leben, haben die Eier eingesammelt, | |
verkauft oder selbst gegessen. „In Benin gab es stets die Einstellung: Was | |
uns die Natur gibt, das kann sich jeder nehmen, das gehört allen“, sagt | |
Joséa Dossou Bodjrènou, Präsident der nichtstaatlichen Organisation Nature | |
Tropicale, die sich seit 1998 für den Schutz der Meeresschildkröten | |
starkmacht. | |
Auch Bienvenue Djossou und Vitus Elegbede haben das oft beobachtet: | |
Menschen würden nach Eiern suchen und sich besonders freuen, wenn sie eher | |
zufällig auf welche stoßen. Dabei gelten Schildkröteneier in Benin nicht | |
einmal als besondere Delikatesse. | |
In dem westafrikanischen Staat leben knapp 40 Prozent der rund 13 Millionen | |
Einwohner*innen unterhalb der Armutsgrenze. Gerade Fleisch und Eier, | |
aber auch Gemüse sind teuer. Viele Menschen ernähren sich von Brei aus Mehl | |
oder gestampftem Getreide, der zwar satt macht, aber kaum Nährstoffe | |
enthält. Wer wenig Geld hat, verzichtet auf das Frühstück und überbrückt | |
die Zeit bis zum ersten Essen mit einer Tasse stark gezuckertem Tee. Schon | |
Hühnereier gelten als Besonderheit. | |
## Tierschutz wirft kaum Geld ab | |
Menschen kostenlose Eier und Fleisch zu verbieten, das ist in einem Land, | |
in dem Naturschutz noch als Luxus angesehen wird, unmöglich. Stattdessen | |
braucht es Aufklärungsarbeit. Für die 120 Kilometer lange Küste mit Grenzen | |
zu Nigeria und Togo hat Nature Tropicale mehr als 100 Éco-Gardes (deutsch: | |
Ökohüter) ausgebildet. Sie beobachten alles, was auf ihrem Küstenabschnitt | |
passiert, sammeln die Schildkröteneier ein und bewachen diese, bis daraus | |
kleine Schildkröten schlüpfen. | |
Bevor die Saison beginnt, nehmen die Éco-Gardes im Juni oder Juli an einem | |
Workshop teil, um ihre Kenntnisse aufzufrischen. Alle sind ehrenamtliche | |
Helfer*innen, was den Schildkrötenschutz zu einer großen Herausforderung | |
macht. In Benin arbeitet die große Mehrheit der Bevölkerung im informellen | |
Sektor: Frauen gehen putzen oder verkaufen am Straßenrand Obst und Gemüse. | |
Männer arbeiten auf Baustellen, bauen auf kleinen Parzellen etwas Getreide | |
an. Viele machen mehrere Jobs gleichzeitig, um über die Runden zu kommen. | |
Ein geregeltes Einkommen und eine Absicherung im Krankheitsfall gibt es | |
nicht. | |
Wer sich intensiv für den Schildkrötenschutz einsetzt, hat im Moment kaum | |
Zeit, anderweitig Geld zu verdienen. Dabei gehören gerade jene, die in der | |
Nähe des Strandes leben, häufig zur armen Bevölkerung, sagt Marie Djengue. | |
Die Geografin ist bei Nature Tropical für das Meeresschildkröten-Programm | |
verantwortlich, bildet die Éco-Gardes aus und steht im ständigen Kontakt | |
mit ihnen. | |
Über den Nachrichtendienst WhatsApp schicken sie Fotos von geschlüpften | |
Schildkröten an die NGO, die Zahl der Eier, die sie in der Nacht gefunden | |
haben, und informieren auch über mögliche seltsame Ereignisse am Strand. | |
Damit das Konzept funktioniert und das Interesse anhält, sind jedoch | |
Einnahmequellen wichtig. „Sie brauchen zumindest die Möglichkeit, täglich 1 | |
oder 2 Euro zu verdienen“, betont Marie Djengue. Denn sonst bestehe aus der | |
Not heraus die Gefahr, dass sie selbst Schildkröten töten, anstatt sie zu | |
schützen. | |
## Krabbelgruppe im Sandkasten | |
Bei Bienvenue Djossou und Vitus Elegbede wird es Zeit, dass die kleinen | |
Schildkröten umziehen. Die kleinen und noch weichen Panzer sind gerade | |
einmal gut 10 Zentimeter lang und blass-grau. Ausgewachsen messen sie bis | |
zu 70 Zentimeter und wiegen bis zu 50 Kilogramm. Die Männer fassen sie | |
vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger an und tragen sie zu einem | |
großen Kasten, der mit Sand gefüllt ist. Hier müssen sie erst einmal das | |
Laufen lernen. | |
„Eine wichtige Etappe“, sagt Elegbede, „das stärkt den Körper.“ Er sc… | |
den Schildkröten gerne zu. „Das erinnert uns doch an unsere eigene Geburt | |
und wie wir anfangs komplett von unserer Mutter abhängig sind und uns Stück | |
für Stück abnabeln.“ Noch krabbeln die Schildkröten eher gemächlich über | |
den Sand und bleiben immer wieder stehen. | |
Auch wenn sie geschlüpft und ins Meer gekrabbelt sind, sind sie einer Reihe | |
von Gefahren ausgesetzt. Größere Fische fressen sie. Vor allem | |
ausgewachsene Schildkröten verheddern sich zudem in den Netzen der Fischer | |
und reißen diese kaputt. Aus Wut würden diese deshalb Schildkröten auch | |
töten, sagt Marie Djengue. Um das zu vermeiden, sei ein | |
Kompensationsprogramm notwendig. Denn ein Fischer ohne Netz habe auch kein | |
Einkommen mehr. | |
Den Schildkröten machen allerdings auch der Klimawandel und die daraus | |
resultierende Küstenerosion zu schaffen, die überall am Golf von Guinea | |
sichtbar ist. Der 1964 erbaute Hafen unterteilt den Strand von Cotonou in | |
zwei Zonen. Westlich von ihm – durch die Zolleinannahmen werden etwa 60 | |
Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet – hat sich der Strand | |
teilweise sogar verbreitert. | |
## Feuchte Wände, verfallende Villen | |
Seit 2019 finden dort außerdem Aufforstungsmaßnahmen statt, bei denen | |
Tausende Palmen gepflanzt wurden. Ihr Wurzelwerk sorgt mit den Jahren immer | |
mehr dafür, dass der Sand durch hohe starke Wellen nicht mehr wegbricht. | |
Die Palmen werden so zur wichtigsten Maßnahme im Küstenschutz. | |
Östlich des Hafens in Richtung nigerianische Grenze ist das umgekehrt. Der | |
Abschnitt, der Djossous Schildkrötenschutzstation beheimatet, wird | |
zusehends schmaler. Dabei war die Gegend einst ein beliebtes und schickes | |
Wohnviertel von Cotonou und wurde Zone des Ambassades, Botschaftsgegend, | |
genannt. Die Villen stehen zwar noch inmitten großer Gärten. Trotzdem wirkt | |
die Gegend unbelebt, fast verlassen. | |
Zahlreiche Häuser, die heute dicht am Wasser stehen, sind längst zu Ruinen | |
geworden. Die Feuchtigkeit sitzt im Mauerwerk. Einige wurden nie fertig | |
gebaut, weil sich das nicht mehr gelohnt hätte. Heute leben darin | |
sogenannte Squatter*innen, Menschen, die aus der Not heraus Häuser | |
besetzen, weil sie keine Miete zahlen können. | |
Dass das Viertel einst viel größer war, kann man sich nicht mehr | |
vorstellen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten sind ganze Straßenzüge | |
weggerissen worden. Wenn es regnet und das Wasser mitunter tage- und | |
wochenlang nicht mehr abfließen kann, haben Menschen zunehmend | |
Schwierigkeiten, zur Arbeit zu kommen. Das Risiko, an Malaria zu erkranken, | |
steigt. Laut einer Studie sorgten allein die Überschwemmungen im Jahr 2019 | |
für wirtschaftliche Verluste von mehr als umgerechnet 81 Millionen Euro. | |
## Noch ein Problem: Schutzwälle gegen Erosion | |
Obwohl Wissenschaftler*innen schon vor mehr als 20 Jahren vor | |
„desaströsen Auswirkungen“ für Benins Küste warnten, passierte lange | |
nichts. Erst 2012 ließ die Regierung des damaligen Präsidenten Bony Yayi | |
acht Buhnen errichten. Das sind rechtwinklig von der Küste ins Meer | |
reichende Schutzwälle aus Steinblöcken. Sie messen bis zu 300 Meter, sind | |
60.000 Tonnen schwer und werden im Wasser zunehmend breiter. | |
Ziel ist es, die Strömung zu verlangsamen, die Wellen zu brechen und somit | |
die Sanderosion zu vermindern. [2][Seit 2016 Patrice Talon an der Macht | |
ist], wurden vier weitere gebaut und 150 Hektar Strand wurde wieder | |
aufgeschüttet. | |
Doch die Kanten, die mitunter höher als einen Meter sind, bleiben und | |
versperren den Schildkröten den Weg zu ihren ohnehin schon schrumpfenden | |
Eiablageplätzen. „Ein riesiges Problem“, nennt Marie Djengue das und | |
betont: Es muss dringend eine Lösung gefunden werden. Daran sei | |
glücklicherweise auch die Regierung interessiert. Finde man keine, „wird es | |
in Benin keine Schildkröten mehr geben“, lautet ihre düstere Prognose. | |
Das kann man sich gerade bei Bienvenue Djossou nicht vorstellen. | |
Mittlerweile krabbelt der Nachwuchs flink durch die Sandkiste. Es wird Zeit | |
für den nächsten Schritt. Djossou hebt die kleinen Schildkröten wieder | |
vorsichtig an, um sie zum ersten Mal in ihrem Leben ins Wasser zu setzen. | |
Dafür stehen eine ausrangierte Badewanne und ein Aquarium bereit. Er | |
beobachtet die ersten Schwimmzüge und lacht: „Das Laufen durch den Sand ist | |
sehr anstrengend gewesen. Das Schwimmen ist jedoch ganz einfach für sie.“ | |
## „Machts gut, Schildkröten!“ | |
Marie Djengue ist optimistisch, dass sich die Regierung des | |
Schildkrötenschutzes annimmt. Der Staat habe verschiedene internationale | |
Abkommen zum Schutz biologischer Vielfalt unterzeichnet und ratifiziert. | |
2004 hat die Nationalversammlung zudem ein Gesetz mit der Nummer 2002-16 | |
verabschiedet, in dem es heißt: „Die Fauna stellt ein wesentliches Element | |
des biologischen Erbes der Nation dar.“ | |
Der Staat müsse die Erhaltung garantieren. Verstöße werden trotzdem kaum | |
publik gemacht und noch seltener geahndet. Im Jahr 2017 wurde laut | |
beninischen Medienberichten ein Mann zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe | |
sowie zur Zahlung von knapp 2.000 Euro verurteilt, weil er Panzer von | |
Meeresschildkröten verkauft hatte. | |
Bienvenue Djossou und Vitus Elegbede setzen weniger auf Abschreckung, | |
sondern wollen Vorbild sein. Für ihre Schildkröten ist heute der große Tag | |
gekommen. Nach der Schwimmstation setzen sie 40 Tiere in zwei große Eimer | |
und tragen diese zum Strand. Häufig sind Tourist*innen dabei. Zusammen | |
mit der kleinen Bar ist auch das eine Einnahmequelle, wenn | |
Besucher*innen für das Projekt spenden. | |
Auch Schulklassen aus Cotonou besuchen die Éco-Gardes regelmäßig. Djossou | |
möchte aber vor allem den Kindern im Viertel zeigen, wie wichtig der Schutz | |
der Schildkröten ist. „Sie essen die Eier nicht mehr, sondern wollen die | |
Schildkröten ebenfalls in die Freiheit entlassen“, erzählt er stolz über | |
die Fortschritte. | |
Die Männer haben ihre Sandalen ausgezogen und sind an der Wasserkante | |
angekommen. Sie stellen die Eimer auf dem feuchten Sand ab und setzen eine | |
nach der anderen die Schildkröten in den Sand. Eine dreht sich auf den | |
Rücken und hat noch Startschwierigkeiten. Die anderen sind bereits von den | |
Wellen erfasst worden und treiben im Atlantik. Vom Strand aus sieht man sie | |
nicht mehr. „Das ist ihr Paradies“, sagt Bienvenue Djossou und winkt ihnen | |
nach: „Macht’s gut, Schildkröten!“ | |
26 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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